© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

Linkspartei: Schein und Wirklichkeit
Ewiges Elend
Rolf Stolz

Im Juni 2017 hatte die sich die „Die Linke“ nennende Ex-PDS in Hannover ihr Wahlprogramm unter dem schönen Titel „Sozial. Gerecht. Frieden. Für alle.“ beschlossen, an dem wie einst bei der FDP das einzig Neue die Pünktchen im Titel waren. „Gute Arbeit“ und „gute Renten“ natürlich „für alle“ wollte man, denn „es liegt an uns allen“, ein „Europa der Menschen“ zu erkämpfen und nicht etwa eines der Eichhörnchen und Braunbären. Die berechtigte Kritik am Finanzkapitalismus wird dadurch kastriert, daß man wie die Großfinanziers als Hauptfeind „Populismus“, „Rassismus“ und „Nationalismus“ definiert und unterschiedslos alle „Geflüchteten“, also auch die Scharia-Missionare und Islam-Terroristen, im Wolkenkuckucksheim der „sozialen Einwanderungsgesellschaft“ begrüßt. Kein Wort, wie man denn „die Reichen“ dazu bewegen will, das zu bezahlen. Heiße Luft, rot eingefärbt!

Das Ergebnis der Bundestagswahl am 24. September – 9,2 Prozent, immerhin 0,6 Prozentpunkte mehr als 2013 und fast doppelt soviel wie bei der niedersächsischen Landtagswahl am 15. Oktober, aber überholt von AfD und FDP – brachte das verdiente Ausnüchtern.

Der „Bereich Strategie & Grundsatzfragen Die Linke“ legte daraufhin auf 32 Seiten einen „Wahlnachtbericht“ vor, der nicht etwa die Zahl der in der fraglichen Nacht genossenen Wut-Schnäpse und Frust-Joints aufführte, sondern lamentierte: „Daß das Zuwanderungs- und Flüchtlingsthema die Bevölkerung weiterhin bewegt, lieferte der AfD auch zur Bundestagswahl sichtbare Mobilisierungschancen. Vier von zehn Wähler_innen fanden es zudem gut, daß die AfD den Einfluß des Islam verringern will. AfD-Wähler wollen, laut Infratest Dimap, daß der Einfluß des Islam verringert wird (99 Prozent), der Zuzug von Flüchtlingen begrenzt wird (96 Prozent) und eine schnellere Abschiebung von Asylbewerber_innen (100 Prozent). Sie haben Sorge vor dem Verlust deutscher Kultur (95 Prozent) beziehungsweise vor einer Veränderung des Lebens in Deutschland (94 Prozent) und vor Zunahme der Kriminalität (91 Prozent).“

Mit anderen Worten: Die Linkspartei will mehr Einfluß des Islam, mehr Flüchtlinge, weniger Abschiebungen, mehr Kriminalität und die Eliminierung der deutschen Kultur, sagt das aber lieber durch die Blume.

Nachdem Marx und Engels die Ideen der Trias Kant–Fichte–Hegel weitergedacht und radikalisiert hatten, war es für die historische Linke trotz aller Alltagspraxelei und Fraktionsstreitigkeiten zentral, daß bedeutende politische Denker wie Georg Lukács (1885–1971), Karl Korsch (1886–1961), Antonio Gramsci (1891–1937) und der Soziologe Karl August Wittfogel (1896–1988) Vergangenheit und Gegenwart analysierten. Denn bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war auch in Europa die Linke noch eine reale politische Alternative zu den anderen Lagern – dem liberalen und dem konservativen Bürgertum, ständisch-agrarisch geprägten autoritären Bewegungen und den Faschisten. Es ging also für die Linke damals nicht lediglich um Utopie- und Projektphantasien, sondern um das Vorausdenken politischer Machtausübung.

Nach 1945 gelangte die Linke nur noch da an die Macht, wo sie  von der Roten Armee ins Amt gehoben wurde, oder aber sie wurde ministrabel, indem sie sich als gemäßigte Linke, wie die SPD des Godesberger Programms,  bis zur Selbstaufgabe zurechtfrisierte.

Nach 1945 dagegen gelangte die Linke in Europa nur noch da an die Macht, wo sie, wie in Osteuropa, von der Roten Armee ins Amt gehoben wurde oder wie in Jugoslawien den Partisanenkrieg gewann. Oder aber sie wurde ministrabel und regierungsverwendbar, indem sie sich als gemäßigte Linke, wie die SPD des Godesberger Programms von 1959, bis zur Selbstaufgabe zurechtfrisierte.

