© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

„Willkommen zurück, Martin“
Sag niemals nie: Martin Hohmann gehört wieder dem Bundestag an, nur für andere Partei als früher
Hinrich Rohbohm

Als er den Saal des Bürgerhauses Johannesberg in Fulda betritt, wird es unruhig unter den Zuhörern. Einige richten ihre Blicke auf den ankommenden neuen Gast. Stimmengemurmel. Dann unterbricht der Redner mit dem Mikrofon in der Hand seinen Vortrag, improvisiert. „Es ist mir eine große Ehre. Ich begrüße unseren Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann.“ 

Beifall brandet auf. Der 69 Jahre alte ehemalige CDU-Parlamentarier muß an diesem Sonntagnachmittag viele Hände schütteln, viele Einzelgespräche führen. Die AfD hat die Kandidaten für den hessischen Landesvorstand zu einem Mitgliedertreffen des Kreisverbandes Fulda geladen. Ein Heimspiel für den Neuhofer, der hier seinen Bundestagswahlkreis hat. Fast 20 Jahre ist es her, da hatte er ihn schon einmal vertreten. Damals noch als CDU-Abgeordneter. Und als Nachfolger des nationalkonservativen Aushängeschildes der Union, Alfred Dregger. 

„Das ist vorbei“, sagt Hohmann trocken. Er verabschiedet sich von seinen neuen politischen Weggefährten, geht zu seinem Auto. Der Kofferraum ist noch gefüllt mit AfD-Wahlkampfmaterial. Er kramt ein Plakat hervor. „Hohmann bleibt Hohmann“ steht drauf. Das paßt. Martin Hohmann ist seinen Überzeugungen treu geblieben. Einst hatte er dafür einen hohen Preis zahlen müssen. 

Ein sehr freundlicher       Abschiedsbrief von Kohl

Ausgangspunkt war eine Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2003, organisiert von Hohmanns Heimatgemeinde Neuhof, in der er 14 Jahre das Amt des Bürgermeisters bekleidet hatte. 150 Zuhörer waren gekommen. „Niemand hatte sich damals an meinen Ausführungen gestört. Auch in der Fuldaer Zeitung erschien ein normaler Artikel“, erinnert sich der Politiker. „Kann ich die Rede ins Internet stellen?“ fragte ihn der örtliche CDU-Vorsitzende. Er konnte. Nicht ahnend, welche mediale Treibjagd dadurch ihren Anfang nehmen sollte (siehe Chronik).

„Weder die Juden noch die Deutschen sind ein Tätervolk. Es gibt dunkle Seiten in der Geschichte vieler Völker. Aber das Tätervolk gibt es nicht“, hatte er zum Ausdruck bringen wollen. Doch die Schlagzeile, die auf der Internetseite der „Tagesschau“ Wochen später zu lesen sein sollte, lautete anders. „CDU-Abgeordneter nennt Juden Tätervolk“ war da zu lesen. „Ein Fall von Fake News. Man hatte den Kern meiner Rede genau ins Gegenteil verkehrt“, sagt Hohmann.

In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dessen Vorsitz ein Jahr zuvor Angela Merkel übernommen hatte, stellte man ihn dennoch vor die Wahl: Distanzierung von der Rede oder Fraktions- und Parteiausschluß. „Die CDU hatte sich von der linken Medienkamarilla die Deutung vorgeben lassen. Keiner wollte sich bei dem sensiblen Thema die Finger verbrennen“, erklärt Hohmann. Er habe sich dann „für die Wahrheit entschieden.“ Als erstes mußte er dafür seinen Platz im Innenausschuß räumen. „Meine Strafversetzung hatte immerhin zur Familienbildung von Kristina Schröder beigetragen“, nimmt der gelernte Jurist den Vorgang mit Humor. Die ehemalige Bundesfamilienministerin wurde in dem Gremium seine Nachfolgerin. Und sollte dort ihren späteren Mann, den heutigen parlamentarischen Staatssekretär Ole Schröder, kennenlernen.

