© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Gefährliche Geburten
Hebammen schlagen Alarm: Die Situation für Frauen und Kinder wird zunehmend kritisch
Martina Meckelein

Wissen, Erfahrung, Menschlichkeit – eine werdende Mutter zu begleiten, einem neuen Erdenbürger leicht und sicher in die Welt zu verhelfen, dafür ist eine Hebamme da. Dafür hat sie eine dreijährige Ausbildung in einer der sechzig Hebammenschulen in Deutschland absolviert. Doch die Situation werdender Mütter, der Babys und ihrer Hebammen wird in Deutschland prekärer: Zwar steigen die Geburtenzahlen, doch schwangere Frauen haben Probleme, ein Bett für die Entbindung im Krankenhaus zu bekommen. Die Zahl der Hebammen steigt ebenfalls, aber immer mehr Freiberufliche können die enorm hohen Versicherungssummen, die sie zur Berufsausübung zahlen müssen, nicht mehr aufbringen. Festangestellte Hebammen sind am Rande ihrer Kraft. Viele geben auf. Das Gehalt der Hebammen ist zu niedrig. Darüber hinaus schließen Kliniken ihre Entbindungsabteilungen.

„Die Situation für Frauen und Neugeborene ist gefährlich geworden“, warnt Maja Augustin, seit 21 Jahren Hebamme in Berlin. „Die Kliniken sind überbelegt. Wir raten Frauen heutzutage, sich bei mindestens zwei Kliniken anzumelden, sonst könnten sie Gefahr laufen, während des Geburtsvorgangs verlegt zu werden. In einem Fall fuhr hier ein Krankenwagen drei Kliniken an, bis die werdende Mutter aufgenommen wurde. Eine Zwillingsgeburt. So etwas ist sehr kritisch.“

Die Zahl der Neugeborenen stieg zwischen 2011 und 2015 um 75.000 auf rund 738.000, so das Statistische Bundesamt. Der höchste Wert seit der Jahr­tausend­wende mit 767.000 Lebend­geborenen. 716.539 Kinder kamen 2015 in einer Klinik zur Welt, 1,5 Prozent wurden zu Hause oder in Geburtshäusern geboren. Demgegenüber wurden immer mehr Entbindungsstationen in Kliniken geschlossen. Ein Rückgang um 32 Prozent in den Jahren 1991 bis 2010, von 1.186 auf 807 Stationen, bis 2015 schlossen noch einmal einhundert Geburtshilfestationen.

Immer mehr Kaiserschnitte in Deutschland

Am 13. Oktober 2017 schrieb die Süddeutsche Zeitung in dem Artikel „Wohl geboren“ ein Loblied auf die Zentralisierung der Geburtsstationen und zeigte am Beispiel skandinavischer Länder, daß die Säuglingssterblichkeit dort geringer als in Deutschland sei. So starben 2015 in Deutschland 3,3 Promille an Neugeborenen – in Schweden waren es 2,5 Promille, in Finnland 1,7 Promille. Der Schlußfolgerung, die Zentralisierung der Geburtsstationen sei gleichbedeutend mit geringerer Säuglingssterblichkeit, widerspricht der Deutsche Hebammenverband: Das sei „kein Erfolgsgarant für eine bessere Geburtshilfe“, so Susanne Steppat, Mitglied im Verbandspräsidium. In Schweden gilt zum Beispiel eine hohe Kaiserschnittrate als Indikator für Fehlleistungen im Gesundheitssystem. Die schwedischen Kliniken würden finanziell darüber hinaus belohnt, wenn sie niedrige Kaiserschnittraten aufwiesen. Sie arbeiteten nicht gewinnorientiert. 

Ein System, das mit Deutschland nicht zu vergleichen ist. „Kliniken sind hier doch darauf angewiesen, Gewinne zu erwirtschaften“, sagt Augustin. „Geburtshilfe ist, wenn die Geburt normal verläuft, defizitär. Wir haben hier bis zu vierzig Prozent Kaiserschnitte“, sagt Augustin. Ihre Erklärung: „Kaiserschnitte werden besser bezahlt. Und die Frau wird auch dann nach zwei bis drei Tagen aus der Klinik entlassen. Wir Hebammen haben dann die kritischen Fälle draußen weiter zu begleiten.“ 

Ihre Kollegin Karina Brüggemeier arbeitet seit viereinhalb Jahren in Nordrhein Westfalen als freie Hebamme in einem Krankenhaus, in dem neunhundert Geburten pro Jahr stattfinden, und gibt ihr recht. „Wir haben 17 Prozent Kaiserschnitte und 12 Prozent Wassergeburten. Für unser Bundesland eine sehr gute, da geringe Rate. Die Kassen haben kein Interesse, eine normale Geburt stattfinden zu lassen. Die dauert bei einer Erstgebärenden 17 bis 18 Stunden. Ein Kaiserschnitt hingegen wird abgerechnet wie eine Blinddarm-Operation und dauert drei Minuten vom Schnitt, bis das Kind da ist, und dann nochmal zwanzig Minuten zum Zunähen – außerdem ist sie planbar. Ich sag immer, wenn es gewollt wäre, daß wir aus dem Bauch rauskommen, hätten wir da einen Reißverschluß.“

In Deutschland stieg zwar die Zahl der Hebammen von 16.000 im Jahr 2000 auf 24.000 Hebammen im Jahr 2015. Allerdings betrug der Anteil der Hebammen, die Teilzeit oder geringfügig beschäftigt waren, vor zwei Jahren 72,54 Prozent. „Es haben sehr viele Kolleginnen aufgehört zu arbeiten“, sagt Augustin. „Die Belastung ist zu hoch. Durchschnittliche Verbleibezeit im Beruf sind vier Jahre.“

Im Jahr 2015 arbeiteten 9.081 Hebammen in Kliniken, davon 656 in Vollzeit, 6.587 in Teilzeit oder als geringfügig Beschäftigte und 1.838 als freiberufliche Beleghebammen, die mit Kliniken Verträge abschließen und dort die Schwangeren entbinden.