Dieser Prozeß schuf naturgemäß politischen Spielraum (im wahrsten Sinne des Wortes als intellektuell-propagandistisches Glasperlenspiel) für randständige Gruppierungen und Politsekten, die in den sechziger und siebziger Jahren viele Lärmeffekte, aber wenig nachhaltig positive Ergebnisse erzeugten. Parallel dazu wurde im westlichen Europa die kommunistische Linke so marginal wie in der frühen Bundesrepublik, oder sie wurde, wie in Frankreich und Italien, von den triumphierenden Granden der christsozialdemokratischen Großkoalition eingegrenzt auf die Rolle eines Revolutionskaspers und Wasserträgers für Politiker wie François Mitterrand und Bettino Craxi.

Die PDS-Nachfolgepartei behauptet, diese historische Linke zu sein oder sie wenigstens zu repräsentieren. Nur ein Narr, der von der Geschichte, auch der der Arbeiterbewegung, allenfalls den „Kurzen Lehrgang“ bundesdeutscher Hilfsschulen mitbekommen hat, kann diesen Schwindel glauben. Bei unseren Meistern im Linken der Wählerschaft handelt es sich nicht einmal um ein kleineres Übel, sondern, wie die rot-rot-grünen Landesregierungen deutlich demonstrieren, um einen geschwürigen Wurmfortsatz der „Spezialdemokraten“ und der grünen FDP-Imitierer. Es gab und es gibt demokratische Sozialisten – und ihnen will man als Hoffnungsträger ausgerechnet die SED-Enkel offerieren, die Friedhofsruhe verbreiten wollen mit dem Rückgriff auf die staatliche Repression aus dem Hause Maas und mit Haßkampagnen gegen alle angeblich „Rechten“?

Es gab und es gibt eine humanistische und aufklärerische Linke. Die soll sich wiederfinden in den Steigbügelhaltern des Islamismus, die einen Aiman Mazyek beklatschen, der die Vereinbarkeit von Scharia und Grundgesetz behauptet? Es gab und es gibt einen christlichen Sozialismus – der soll sich vertreten fühlen von denen, die mit Abtreibungsbegeisterten und den realfaschistischen Antifa-Schlägern den „Marsch für das Leben“ terrorisieren? Es gab und es gibt eine nationale Linke (jenseits der historischen Nationalkommunisten der Weimarer Republik um Fritz Wolffheim und Heinrich Laufenberg, jenseits von Richard Scheringer, an dessen Grab 1986 Ernst Jünger einen Kranz mit der Aufschrift „Dem alten Freunde“ niederlegen ließ) – und die soll ausgerechnet denen zujubeln, die von der bunten Hauptstadt aus Umvolkung und Volkstod ganz im Sinne des Hitlerschen Selbstmord-Testaments betreiben?

Wer nicht weiß und nicht wissen will, woher er kommt, der wird nicht erfahren, wohin er mit seinen Aktionen steuert und wo das alles enden wird. Deshalb ist es elementar, wie eine politische Partei zu ihren Vorfahren und Vorläufern steht. Die sogenannte „Linke“ baut auf dem ideologischen, organisatorischen und finanziellen Fundament der PDS auf. Die 2007 bei Gründung eingemeindeten knapp 9.000 WASGler wie auch die sonstigen linken Blutspende-Gruppen waren dabei nur Beimischung und Baumaterial. Die PDS wiederum war nichts als die unter dem Zwang unerwünschter Entwicklungen umgruppierte und umfirmierte SED. Diese wiederum war spätestens ab 1948 in allererster Linie eine komplett von der Sowjetunion dirigierte und aufrechterhaltene Truppe, was sich nicht zuletzt beim Volksaufstand des 17. Juni 1953 offenbarte.

Insofern muß jede kritische historisch-materialistische Überprüfung der „Linken“ zurückgehen auf Ursprung und Wurzelgrund der SED, sprich auf die bolschewistische Partei Lenins, die Oktoberrevolution, die von Lenin und Trotzki zu verantwortenden Massaker beim Tambower Bauernaufstand 1920 bis 1922 und beim Kronstädter Matrosenaufstand 1921, vor allem aber auf den weiß Gott nicht mit dem Tode Stalins verschwundenen Stalinismus. Wer nicht die Katze im Sack kaufen will, der sollte unserer „SED 2.0“ klare Aussagen abverlangen, ob der Bolschewismus ein Verbrechen am Volk und an den Arbeitern war oder nicht. Ob nicht jene erschossenen oder in KZs am Eismeer verschleppten Sozialrevolutionäre und Ex-Kommunisten völlig recht hatten, die 1921 in Kronstadt verlangten: „Alle Macht den Räten – Keine Macht der Partei“.

Gegenwart entsteht aus Vergangenheit. Jede Fraktion der Linken muß beantworten, wie sie zu den Opfern des Terrors von Tscheka, den Gestorbenen des Holodomors, den Millionen Deportierten, den Vergewaltigten und den Opfern der Volksaufstände steht.

