© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Eine unfertige Ideologie
Intelligenz und Faschismus: Vortrag in der Bibliothek des Konservatismus
Björn Harms

Der finnische Literaturwissenschaftler Tarmo Kunnas (75) hat davor gewarnt, den historischen Faschismusbegriff mit der heutigen Kampfvokabel gleichzusetzen. Der inflationäre Gebrauch behindere eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik und sei ihm zuwider, sagte er am Mittwoch vergangener Woche bei einem Vortrag in der Berliner Bibliothek des Konservatismus. Die Bildungseinrichtung hatte Kunnas eingeladen, sein neues Buch „Faszination eines Trugbildes – Die europäische Intelligenz und die faschistische Versuchung 1919–1945“ (Brienna-Verlag) vorzustellen. In dem in mehreren Sprachen erschienenen Werk analysiert der Autor das Verhältnis von etwa 80 europäischen Intellektuellen der dreißiger und vierziger Jahre zum Faschismus.

Im weiteren Verlauf des Vortrags vor rund 70 Zuhörern konzentrierte sich Kunnas auf den ideengeschichtlichen Überbau. „Faschismus ist improvisatorisch“, lautete eine seiner Kernthesen. Die unfertige Ideologie sei deshalb vor allem für die Kritiker des Rationalismus attraktiv gewesen. Mit seinen aufwendigen Inszenierungsformen appelliere der Faschismus geradezu an Sehnsüchte, die bereits seit der Romantik und ihrer Idee einer Poetisierung des Lebens virulent gewesen seien. Aus diesem Grund müsse auch der Begriff des politischen Engagements relativiert werden. Es gehe vielmehr um gemeinsame Mythen, die jeder im persönlichen Kontext unterschiedlich verstand. 

Der Faschismus sei als eine Art Warenhaus zu betrachten, aus dem jeder Intellektuelle sich frei bediente. Die einen stellten die Verhinderung eines vermeintlichen zivilisatorischen Verfalls ins Zentrum ihrer Philosophie, andere die Ablehnung des Liberalismus und seiner ökonomischen Prämissen. Größtenteils seien die Intellektuellen eben doch Freigeister gewesen, die sich einer angepaßten Ordnung nur schwer unterwerfen konnten, so Kunnas.