© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Lernen in zwei Schichten
Jordanien: „Double Shift“ – ein ambitioniertes Schulmodell für 400.000 syrische Flüchtlingskinder
Michael Link

Sechs Jahre Bürgerkrieg haben auch in der Bevölkerungsentwicklung der syrischen Nachbarländer starke Spuren hinterlassen: Besonders betroffen ist Jordanien, das mit 1,3 Millionen syrischen Flüchtlingen ein hohes Bevölkerungswachstum ausweist. Für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt, aber auch das Schul- und Bildungswesen stellt diese Zahl eine große Herausforderung dar.

Diese versucht das Land mit dem sogenannten „Double Shift“ – einem speziellen Schulmodell – zu bewältigen. Mit diesem Doppelschicht-Modell soll mehr als 400.000 zusätzlichen Kindern aus Syrien eine Schulbildung ermöglicht und die Schüler in die jordanische Gesellschaft integriert werden. Dabei werden jordanische Kinder vormittags und in den selben Schulen Schüler aus Syrien nachmittags unterrichtet. Mittlerweile gibt es bereits 340 „Double Shift“-Schulen in dem Königreich.

Jordanien erhofft sich positive Entwicklungsschübe 

Zwar fließen über zwölf Prozent des Bruttonationalprodukts Jordaniens in das Bildungs- und Schulsystem – das ist mehr als das Doppelte der Bildungsinvestitionen von Großbritannen oder den USA. Durch das Doppelschicht-System versucht das Land allerdings, mit einem vergleichsweise geringen finanziellem Aufwand Kinder zu einer Schulbildung zu verhelfen.

Jordanien hofft dabei, daß sich die Investition in Bildung für syrische Flüchtlingskinder auch für die jordanische Wirtschaft als Gewinn erweisen könnte. Wenn den verbleibenden 79.500 registrierten, aber derzeit noch nicht in Schulen integrierten Flüchtlingskindern aus Syrien Bildung durch das Doppelschichtsystem ermöglicht werden könnte, würde für Jordanien ein wirtschaftlicher Mehrwert von 266 Millionen Dollar entstehen.

Auf dieses Ergebnis kommt eine Analyse des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), der Universität der Künste (UdK) und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Diese haben in einem gemeinsamen Forschungsprojekt das jordanische Schulsystem in den Fokus genommen. 

Dabei untersuchen die Mediengestalter und die Sozialwissenschaftler, inwieweit das Doppelschicht-System zum Vorbild für andere Länder werden könnte, welche Kinder von Flüchtlingen und Migranten in ihr Schulsystem aufnehmen möchten.

Dazu war das Team zweimal für jeweils mehrere Wochen in Jordanien, um Schulen zu besuchen, mit Schulleitern, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (UNICEF, United States Agency for International Development) und Ministerien sowie Eltern zu sprechen. Außerdem haben sie in Workshops die Schüler nach ihren Wünschen und Zielen befragt. Auf der multimedialen Netzseite „Double Shift“ sieht man lustige, aufgeweckte Mädchen, die von einem Leben als Ingenieurin oder Lehrerin träumen. 

Wenngleich das Team Jordanien und dessen Schulmodell bei der Integration der Flüchtlingskinder ein durchaus gutes Zeugnis ausstellt, so leidet die Qualität des Schulalltags an zahlreichen fehlenden Ressourcen wie Wasser, Räumen, Schulmöbeln und -materialien. Zudem gibt es auch kritische Stimmen zu dem getrennten Unterricht jordanischer und syrischer Kinder. Darüber hinaus weisen viele Schulen einen eklatanten Mangel an Lehrpersonal auf – bei einer weiterhin stark steigenden Zahl an syrischen Flüchtlingskindern im Land.

Heike Harmgart, Leiterin des Resident Office der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Jordanien, hält es vor allem angesichts der Ressourcenarmut Jordaniens für notwendig, in Bildung zu investieren.