© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Selbstbedienung beenden
Doppelmandate: Der Fall Meuthen zeigt Schwachstellen im Gesetz und bei der AfD
Hans Herbert von Armin

Als Marcus Pretzell und dann auch Frauke Petry bekanntgaben, sie würden – trotz ihrer Wahl in ein zweites Parlament – auch ihr Mandat im bisherigen Parlament behalten, gingen die journalistischen Wogen hoch. Doch dem Ehepaar schien nach dem Bruch mit der AfD ohnehin nichts mehr am öffentlichen Erscheinungsbild ihrer bisherigen Partei zu liegen, so daß beide bei der Verfolgung ihrer Eigeninteressen keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchten. Jetzt aber hat auch Jörg Meuthen bekanntgegeben, er werde ins Europäische Parlament nachrücken und dennoch sein Mandat im Stuttgarter Landesparlament behalten, und Meuthen ist amtierender Bundessprecher der AfD.

Zwar hat Meuthen in einer Rundmail an die Mitglieder angekündigt, er werde das Doppelmandat nur „für eine notwendige Übergangszeit“ beibehalten. Das hatte ursprünglich aber auch Pretzell erklärt – und sich nicht daran gehalten. Ein klares zeitliches Ende hat Meuthen jedenfalls nicht genannt, obwohl das nach dem Vorgehen von Petry und Pretzell um so notwendiger gewesen wäre.

Das Problem besteht darin, daß Doppelmandate nicht verboten sind. Die Lücke in den Verfassungen fiel bisher kaum auf. Erst ihr schamloses Ausnutzen hat die Notwendigkeit, sie zu schließen, allgemein deutlich gemacht. Die AfD hatte sich in ihrem Wahlprogramm noch gegen „die ungebrochene Tendenz zum Berufspolitikertum“ gewandt. Sie forderte deshalb eine zeitliche Begrenzung der Mandate. Doch statt dessen betreiben ehemalige und aktuelle Vorsitzende jetzt eine Art Verdoppelung der Mandate: Aus eins mach zwei. Sie leisten damit der Demokratie, die sie einst verbessern wollten, einen Bärendienst.

Früher wurde die Abgeordnetentätigkeit als Ehrenamt angesehen, das neben der Berufstätigkeit auszuüben sei. Inzwischen aber stellen alle Parlamente, auch die Landesparlamente in den Flächenstaaten, das Mandat als „Full-time-Job“ dar und bezahlen es entsprechend. Dann ist aber nicht mehr nachzuvollziehen, wie Bundes- oder Europa­abgeordnete zusätzlich noch ein Vollzeitmandat im Landtag von Nord-rhein-Westfalen (Pretzell), von Sachsen (Petry) oder Baden-Württemberg (Meuthen) ausüben können. Umgekehrt ergeben sich Zweifel, ob Landtage, deren Kompetenzen immer weiter ausgedünnt worden sind, wirklich Vollzeitparlamente sind. Mutige Insider bestreiten dies seit langem.

Die drei behaupten zwar, sie würden sich finanziell verschlechtern, weil sie jeweils den Fraktionsvorsitz niederlegen und damit die dafür gezahlte Zulage verlören. Auch die Landtagsdiäten entfielen, weil die Entschädigungen miteinander verrechnet würden. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Denn hinsichtlich der Kosten­erstattungen erfolgt keine Verrechnung. Deshalb erhält Petry nicht nur als Mitglied des Bundestags monatlich steuerpflichtige 9.542 Euro und eine steuerfreie Kostenpauschale von 4.318 Euro, sondern als sächsische Landtagsabgeordnete noch eine weitere steuerfreie Kostenpauschale, die je nach Entfernung ihres Wohnsitzes von Dresden zwischen 3.163 und 4.136 Euro beträgt. Über die Pauschalen kann sie ohne Vorgaben frei verfügen. Für die doppelte Mitarbeiterpauschale müssen dagegen entsprechende Verträge vorgelegt werden.

Meuthen erhält – neben der üppigen Bezahlung und Versorgung als EU-Abgeordneter – noch einen baden-württembergischen Vorsorgebeitrag von 1.720 Euro. Zudem profitiert er von einem Blitzgesetz, das der Landtag Anfang dieses Jahres durchs Parlament gepeitscht hatte: Damit haben die Abgeordneten ihre Kostenpauschale kurzerhand um 40 Prozent erhöht und die Zahlungen für ihre Mitarbeiter sogar verdoppelt. Das Ganze geschah mitten im Haushaltsverfahren unter Bruch aller Regeln guter Gesetzgebung. Die erste Lesung fand am 9. Februar statt. Bei der zweiten Lesung, die bereits tags darauf erfolgte, meldete sich im Landtag niemand mehr zu Wort, auch kein Vertreter der AfD, so daß ihr Widerspruch gegen das Gesetz reichlich aufgesetzt erschien.

Die Erhöhungen verschaffen Meuthen jetzt – zusätzlich zu seiner steuerfreien Pauschale als EU-Abgeordneter von 4.342 Euro – noch weitere steuerfreie 2.169 Euro. Zudem hat er nun für die Beschäftigung von persönlichen Mitarbeitern neben den bis zu 24.164 Euro als Europaabgeordneter noch rund 13.000 Euro (einschließlich der Arbeitgeber-Sozialaufwendungen) als Stuttgarter Abgeordneter. Damit kann er ein ganzes Heer von Gesinnungsgenossen auf Steuerzahlerkosten einstellen. Bedenkt man, daß das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich moniert hat, daß ausreichende Kontrollen fehlen, die verhindern, daß die Mitarbeiter für die Partei verwendet werden, so ist der verdeckten, aber verfassungswidrigen Parteienfinanzierung hier erst recht der Weg bereitet.

Pretzell erhält als EU-Abgeordneter das gleiche wie Meuthen. Ihm bleibt aber noch ein Teil der steuerpflichtigen Entschädigung nordrhein-westfälischer Abgeordneter, da diese nur um 71,5 Prozent gekürzt wird. Alles in allem ist es höchste Zeit, daß Doppelmandate nur für eine kurze Übergangszeit erlaubt und im übrigen untersagt werden. Dazu sind Verfassungsänderungen nötig. Die Verdoppelung der Kostenerstattung könnte wohl auch der einfache Gesetzgeber einschränken.

Die Hoffnung auf Beschränkung parlamentarischer Selbstbedienung hat einen Dämpfer bekommen. Die AfD ist eine Enttäuschung: Statt Mißbräuchen entgegenzutreten, wie in ihren Programmen angekündigt, scheinen einige ihrer Exponenten, sobald sie Parlamentssitze ergattert haben, erst recht alle Möglichkeiten auszureizen.






Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim lehrt als pensionierter Professor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.