Im November 2003 folgt der Fraktions-, ein Jahr später der Parteiausschluß. Als Fraktionsloser erhielt Hohmann im Bundestag einen anderen Sitzplatz. Abseits seiner alten Fraktion. „Setz dich da nicht hin. Das ist diskriminierend“, riet ihm damals sein Parlamentskollege Norbert Geis (CSU). „Tatsächlich habe ich diesen Platz nie eingenommen“, verrät der ehemalige Kriminaloberrat, der sich statt dessen stets auf einer Sitzbank hinter seiner alten Fraktion niederließ.

Hohmann gab nicht auf. Als Parteiloser kandidierte er erneut für seinen Wahlkreis. Und erreichte mit 21,5 Prozent der Erststimmen ein äußerst respektables Ergebnis. „Es wäre noch mehr drin gewesen. Aber laut Wahlgesetz wären meine Stimmen bei Erlangung des Direktmandats der stärksten Partei abgezogen worden.“ Genauer: Die CDU hätte Stimmen verloren, was viele trotz ihrer Sympathien für Hohmann nicht wollten. 

Wir fahren mit ihm zum Fuldaer Dom. Kirche und christlicher Glaube haben für den Konservativen einen hohen Stellenwert. Kurz nach dem Tod des Erzbischofs von Fulda, Johannes Dyba, hatte sich dessen Neffe in einem Brief an Hohmann gewandt. „Er bedankte sich bei mir für die stetige Unterstützung seines Onkels.“ Dabei erwähnte er, daß Johannes Dyba sehr froh darüber gewesen sei, ihn als Abgeordneten in Fulda zu haben. „Das empfand ich wie einen Ritterschlag“, erzählt Hohmann.

Nachdenklich blickt er von der Pauluspromenade auf den Dom und die Michaelskirche. „Ich hatte mit der Politik abgeschlossen“, sagt er leise. Viele in der Union hatten ihn eigentlich in der Fraktion halten wollen. Altbundeskanzler Helmut Kohl höchstpersönlich schrieb ihm einen „sehr freundlichen Abschiedsbrief“. Doch nach der Amtsübernahme Angela Merkels wehte ein neuer Wind bei den Christdemokraten. Ein Wind, der von links kam.

Der Fahrdienst des Bundestages wartet bereits

Auch auf der Pauluspromenade kommen Windböen auf. Blätter lösen sich von den Bäumen, wehen auf den naßkalten Asphalt. Herbstwetter. Wie für Martin Hohmann brachen auch für andere Konservative in der Union ungemütliche Zeiten an.

Die von Merkels Vorgänger Friedrich Merz angestoßene Leitkultur-Debatte war gerade zu Grabe getragen worden. „Friedrich, was ist denn damit geworden?“, hatte Hohmann den damaligen CDU/CSU-Fraktionschef auf einer Veranstaltung des Bundes der Selbständigen in Nordrhein-Westfalen irgendwann zwischen 2000 und 2002 einmal gefragt. „Was soll ich machen, wenn jemand an der Spitze das nicht will“, hatte der vielsagend entgegnet.

„Keiner hatte geglaubt, daß sich die CDU unter Merkel so stark verändern würde“, meint Hohmann. Eine Gegenkandidatur von Friedrich Merz sei nicht möglich gewesen. „In der Geschäftsordnung der CDU/CSU-Fraktion steht: Die Vorsitzenden der CDU und CSU schlagen den Fraktionsvorsitzenden vor.“ Da sich Angela Merkel seinerzeit von Edmund Stoiber im Gegenzug zu dessen Kanzlerkandidatur den Fraktionsvorsitz von ihm habe zusichern lassen, bestand diese Möglichkeit nicht.

Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2005 bricht für Hohmann ein neuer Lebensabschnitt an. Zeiten großen Glücks, wie er sagt. „Ich konnte mich jetzt um meine Enkeltöchter kümmern und all das tun, was für die eigenen Kinder kaum möglich gewesen war.“ Als sich 2013 die Alternative für Deutschland gründet, bahnt sich für ihn jedoch unverhofft ein zweiter politischer Frühling an. Bei der hessischen Kommunalwahl im vorigen Jahr wurde er in den Fuldaer Kreistag und dort zum AfD-Fraktionsvorsitzenden gewählt. Ein Jahr später gelingt ihm der Wiedereinzug in den Bundestag.

Es ist noch dunkel, als Martin Hohmann am Montag, dem 23. Oktober 2017, kurz nach sieben Uhr den Bahnhof von Fulda betritt. In wenigen Minuten fährt an Gleis 6 der Zug Richtung Berlin ab. Für den 69jährigen eine Fahrt zurück ins politische Geschäft. Der neue Bundestag konstituiert sich.

„Willkommen zurück, Martin!“, ruft ihm im Zug jemand freundlich zu. Es ist Manfred Grund, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ebenfalls auf dem Weg in die Hauptstadt. Hohmann trifft hier auch auf seine hessischen AfD-Bundestagskollegen Mariana Harder-Kühnel, Joana Cotar und Uwe Schulz sowie auf den bayerischen AfD-Abgeordneten Wolfgang Wiehle. Neuigkeiten werden ausgetauscht, Telefonate geführt.

Am Berliner Hauptbahnhof angekommen, wartet bereits der verständigte Fahrdienst des Bundestages auf die Gruppe. „Das hätten Sie mir doch sagen müssen, daß Sie so viele sind“, ruft der Chauffeur entsetzt. Martin Hohmann entschädigt das Malheur mit einem Trinkgeld.

Es ist 10.40 Uhr. Der Gang in die neuen Büros muß warten, in zwanzig Minuten beginnt die Fraktionssitzung.Raus aus dem Wagen. Durch die Sicherheitsschleuse am Eingang, mit dem Fahrstuhl zum Fraktionssaal. Dort hat sich ein gutes Dutzend Journalisten mit Kameras und Stativen aufgebaut. Sie warten auf Albrecht Glaser, den die AfD zum Bundestagsvizepräsidenten wählen lassen möchte, die anderen Fraktionen aufgrund dessen islamkritischer Äußerungen aber nicht mittragen wollen. Nach der Fraktionssitzung folgt der nächste Termin. Besprechung mit der hessischen AfD-Landesgruppe. Martin Hohmann soll ihr Sprecher werden.

Erst am Nachmittag findet sich  Zeit, das Büro in der Dorotheenstraße zu beziehen. Schlüsselübergabe. Hohmann muß sich einen 16 Quadratmeter großen Raum mit Mariana Harder-Kühnel teilen. Die freut sich. „Mit einem erfahrenen Abgeordneten im gleichen Büro kann ich mich sofort gut einarbeiten.“ „Das wird Ihnen sicher schneller gelingen als damals den Grünen“, meint ein langjähriger Bundestagsmitarbeiter bei der Übergabe, der sich noch gut an die chaotischen Zeiten der Öko-Partei erinnert. „Da fanden wir bei Büroumzügen schon mal Pizzareste hinter den Schränken.“

Im Bundestag hat Hohmann jetzt wieder einen Platz innerhalb einer Fraktion. Ehemalige CDU-Kollegen begrüßen ihn. Hessische Politiker, mit denen er jahrelang die gleichen politischen Ziele verfolgte. Was er dabei empfinde, wieder im Bundestag zu sitzen? „Verhaltene Genugtuung“, sagt er während einer Abstimmungspause und lächelt. Es klingelt. Die Sitzung wird fortgesetzt. Martin Hohmann kehrt zurück ins Plenum. Zurück in die deutsche Politik.





