© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

„Das könnte ihm um die Ohren fliegen“
AfD: Vor dem Bundesparteitag sorgen Doppelmandate für Unmut an der Basis / Parteichef Jörg Meuthen verteidigt sich gegen „unerträgliche“ Kritik
Christian Vollradt

Hat Jörg Meuthen die Wirkung seiner Entscheidung unterschätzt? Innerparteilich bekommt der AfD-Vorsitzende ordentlich Gegenwind, seit er vergangene Woche bekanntgegeben hatte, nach Brüssel zu wechseln, für eine – nicht näher definierte – Übergangszeit jedoch weiterhin das Mandat im Stuttgarter Landtag zu behalten (JF 46/17). 

Nachdem verschiedene Medien die Kritik daran thematisiert hatten, meldete sich Meuthen am Sonnabend mit einer Entgegnung zu Wort: Die verleumderischen Versuche, „mich der Bereicherung und des ‘Parlamentstourismus’ zu bezichtigen“ seien unerträglich, beschwerte sich der Parteichef. Von Anfang an habe er erklärt, das Landtagsmandat „sobald wie nur irgend möglich abzugeben“. Er bemühe sich um eine geordnete Übergabe, so Meuthen. Den Vorwurf der Ämterhäufung und des Eigennutzes wies er entschieden zurück: „Mein Ziel ist es, ein einziges parlamentarisches Mandat wahrzunehmen und mich auf dem Bundesparteitag zur Wiederwahl zum Parteisprecher zu stellen.“  

Doch die Kritik an Meuthens Vorgehensweise beschränkte sich nicht nur auf Medien oder andere Parteien. Hinter vorgehaltener Hand äußert auch so mancher Parteifunktionär sein Unverständnis. „Total ungeschickt“ habe sich der Parteichef verhalten, „kein Gespür“ für die Empfindlichkeiten der Basis gezeigt. Und das ausgerechnet, nachdem die Doppelmandate der beiden prominenten Ex-Mitglieder Frauke Petry und Marcus Pretzell den Unmut vieler ehrenamtlich für die AfD Engagierter über eine „Raffke“-Mentalität hervorgerufen hatte. „Das könnte ihm in Hannover noch um die Ohren fliegen“, vermutet ein Parteimitglied. 

Dabei hatte Meuthen von vornherein versucht, solchen Reaktionen den Wind aus den Segeln zu nehmen. In einer ausführlichen E-Mail an alle Mitglieder und Förderer der Partei hatte er geschrieben, er „beabsichtige keineswegs, ein Doppelmandat dauerhaft aufrechtzuerhalten“. Er stehe nur „im Einklang mit den Bedürfnissen und Wünschen meiner Fraktionskollegen für den unabdingbaren Zeitraum eines geordneten Übergangs weiterhin als einfacher Abgeordneter zur Verfügung“. In Brüssel dagegen, wo die AfD „gemessen an ihrer immensen nationalen Bedeutung massiv unterrepräsentiert“ sei, erwarte ihn die Aufgabe, „unserer Alternative für Deutschland eine starke und maximal wirkmächtige Stimme im Europaparlament zu verleihen“.

Meuthen will nun doch konkretes Datum nennen

Daß Selbst- und Außenwahrnehmung – hier der Dienst zum Wohle der Partei, dort der Vorwurf des Eigennutzes – so auseinanderklaffen, erklärt manche Gereiztheiten. Kein Geheimnis ist, daß Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland Meuthens Vorgehensweise nicht goutierte. Der von vielen als „graue Eminenz“ wahrgenommene Parteivize ist zudem kein Freund der „Einer-Spitze“, die im Vorfeld des Bundesparteitags am ersten Dezemberwochenende debattiert und von mehreren Landesverbänden unterstützt wird. Die Doppelspitze, in der unterschiedliche Strömungen und Regionen repräsentiert würden, habe sich in der Bundespartei bewährt, betonte Gauland jüngst immer wieder. 

Jörg Meuthen indes würde auch als Einzelvorsitzender fungieren. Wobei sich ohnehin momentan niemand für den Co-Vorsitz aufdrängt. Denn derjenige müßte – um die regionale Ausgewogenheit widerzuspiegeln – idealerweise aus dem Osten kommen und sowohl für die „Rechten“ wie die Liberal-Konservativen akzeptabel sein. In diesem Zusammenhang kursierte immer wieder der Name von Leif-Erik Holm aus Mecklenburg-Vorpommern. Doch der 47jährige, immerhin einer der stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, bekam nun das leidige politische Motto „früh genannt, schon verbrannt“ zu spüren.

Am Wochenende konnte sich Holm zwar auf dem Parteitag der Nordost-AfD mit 106 zu 40 Stimmen gegen seinen Konkurrenten Heinrich Berkel als einer der beiden Landesvorsitzenden durchsetzen. Doch sein Wunschkandidat für den Co-Vorsitz Enrico Komning unterlag gegen Dennis Augustin. Der hatte vor allem mit Attacken auf Holm und Komning gepunktet, mit denen sich eine „Elite aus Berufpolitikern“ herausbilde. An der Basis regte sich Unmut darüber, daß beide trotz ihres Einzugs in den Bundestag ihr Landtagsmandat noch nicht niedergelegt haben. Holm bestätigte, daß eine Kandidatur für das Amt des Bundessprechers an ihn herangetragen wurde; mit einem Amt auf Landesebene, der Funktion im Bundestag sowie zwei kleinen Kindern wäre das allerdings nur schwer vereinbar, äußerte er sich hinsichtlich seiner Bereitschaft skeptisch.

Immerhin eine Folge hat die Diskussion um den Spagat zwischen verschiedenen Parlamenten: Spätestens kommende Woche, so kündigte Jörg Meuthen an, werde er nun doch einen verbindlichen Termin nennen, an dem er sein Landtagsmandat niederlegen wird.