© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Ländersache: Brandenburg
Prestigeprojekt auf der Kippe
Peter Möller

Die Herbststürme der vergangenen Wochen und Tage haben Brandenburg schwer getroffen. Mehrere Menschen starben, Bahnstrecken wurden unterbrochen, zahllose Bäume entwurzelt. 

Und fast hätte es auch die rot-rote Landesregierung hinweggefegt. Doch das lag nicht an den Naturgewalten, sondern am Wählerwillen. Denn bei der Bundestagswahl am 24. September landeten die Regierungsparteien in Brandenburg hinter CDU und AfD auf den Plätzen drei und vier. Aus Sicht von SPD und Linkspartei war das Ergebnis nicht nur eine politische Katastrophe, es war eine Demütigung. Dennoch: Zwei Jahre vor der nächsten Landtagswahl hätte eine entschlossen agierende Landesregierung trotzdem noch Zeit genug, um diese Scharte auszuwetzen – wäre da nicht die geplante Kreisgebietsreform, die das Land seit Monaten entzweit.

Nach den Vorstellungen von Rot-Rot sollen die bisher 14 Kreise zu elf zusammengefaßt werden. Von den bisher vier kreisfreien Städten Cottbus, Brandenburg, Frankfurt/Oder und Potsdam soll lediglich die Landeshauptstadt ihre Unabhängigkeit behalten. Die Opposition aus CDU, AfD und der außerparlamentarischen FDP sowie ein wachsender Teil der Bevölkerung laufen seit Monaten Sturm gegen die Reform. Die Gegner bezeichnen das Vorhaben als unsinnig und warnen vor langen Wegen zu den Ämtern und einem Verlust an Heimat. Seit Ende August läuft ein Volksbegehren gegen die Reform. Bis Ende Februar können die Brandenburger gegen die Neugliederung unterschreiben. Für einen Erfolg sind 80.000 Unterschriften notwendig.

Auch innerhalb von SPD und Linkspartei gab es von Beginn an Widerstände gegen die Reform, die Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) jedoch bis zur Bundestagswahl in Schach halten konnte. Doch nach dem Desaster am 24. September gab es kein Halten mehr. Die märkische CDU wertete das schlechte Abschneiden von Sozialdemokraten und Linken als Mißtrauensvotum gegen die Kreisreform und forderte Neuwahlen. 

Auf einer Klausur der SPD Anfang Oktober votierten dann bei einer Probeabstimmung drei Abgeordnete gegen die Reform. Damit steht Woidkes Prestigeprojekt endgültig auf der Kippe: Denn Rot-Rot verfügt im Landtag über nur drei Stimmen Mehrheit – und ein Abgeordneter der Linksfraktion hatte sein Nein bereits vor Wochen angekündigt. Bei vier Gegenstimmen aus der Regierungskoalition wäre die Reform gescheitert. Um die Abweichler wieder auf Linie zu bringen, habe der Ministerpräsident sogar mit Rücktritt gedroht, hieß es in Potsdam.

Und als wäre die Lage für Woidke nicht schon schlimm genug, rückte in der vergangenen Woche ausgerechnet der einflußreiche ehemalige Landesvater Manfred Stolpe (SPD) von der Reform ab. „Mit „Augen zu und durch“ kann Verdruß gefördert werden, der sich nur sehr langfristig abbauen läßt“, sagte Stolpe der Märkischen Oderzeitung. Auch wenn der 81jährige Stolpe am nächsten Tag zurückrudern mußte und sich grundsätzlich für eine Kreisreform aussprach, war der Schaden aus Sicht von Rot-Rot verheerend. In Potsdam hoffen mittlerweile nicht wenige Abgeordnete von SPD und Linkspartei auf einen Erfolg des Volksbegehrens – denn dann könnte die Landesregierung das ungeliebte Projekt halbwegs gesichtswahrend beerdigen und sich bis zur Landtagswahl 2019 retten.