Chronik: Der „Fall  Hohmann“

3. Oktober 2003

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann hält in seinem Wahlkreis bei Fulda zum Tag der Deutschen Einheit eine Rede. Darin vergleicht er zur Veranschaulichung seiner These, die Deutschen seien als solches kein Tätervolk, die „überproportionale jüdische Beteiligung“ an kommunistischen Massenverbrechen in der Sowjetunion mit der Beteiligung Deutscher am Holocaust. Und stellte fest: „Daher sind weder ‘die Deutschen’ noch ‘die Juden’ ein Tätervolk.“

30. Oktober 2003

„Tagesschau“ und „Tagesthemen“ berichten über die Rede unter der Schlagzeile: „CDU-Abgeordneter nennt Juden Tätervolk.“ Eine Falschbehauptung, wie später auch gerichtlich festgestellt wurde. Weitere Medien nehmen die Berichterstattung auf. Dem Politiker wird „Antisemitismus“, „Braungeist“  und „Hetze“ attestiert.

3. November 2003

Präsidium und Bundesvorstand der CDU beraten über den „Fall Hohmann“ und verurteilen sein Verhalten „einmütig“ mit einer „förmlichen Rüge“.

6. November 2003

Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) entläßt den Chef der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK, Brigadegeneral Reinhard Günzel, weil dieser in einem Brief Hohmanns „Mut zur Wahrheit“ gelobt hatte. Struck bezeichnet Günzel öffentlich als „verwirrten General“.

11. November 2003

In der Sitzung der CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion wird der Antrag auf Ausschluß Martin Hohmanns gestellt. Er verteidigt sich unter anderem mit dem Verweis auf seine langjährige Arbeit zur deutsch-jüdischen Aussöhnung in der Gemeinde Neuhof. Zu Hohmanns prominenten Fürsprechern zählen die Abgeordneten Vera Lengsfeld (CDU) und Norbert Geis (CSU). Bei der Union gehen unzählige Protestschreiben ein, die das Vorgehen der Parteispitze kritisieren.

14. November 2003

In einer persönlichen Erklärung bittet Hohmann seine Fraktion um eine „zweite Chance“, hält aber weiter an seinen Aussagen fest. Dennoch stimmt eine Mehrheit für seinen Ausschluß. Hohmann ist fortan fraktionsloser Abgeordneter. Parallel läuft ein Parteiausschlußverfahren.

4. November 2004

Das Bundesparteigericht der CDU bestätigt den Parteiausschluß Hohmanns. Einzig der Parteirichter und stellvertretende Vorsitzende Friedrich-Wilhelm Siebeke gibt eine abweichende Meinung zu Protokoll. Seine Begründung lautete auf „Strafklageverbrauch“, was eine doppelte Bestrafung für dieselbe Tat verhindern soll. Des weiteren sei kein „schwerer Schaden für die CDU“ entstanden.

5. Februar 2005

Bis zu diesem Tag haben über 9.000 Mitglieder und Funktionsträger der CDU den Appell „Kritische Solidarität mit Martin Hohmann“ unterzeichnet, dessen Stimme der langjährige Co-Moderator und Chefredakteur des „ZDF-Magazins“ Fritz Schenk war.

18. November 2005

Das Berliner Landgericht weist die Klage Hohmanns auf Feststellung des Fortbestandes der Mitgliedschaft in der CDU zurück, da es eben nicht darauf ankomme, was der Autor mit seinen Äußerungen vielleicht ausdrücken wollte, sondern auf den „objektiven Eindruck unbefangener durchschnittlicher Hörer oder Leser“.

16. Juni 2008

Das Bundesverfassungsgericht läßt die Verfassungsbeschwerde Hohmanns gegen seinen Ausschluß aus der CDU nicht zu. Die Frage, ob eine Doppelbestrafung durch Rüge und Parteiausschluß zulässig sei, ist damit nicht beantwortet.

24. September 2017

Martin Hohmann zieht als Listenkandidat der AfD Hessen wieder in den Bundestag ein.