Der Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V. vertritt rund eintausend Hebammen. Er beschrieb 2014 schon die drohende Misere: Hebammen seien gesetzlich verpflichtet, insbesondere geburtshilflich nur mit angemessener Haftpflichtversicherung tätig zu werden. Der Verband behauptete damals: „Das kommt einem Berufsverbot gleich; schlimmstenfalls haben wir zum 01.07.2014 den Untergang der freiberuflichen außerklinischen Geburtshilfe zu beklagen.“ 

Ob das Berufsverbot politisch gewollt ist, sei dahingestellt. Hebammen sind verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Zahlte im Jahr 2002 eine Hebamme noch 453,00 Euro im Jahr, stieg der Satz aktuell auf 7.639,00 Euro an. Tendenz steigend. „Jedes Jahr steigen die Prämien um 12 Prozent“, sagt Brüggemeier. „Dabei blieb jedoch unsere Vergütung nahezu auf dem Stand von 2003. Bis 2020 dürfen wir über höhere Vergütungen nicht einmal verhandeln.“ Was sie besonders ärgert? „Unsere Arbeit ist so wichtig, daß sie mit zehn Millionen Euro versichert wird, aber wir bekommen seit dem 5. September nur eine Pauschale von 160 Euro pro Geburt, zuvor waren es 270 Euro.“

Insofern wundert es nicht, daß die Warnung laut ausgesprochen wird, die Erhöhung der Versicherung bei gleichbleibendem Einkommen käme einem „Berufsverbot“ gleich. „Wir sind den Funktionären der Krankenkassen ein Dorn im Auge“, sagt Augustin. „Die sind nicht böse an sich, die wollen nur einfach Geld verdienen.“

Die Hebamme als Störfaktor? „Das System ist das Problem“, so Augustin. „Die Gesundheit ist von der Politik ins Geldsystem verabschiedet worden.“ Ihre Kollegin erklärt: „Ab dem 1. Januar 2018 dürfen wir freiberufliche Hebammen im Krankenhaus nur noch eine 1:2 Betreuung durchführen. Angestellte Hebammen allerdings eine 1:5 oder sogar 1:10 Betreuung“, sagt Brüggemeier. „Die wollen uns vorschreiben, wieviel wir verdienen dürfen.“ 

Das heißt allerdings auch: Eine Hebamme kommt dann auf bis zu zehn Gebärende – von einer schönen, ruhigen Geburt kann da keine Rede mehr sein.

Weitere Kreißsäle sollen geschlossen werden

Dabei gilt in Deutschland laut Hebammengesetz die „Hinzuziehungspflicht“. Danach darf eine Hebamme eine – normal – verlaufende Geburt alleine leiten, das heißt, ohne einen Arzt hinzuziehen zu müssen. Ein Arzt darf allerdings nur in Notfällen ohne Hebamme entbinden. Auch eine Kaiserschnittgeburt darf nur in Anwesenheit einer Hebamme durchgeführt werden.

Anfang 2017 warnte der Hebammenverband davor, daß die Krankenkassen das Belegsystem abschaffen wollten. Das hätte zur Folge, daß weitere Kreißsäle in den Kliniken geschlossen würden. Im Bundesdurchschnitt würden zwanzig Prozent aller Geburten in Kliniken durch Beleghebammen durchgeführt. In Bayern sähe es allerdings noch dramatischer aus. 2016 wurden in der Landeshauptstadt München 47,8 Prozent aller Geburten von Beleghebammen verantwortet. Das liegt unter anderem daran, daß Kliniken in der teuren Stadt München Schwierigkeiten haben, festangestellte Hebammen einzustellen, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Festangestellte Hebammen bekommen einen Bruttolohn von 2.700 Euro im Monat. „Die Charité in Berlin sucht jetzt übrigens Personal in Südamerika“, sagt Augustin. „Die können zwar kein Deutsch, sind aber billiger.“

Sind Hebammen für Mütter denn überhaupt heute noch wichtig? Die JUNGE FREIHEIT fragte jemanden, der es wissen muß und den es angeht – eine Mutter. „Klar doch“, sagt Melanie T., stolze Mutter zweier Töchter. Luise, sie kam 2013 zur Welt, und Hedwig, sie ist zwei Jahre alt. Melanie Toebbens und ihr Mann wohnen auf dem Land, hatten 2012 gerade ein Haus bezogen, „und als alles sozusagen in trockenen Tüchern war, mein Mann auch mit dem Studium fertig war, da war ich mit Luise schwanger“, lacht die Bautechnikerin, und ihr Glück über die Familie ist ihr anzuhören. „Ich wollte am liebsten eine Hausgeburt, aber meinem Mann war das zu risikoreich. So entschieden wir uns für eine ambulante Geburt in der Klinik.“ Toebbens hatte Fragen über Fragen. „Und die stellte ich dann meiner Hebamme. Sie nahm sich Zeit, erklärte mir, woran ich merke, daß die Wehen kommen. Sie setzte mir Akupunkturnadeln, machte Turnübungen in Geburtsvorbereitungskursen. Sie gab mir Sicherheit und Vertrauen.“

Foto: Eine Hebamme betreut Mutter und Kind noch Wochen nach der Geburt: Die Versorgung wird in Deutschland immer prekärer