© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Die Bilder bleiben stumm
Grand opéra kann auch hinreißend sein: Berlioz’ „Les Troyens“ in Dresden
Sebastian Hennig

Die deutschen Opernhäuser traktieren ihr Publikum seit einigen Jahren verstärkt mit den langweiligen Großopern von Giacomo Meyerbeer. Die fulminanten Vorstöße für seine Ungetüme verenden regelmäßig an der eigenen Feuerkraft. Die Zeit und das Publikum haben ihr Urteil über seine Version der Grand opéra gefällt. Daß es jedoch nicht an diesem Genre selbst liegt, wenn uns „Wirkung ohne Ursache“ (Wagner) ermüdet, zeigt sich an einer Inszenierung von Hector Berlioz’ „Les Troyens“ in Dresden.

Aus der Handlung des zweiten und des vierten der zwölf Bücher von Vergils „Aeneis“ hat der Komponist sich selbst seinen Vers auf die Erlebnisse des Énée gemacht. Der trojanische Held Aeneas (Bryan Register) rettet sein Volk aus der von den Griechen verheerten Heimat. Später reißt er sich aus der liebenden Umarmung der karthagischen Königin Didon (Christa Mayer) los, um seine Leute ins verheißene Italien zu führen. Beide Male läßt er verbrannte Erde zurück.

Im zweiten Akt suchen die trojanischen Frauen den Freitod, um der Schändung durch die herandringenden Griechen zu entgehen. In der Schlußszene der Oper besteigt Didon den Scheiterhaufen. Sie flucht seherisch den scheidenden Trojanern das spätere Verderben Roms durch die Schlacht bei Cannae hinterdrein.

In der Inszenierung von Lydia Steier tragen die Akteure die von Gianluca Falaschi entworfenen Kostüme aus der Entstehungszeit der Oper. In Dresden ist diese historische Verschiebung zum ersten Mal auffällig 1983 in der „Lohengrin“-Inszenierung von Christine Mielitz vorexerziert worden. Seither ist eine Konvention daraus geworden. Man wartet geradezu auf die logische Konsequenz, Opern von Wolfgang Rihm, Bernd Alois Zimmermann und Hans Werner Henze wie einen Film mit Heinz Erhardt oder Lilo Pulver dargeboten zu bekommen.

Nun ist die Mode des Second Empire freilich operngemäßer als die Stillosigkeit der Wirtschaftswunderzeit der Bundesrepublik. Bei einer US-amerikanischen Regisseurin kann kein Sensorium für die zwei Jahrtausende vorausgesetzt werden, die zwischen der Erbauung des Arc de Triomphe und des Arcus Septimii Severi liegen. Das kommt hier als charmante Unbefangenheit der Inszenierung ebenso entgegen, wie Lydia Steier die praktische Erfahrung als ausgebildete Sängerin.

Die Semperoper verfügt über kein Sängerensemble

Während verstärkt Film- und Schauspielregisseure ohne professionelles Verhältnis zu den Wirkungsgesetzen der Musikdramatik auf den Schmelz und Prunk der Opernwelt ihre Metaphern aufsatteln, hat sie sich über die Chorregie der Opernregie angenähert. Und „Les Troyens“ braucht einen Feldherrn für die großen Massenbewegungen. In Dresden sind Kinderchor, Chor der Staats-oper und Extrachor im Einsatz. Berlioz’ nicht viel mehr als anständige Musik wird durch die Staatskapelle unter John Fiore nobilitiert. Sie erhält eine sachte Wucht und eine filigrane Großartigkeit.

Steier hat zwar rein handwerklich gute Arbeit geleistet. Jedoch ihre hilflosen Anspielungen und Grobheiten übersieht man besser. Sie ist nicht mit aller Kraft in die falsche Richtung gestürmt, spürte aber auch keine Kraft in sich, die richtige einzuschlagen. Es handelt sich bei dieser Oper eigentlich um eine Reihe von stummen Bildern, die musikalisch reizvoll untermalt werden. 

Zur Premiere blieben viele Sitze frei. Es werden die Dresdner gewesen sein, die eine nahezu vollständige angloamerikanische Okkupation ihrer ehrwürdigen Bühne freilich nicht goutieren. Diese Übernahme betraf zwei Drittel der sängerischen Hauptpartien, die Regie und den Dirigenten. Wollen hier die Numider der Dido beweisen, wie Oper geht, und bedienen sich ihres Orchesters und ihres Chores dazu? Das Trojanische Pferd steht in der Burg, und die Trojaner suchen in der Fremde eine neue Heimat. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Dresdner Oper eine ganze Zahl hervorragender Sänger nicht am Haus halten wollen oder können, die nun zuweilen teuer eingekauft werden müssen, wie Camilla Nylund, Klaus Florian Vogt und Evelyn Herlitzius.

Diese Unziemlichkeit verdient die Ignoranz des einheimischen Publikums auch bei passabler Leistung. Dresden ist eine Stadt mit einer hervorragenden Musikkultur und es ist nicht einzusehen, warum die Semperoper über kein Sängerensemble verfügt. Eine dringend nötige Korrektur der Kulturpolitik sollte den guten Häusern wieder ein stehendes Heer an großen Stimmen ermöglichen. Darunter werden immer auch auswärtige Talente sein, die hier eine Heimat finden. In Dresden beweisen in dieser Vorstellung der Niedersachse Christoph Pohl und die Bayerin Christa Mayer als Chorèbe und Didon, welche Entwicklung möglich ist in einem festen Engagement. 

Die letzte Vorstellung von„Les Troyens“ in der Semperoper Dresden, Theaterplatz 2, findet am 3. November um 18 Uhr statt. Kartentelefon: 03 51 / 49 11 705

 www.semperoper.de