© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Träume von der weiten Welt
Den Fotografen eines ungewöhnlichen DDR-Magazins widmet sich eine umfangreiche Schau in den Rüsselsheimer Opelvillen
Claus-M. Wolfschlag

Die Frauenzeitschrift Sibylle, benannt nach ihrer Gründerin Sibylle Boden-Gerstner, erschien in der DDR ab 1956 sechsmal im Jahr in einer Auflage von 200.000 Exemplaren, die regelmäßig rasch ausverkauft waren. Anfang 1995 mußte das Blatt, bei dem die Modefotografie im Vordergrund stand, sein Erscheinen einstellen.

Eine Ausstellung in Rüsselsheim mit über 200 Fotografien verdeutlicht, daß die „Zeitschrift für Mode und Kultur“ eine Ausnahmeerscheinung in der DDR war. Trotz beschränkter Veröffentlichungsmöglichkeiten gelang es, aus ihr  einen Hort künstlerisch ambitionierter Fotografie werden zu lassen. Dabei ist die Handschrift der verschiedenen Fotografen klar erkennbar. Bevorzugten Roger Melis und Günter Rössler Szenerien, die wie beiläufig aufgenommen erscheinen, so steht Elisabeth Meinke für klare Kompositionen mit einem Hang zum Romantischen. Hans Praefke gab seinen Bildern durch Diagonal-Ausrichtungen und Körperdrehungen ein bizarres Gepräge. Den Fokus auf Berliner Stadtansichten und Architekturdetails legten wiederum Ute Mahler und Ulrich Wüst.

Die Fotografien zeigten die natürliche, kluge Frau in tragbarer Mode bei der Arbeit, auf der Straße, im Alltag. „Das heutige Originalitätsbestreben, diese Pseudokunst in den Modejournalen, kannten wir damals alle nicht“, äußerte Roger Melis. Die Bilder sollten ein angenehmes Lebensgefühl vermitteln, bei dem das abgebildete Kleid nicht so wichtig wie die Anregung durch die Fotos war. Diese bedienten aber auch Träume von der weiten Welt. So wurde unter anderem 1967 das Rollfeld des Flughafens Berlin-Schönefeld als Lokalität für Aufnahmen gewählt. Damen mit Reisetaschen und weißen Trenchcoats, eine mit Baskenmütze, die andere Mulattin, warten auf den Einstieg ins Flugzeug. Ebenso wurden gern auch Aufnahmen aus ausländischen Städten als Hintergrundmotive genutzt, beispielsweise aus Leningrad, nach der Wende schließlich aus der Wüste Gran Canarias und Lanzarotes.

Es dominierten indes Modelle in Alltagsszenen, bei denen auch der rauhe Charme der DDR deutlich hervortritt. Hier sieht man Kostüme mit Viereckmustern in der Schönhauser Allee der sechziger Jahre, dort lange Stiefel zum schwarzen Mantel vor Schloß Bernburg 1971. Bilder vom Prenzlauer Berg und aus Berlin-Marzahn der Achtziger bieten manch interessantes Detail. Modelle stehen in der Telefonzelle, vor Industrieanlagen, vor Wäscheleinen oder dem noch nicht wieder aufgebauten Berliner Dom. Frauen rauchen Zigaretten. Passanten nehmen in den Straßenszenen die Rolle von Statisten ein. Modell Birgit posiert 1984 vor einem schwer dampfenden Schlot und Plattenblocks. Die schwangere Julia zeigt sich 1982 in einer Berliner Straßenbahn und vor Plakaten der damaligen Politprominenz.

Auch die Einflüsse der westlichen Hippie- und Pop-Kultur sind in den Häkelmützen und Stirnbändern der siebziger und achtziger Jahre deutlich wahrnehmbar. „Damals, in der DDR, hatte die Modefotografie eine dienende Aufgabe. Trotzdem ist etwas Eigenes entstanden. Modefotografie dient immer einem Zweck, heute wie damals“, äußerte Fotograf Arno Fischer zu seinem damaligen Wirken. „Nicht ohne Rührung erinnere ich mich an Passanten, die uns auf der Straße bei Modeaufnahmen ansprachen und uns beglückwünschten und sich für die neue Sibylle bedankten. Es gab doch nichts anderes. Die Mauer stand. Der Alltag wirkte grau. Das Fernsehen der DDR nahm kaum einer ernst, es gab keine internationalen Filme, keine westlichen Zeitschriften. Wo sollten sich die Leute informieren? Woran sollten sie sich erfreuen?“

Die Ausstellung „Sibylle. Die Fotografen“ ist noch bis zum 26. November in den Opelvillen Rüsselsheim, Ludwig-Dörfler-Allee 9, zu sehen. Geöffnet ist von Mittwoch und Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Telefon: 0 61 42 / 835 907

 www.opelvillen.de