© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Opposition ist Mist
Paul Rosen

Die SPD ist schon eine wundersame Einrichtung: Sie kann gleichzeitig regieren und opponieren. Während bis auf die zurückgetretene Andrea Nahles alle SPD-Minister weiter in ihren bequemen Sesseln am Kabinettstisch sitzen und „geschäftsführend“ auf den Tag der Regierungsneubildung und damit ihre Ablösung durch die geplante Jamaika-Koalition warten, bringt die SPD-Fraktion im Bundestag die ersten Anträge und Gesetzentwürfe ein – als Opposition. 

So fordert die SPD ein Verbot für grüne Gentechnik, ein anderer Antrag zielt gegen eine Aushöhlung des Mindestlohngesetzes, und ganz im Sinne ihrer Tradition als Arbeiterpartei fordert man Sicherheit für die Beschäftigten beim geplanten Zusammenschluß der Stahlhersteller Thyssen-Krupp und Tata Steel. 

Der Aktionismus der neuen Fraktionsspitze mit Nahles als Vorsitzender und Carsten Schneider als Erstem Parlamentarischen Geschäftsführer kann aber nicht verdecken, daß es um die deutsche Sozialdemokratie nicht gut steht. Elf Parteivorsitzende hat sie seit der Wiedervereinigung 1990, die CDU hatte in dieser Zeit drei. 

Und nach dem blamablen Wahlergebnis von 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl im September wollen viele nichts mehr davon wissen, daß sie Martin Schulz gerade vor einem halben Jahr mit 100 Prozent ins Amt hievten. Sigmar Gabriel kritisierte als direkter Vorgänger von Schulz, den er sogar empfohlen hatte, seinen Nachfolger deutlich. Dessen Wahlkampfslogan „Zeit für Gerechtigkeit“ sei problematisch für die SPD, die von den letzten 20 Jahren 16 Jahre in der Regierung verbracht habe, „weil die Frage auf der Hand liegt: Was habt ihr eigentlich gemacht?“  

Schulz bleibt hingegen auf der bekannten Linie und fordert seine Partei auf, mehr Kapitalismuskritik zu üben. Sodann meldete sich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zu Wort, der seiner Partei einen pragmatischen Kurs für Wirtschaftswachstum, Fortschritt und soziale Gerechtigkeit empfahl. Außerdem will Scholz eine „schonungslose Betrachtung der Lage“. Bei der Ursachenforschung dürfe es „keine Ausflüchte“ geben. 

Die Personalentscheidungen sehen aber eher wie „weiter so“ statt Neubeginn aus. Zu männlich und niedersächsisch dominiert sei die Führung, wird kritisiert. Viele Posten zu vergeben hat die SPD nicht mehr, und daher ist schon erstaunlich, daß die Fraktion das Amt des Bundestagsvizepräsidenten mit dem Niedersachsen Thomas Oppermann besetzte und Generalsekretär der Partei Lars Klingbeil, ebenfalls aus Nieder-sachsen, werden soll. Schneider ist aus Thüringen, Nahles aus Rheinland-Pfalz. Damit hat kein Genosse aus Süddeutschland einen Spitzenplatz in der SPD. 

Schulz kritisiert zwar lautstark die „royalen Balkonbilder“ der Jamaika-Sondierer in der Parlamentarischen Gesellschaft. Aber es scheint ein neidischer Unterton mitzuschwingen, daß er selbst nicht auf dem Balkon steht. Wie sagte doch einer von Schulz’ Vorgängern, Franz Müntefering: „Opposition ist Mist.“