© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

„Geheime Arbeitskreise“
EU-Wettbewerbspolitik: Deutsche Autobauer unter Kartellverdacht / Drohende Milliarden-Strafen
Carsten Müller

Nach der Dieselgate-Affäre könnte der deutschen Automobilindustrie der nächste Image-Schaden ins Haus stehen. Denn derzeit ermitteln die EU-Wettbewerbsbehörden massiv wegen des Verdachtes unerlaubter Absprachen. Und das ausgerechnet bei der international prominentesten und wichtigsten Branche in Deutschland. Der Vorwurf lautet, daß sich die fünf wichtigsten Hersteller Mercedes, BMW, Volkswagen und die beiden Töchter Audi und Porsche bereits seit den neunziger Jahren in geheimen Arbeitskreisen über technische Fragen, Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien verständigt hätten.

Nachdem dieser Verdacht bereits im Sommer erstmals geäußert wurde, kam in den vergangenen Wochen nun Tempo in die Ermittlungen. So bekamen die Hersteller inzwischen Besuch von EU-Ermittlern, die Informationen und Daten sammelten – was natürlich nicht gleichbedeutend schon mit Beweisen ist. Doch wurde in der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt, daß sowohl Daimler als auch Volkswagen sich als Kronzeugen den EU-Behörden andienten, um den drohenden hohen Kartellstrafen zu entgehen.

Und die könnten es in sich haben. Denn laut EU-Wettbewerbsrecht dürfen die Hersteller bei dem Nachweis von Kartellabsprachen zu Strafzahlungen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes verurteilt werden. Vor allem Daimler könnte das geschreckt haben. Denn erst im vergangenen Jahr mußten die Stuttgarter mehr als eine Milliarde Euro an Strafzahlungen leisten, weil die EU-Wettbewerbsbehörden dem Hersteller die Beteiligung an einem Lkw-Kartell nachgewiesen hatten. In diesem Fall konnte der Konkurrent MAN die Kronzeugenregelung für sich in Anspruch nehmen und mußte deshalb keine Zahlungen leisten.

Natürlich haben die aktuellen Vorwürfe Brisanz. Denn die Autoindustrie in Deutschland beschäftigt mehr als 800.000 Menschen – Tendenz steigend. Sie ist damit nach dem Maschinenbau (über eine Million Mitarbeiter) die zweitgrößte Industriebranche hierzulande. Durch die Konzentration auf einige wenige große Hersteller und durch die Verwurzelung insbesondere der Zuliefererindustrie im wichtigen mittelständischen Wirtschaftssegment hat sie aber sowohl großen ökonomischen als auch politischen Einfluß. Ein Grund, warum im Rahmen der Dieselgate-Affäre wie auch bei den aktuellen Kartellvorwürfen immer wieder auch der Blick zu den politisch Verantwortlichen geht, denen ein aktives Wegschauen in den vergangenen Jahren vorgeworfen wird.

Auch Banken und andere Industrien sprechen sich ab

Kartelle selbst gehören zur Wirtschaft dazu, seit es funktionierende Märkte gibt. In früheren Zeiten galt die Bildung von Kartellen als legitimer Weg, Wirtschaftskräfte zu bündeln. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg rückten insbesondere die USA davon ab. Heutzutage sind in den meisten Ländern Kartelle verboten und werden auch bei Bekanntwerden zumindest von den Wettbewerbsbehörden in den westlichen Industrieländern verfolgt und bestraft. Was nicht heißt, daß nicht immer wieder Unternehmen versuchen, durch geheime Absprachen Vorteile zu gewinnen oder Nachteile zu minimieren. Die Liste von aufgeflogenen Kartellen in den vergangenen Jahrzehnten ist entsprechend lang und beschränkt sich nicht nur auf wenige Branchen. Zu den jüngeren Kartellen, bei denen auch deutsche Firmen involviert waren, gehört das sogenannte Libor-Kartell. Hier wiesen die Wettbewerbsbehörden den beteiligten Geldhäusern, darunter auch der Deutschen Bank, unerlaubte Absprachen beim Libor-Zinssatz nach. Zu diesem Zinssatz leihen sich Geschäftsbanken untereinander Termingeld, was dann auch auf die Zinsen im Privatkundengeschäft Einfluß hat.

Dafür mußten die beteiligten Banken insgesamt 1,7 Milliarden Euro an Strafen zahlen. Ebenfalls ein Kartell, das aufflog, war das Aufzugs- und Fahrtreppenkartell mit Thyssenkrupp, was rund 480 Millionen Euro Strafe kostete. Ebenfalls mit deutscher Beteiligung lief das Wälzlager-Kartell, wo unter anderem der Schaeffler-Konzern beteiligt war und 370 Millionen Euro fällig wurden.

Kartelle sind aber keine deutsche Spezialität, sondern international üblich. Schaut man, wer bereits für Kartellverstöße geahndet wurde, liest sich dies wie ein globales „Who is who“ der Wirtschaft. Wobei man sicherlich feststellen kann: Insbesondere Firmen in den westlichen Industrieländern stehen hier unter Beobachtung durch die jeweiligen Wettbewerbsbehörden, auch grenzüberschreitend. Aus Schwellenländern wie China und Indien ist wenig bis nichts zu hören, was wohl kaum daran liegt, daß die dortigen Unternehmen besonders moralisch wären.

Strafzahlungen galten nie als existenzbedrohend

In der Praxis heißt das, daß die zuständigen Kartellwächter eher mal ein Auge zudrücken, als das nötige Wirtschaftswachstum abzubremsen. Wobei hier die Grenzen fließend sind, da nicht jedes geahndete Kartell darauf hinauslief, die Verbraucher über abgesprochene Preise zu schädigen. Ein Argument, das jetzt auch von den deutschen Autobauern ins Feld geführt wird.

Daß trotz der verschärften Überwachung Firmen aus den verschiedenen Branchen immer wieder versuchen, hier im geheimen Absprachen zu tätigen, liegt an einer klaren Kosten-Nutzen-Rechnung. Denn auch, wenn die beteiligten Unternehmen beim Auffliegen eines Kartells mit hohen Strafzahlungen rechnen müssen, so galten diese in den meisten Fällen bislang nie als existenzbedrohend. Ein Beispiel dafür liefert erneut Daimler. Die Strafzahlung von gut einer Milliarde Euro wegen der Absprachen im Truck-Geschäft entsprach gerade einmal 2,7 Prozent des 2015er Jahresumsatzes in dieser Sparte.

Das klingt erst einmal relativ hoch. Doch muß bedacht werden, daß damit Verstöße aus einem Zeitraum von 14 Jahren geahndet wurden. Das dürfte auch ein Grund sein, warum solche Kartellstrafen in der Regel nur kurzfristig bei den börsennotierten Aktien der Unternehmen Schaden anrichten. Was nicht heißt, daß speziell bei des Deutschen „liebsten Kind“, dem Auto, die Reputation nicht weiter geschädigt wird. Ob dies am Ende langfristig Folgen für die Absatzzahlen und damit für die Unternehmensgewinne hat, muß abgewartet werden.

Zahlen des Verbandes der Automobilindustrie: vda.de/