Die Gegenwart entsteht aus der Vergangenheit. Insofern muß jede Fraktion der heutigen Linken beantworten, wie sie zu den unzähligen Ermordeten und Gequälten steht: den Opfern des Terrors von Tscheka und GPU (Nachfolgerin des vorgenannten und Vorläufer des KGB), den Millionen Gestorbenen des Holodomors (der von Stalin nach 1932 in der Ukraine bewußt herbeigeführten Hungerkatastrophe), den Millionen nach Zentralasien und Sibirien Deportierten, den in Ostdeutschland von der Roten Armee umgebrachten Zivilisten, den zwei Millionen vergewaltigten deutschen Frauen, den aus Lagern im Reich in sowjetische Lager verbrachten kriegsgefangenen russischen Soldaten, den Opfern der Volksaufstände und den Mauertoten der DDR. Nichts davon ist vergessen, nichts ist vergeben.

Die Kippings, Riexinger und Co. haben wenig bis nichts aus der Vergangenheit gelernt. Daher wundert es nicht, daß ihre konkreten Politikvorschläge so borniert und perspektivlos sind. Noch weniger erstaunt es, daß eine Sahra Wagenknecht sofort zurückgepfiffen wird, wenn sie etwa in Sachen Flüchtlinge ein Schrittchen in Richtung Wahrheit und Rationalität macht. Da tobt man doch lieber im Gleichschritt mit den anderen Blockparteien gegen eine angebliche „Orbánisierung“ Europas und gegen „Abschottungsaktionismus“.

Die Kapitalismuskritik der real vegetierenden Linken reicht nicht über eine Beschreibung der gegebenen Miseren hinaus, wie sie seit Jahrzehnten bis weit ins bürgerliche Lager geteilt wird. Wo es aber um ein Entwickeln von Alternativen geht, wird teils ausgewichen auf sozialdemagogische Reförmchen, teils die immer wieder gescheiterte sozialistische Planwirtschaft mit all ihrer Staatsbürokratie angepriesen. Den Mut, entschieden auf genossenschaftliche Kooperation und selbstbewußte mittelständische Familienbetriebe zu setzen und gleichzeitig für eine antimonopolistische und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsordnung zu plädieren, bringen natürlich diejenigen nicht auf, die die angeblich antiquierte Familie, durch gegenderte Regenbogen-Konglomerate ersetzen wollen. Statt sich dem Globalismus und der in Richtung einer Zweit-Nato driftenden Brüsseler EUdSSR entgegenzustellen, wird aus dem linkelnden Zentralkomitee gegiftet gegen das Volk, die „Populisten“, die Nationalstaaten.

Welcher politische Mehrwert gegenüber dem Merkel-Rechtsbruch-System oder gegenüber dem SPD-Spagat zwischen Profitanbetung einerseits und homöopathischer Reformrhetorik andererseits soll denn von einer Linken kommen, die durch Annette Groth, die frühere „menschenrechtspolitische Sprecherin“ der alten Bundestagsfraktion „Die Linke“, die Verbreitung der liberalen Schweizer Zeitung Weltwoche in Deutschland – wegen angeblichen „rassistischen und antitsiganistischen“ Äußerungen – verbieten lassen will (welch eine Wiederauferstehung der DDR!). Oder durch Harald Petzold, den früheren medienpolitischen Sprecher ebenderselben Bundestagsfraktion, erklären ließ: „Es ist ein zentrales medienpolitisches Anliegen der Linken, die Vielfalt der Presse- und Medienlandschaft zu bewahren und sie dort, wo sie gefährdet ist oder bereits außer Kraft gesetzt wurde, wiederherzustellen. Presse- und Meinungsfreiheit sind die Grundpfeiler einer jeden Demokratie und ihrer Streitkultur. Darüber sollte unter den demokratischen Parteien Konsens herrschen“?!

Konsens sollte herrschen unter allen Demokraten und wahrhaft Oppositionellen, daß diese Partei so nötig ist wie ein Kropf, daß sie nur von dem falschen Anschein lebt, sie sei anders oder doch ein wenig besser als der Rest der informellen Berliner Altparteien-Koalition. 






Rolf Stolz, Jahrgang 1949, ist Diplom-Psychologe. Er war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Erinnerungskultur zwischen Deutschland und Polen („Offen miteinander reden“, JF 45/15).

Foto: Demonstration der Linken vor dem Bundestag: In der Erkenntnis des Hauptfeindes ist sich „Die Linke“ mit der Großfinanz einig: gegen „Populismus“, „Rassismus“ und „Nationalismus“