© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Morgen, Kinder, wird’s nichts geben
Paul Rosen

Für Journalisten in Berlin wird die Zeit bis Weihnachten Kindheitserinnerungen wecken: Warten ist angesagt. War es früher die Bescherung, so sind es heute die Auftritte der Sondierer für die bald beginnenden Koalitionsverhandlungen. Auf dem sonst menschenleeren Friedrich-Ebert-Platz zwischen Reichstagsgebäude und Parlamentarischer Gesellschaft sind derzeit Heerscharen von Berichterstattern zu sehen, stets in Dreiergrüppchen: Angeführt wird so ein Grüppchen fast immer von einer Redakteurin mit Mikrofon; dazu ein Kameramann und ein Tontechniker. 

Aufgeteilt sind die Wartenden wiederum in zwei Gruppen: Die erste Gruppe steht bei Wind und Wetter draußen vor der Parlamentarischen Gesellschaft, in der die Sondierungsgepräche stattfinden, und wartet auf Statements von Beteiligten, die das Gebäude durch den Haupteingang verlassen. Die zweite Gruppe hat es besser und wartet im Erdgeschoß des benachbarten Jakob-Kaiser-Hauses auf die offiziellen Erklärungen der Sondierer. Hier sind fünf Mikrofone schon fest aufgebaut. Außerdem gibt es Scheinwerfer, damit die Sondierer Peter Tauber (CDU), Andreas Scheuer (CSU), Nicola Beer (FDP) und Michael Kellner (Grüne) in besserem Licht erscheinen, auch wenn sie bisher wenig Konkretes zu verkünden hatten. 

Hoffnungen, daß sie nicht über Weihnachten oder fast bis Ostern noch in der Kälte stehen oder auf dem kalten Fußboden des Jakob-Kaiser-Hauses stehen müssen, macht ein erfahrener Koalitionsverhandler den Journalisten: Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) glaubt fest daran, daß die Sache bis Weihnachten abgeschlossen ist, da die Grünen zum „Bettvorleger“ von Kanzlerin Merkel mutiert seien: „Das liegt am Opportunismus-Zuwachs der Grünen. Der ist schon ungeheuer.“

Allerdings spricht bisher wenig dafür, daß der Altkanzler recht haben könnte. Zwar knickten die Grünen bei den Sondierungen ein und unterschrieben zu Beginn ein Papier mit einem Verzicht auf neue Steuern. Damit hatten sie gleich einen ihrer zentralen Programmpunkte, nämlich die Einführung einer Vermögensabgabe für Millionäre, geopfert. Doch als der neue Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) unter Berufung auf das Papier eine Abschaffung des steuerlichen Solidaritätszuschlags bis 2021 ankündigte, fuhr ihm Jürgen Trittin von den Grünen in die Parade: Er sei „sehr pessimistisch“, daß der Verzicht auf den „Soli“ und das Ziel des ausgeglichenen Haushalts vereinbar seien. Einige Tage später fuhren sich die Sondierer bei den Themen Flüchtlinge und Klima endgültig fest. 

Seitdem ist für die Journalisten nichts mehr über Ergebnisse zu berichten, sondern nur noch über den Streit der angehenden Jamaika-Koalitionäre: Von einem „Härtetest für Jamaika“, sprach CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. „Nicht verhandlungsfähig“ nannte Marco Buschmann (FDP) die Grünen: „Wenn sie künftig an jedem Morgen danach die Kompromisse des Vorabends aufkündigen, könnten wir uns die künftigen Sondierungsrunden schenken.“