© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Zur Abwechslung mal wieder konservativ
Chile: Der linken Regierung steht die Abwahl bevor – und Ex-Präsident Piñera die Wiederkehr
Lukas noll

Die Wahlen stehen zwar erst am 19. November an – doch Nachfolger von Chiles scheidender Präsidentin Michelle Bachelet ist Sebastian Piñera bereits jetzt. 

Sämtliche Umfragen prognostozieren dem Konservativen einen Sieg sowohl in der ersten Runde als auch in der etwaigen Stichwahl am 17. Dezember. Und selbst sollten sie sich alle täuschen: Bereits 2010 war Piñera als Nachfolger der Sozialistin in die Moneda, Chiles Präsidentenpalast einzogen. Um derselben Dame vier Jahre später wieder den Schlüssel zu überreichen.

Daß Rechts und Links sich damit wohl zum vierten Mal in Folge die Klinke in die Hand drücken, hat nur scheinbar etwas mit einer chilenischen Vorliebe zur Abwechslung zu tun. Vielmehr hat Bachelets zweite Amtszeit dem konservativen Land eine Spaltung aufgenötigt, der die Nueva Mayoría nun selbst zum Opfer fällt. 

Weder ist das zwanzig Jahre lang als Concertación firmierende Parteienbündnis „neu“, noch dürfte es am kommenden Sonntag eine „Mehrheit“ erzielen. Dafür sorgt auch die Tatsache, daß die politische Linke gleich mehrere Kandidaten ins Feld schickt, statt der vergleichsweise geschlossenen Rechten einen gemeinsamen Kandidaten gegenüberzustellen. 

Harte Auseinandersetzung um Abtreibungsverbot 

Piñeras liberalkonservative Renovación Nacional (RN) und die rechtskonservative Unión Democratíca Independiente (UDI) hatten sich bereits im vergangenen Jahr auf den 67jährigen Milliardär verständigt. Ihm sagt eine Umfrage des chilenischen Meinungsforschungsinstituts Cadem vom 3. November herausragende 45 Prozent bevor.

Daß der Deutschstämmige José Antonio Kast eigens aus der UDI austrat, um als unabhängiger Rechtsaußen-Kandidat anzutreten (Cadem: sechs Prozent), dürfte Piñera zwar die absolute Mehrheit kosten und damit eine Stichwahl erzwingen. Doch der Vorsprung gegenüber Alejandro Guillier, dem aussichtsreichsten Gegenkandidaten der politischen Linken, beträgt immer noch über 20 Prozentpunkte.

Der von den meisten Parteien der Nueva Mayoría unterstützte, aber unabhängige Guillier kommt in der Cadem-Umfrage auf 23 Prozent. Ihm macht die Vielzahl an Kandidaten deutlich stärker zu schaffen: Die eigentlich ebenfalls zum Linksbündnis gehörenden Christdemokraten schicken mit Carolina Goic eine eigene Kandidatin ins Rennen, der die Umfragen rund sechs Prozent prognostizieren. Zudem buhlen mit dem linksliberalen Filmemacher Marco Enríquez Omimami (fünf Prozent), Chávez-Anhänger Alejandro Navarro und dem Kommunisten Eduardo Artés (jeweils 0,5 Prozent) weitere Kandidaten um die Stimmen links der Mitte. 

Weitaus größere Kopfschmerzen dürfte der Nueva Mayoría allerdings der Frente Amplio machen. Die aus den chilenischen Studentenprotesten von 2011 hervorgegangene „Breite Front“ hat sich die spanische „Podemos“-Bewegung zum Vorbild genommen und bewegt sich in Umfragen zwischen acht und 14 Prozent. Damit liegt das erst im vergangenen Januar gegründete Protestbündnis zwar deutlich unter den Erwartungen der vergangenen Monate, als ihr Umfragen einen Einzug in die Stichwahl voraussagten. Doch für Alejandro Guillier stellt die Bewegung eine Konkurrenz dar, auf die er sich auch in einer Stichwahl gegen Piñera nicht verlassen kann. Denn die Protestler stellen sich dezidiert gegen beide traditionellen Parteienbündnisse.

Selbst die gesellschaftlich stark umstrittenenen Reformen der Bachelet-Regierung gehen dem Frente Amplio nämlich nicht weit genug. Bachelet hatte etwa Chiles Abtreibungsverbot im vergangenen Jahr durch eine Regelung ersetzt, die Abtreibungen nach einer Vergewaltigung sowie bei einer tödlichen Gefahr für die Mutter oder das Kind erlaubt. 

Während Piñera das Gesetz ändern, Kast gar gänzlich abschaffen will, möchte das linke Bündnis weit darüber hinausgehen und ein Recht auf Abtreibung festlegen. Auch Bachelets Versuche, das stark privatisierte und entsprechend exklusive Schul- und Universitätensystem unter stärkere staatliche Kontrolle zu stellen, dürften den Anhängern des Frente kaum genügen. Ihre Kernforderung ist ein völlig freier Zugang zu Bildung – im stark wirtschaftsliberal geprägten Chile eine geradezu verruchte Forderung.

Obwohl Chiles Sozialsysteme entsprechend rudimentär ausgestaltet sind, ist in den vergangenen Monaten auch eine Frage zum Wahlkampfthema avanciert, die man in Südamerika bislang eher weniger vermutet hätte: die illegale Einwanderung in Südamerikas einzigen OECD-Staat. 

Zwar reisen die über 90.000 Haitianer, die das wohlhabende Chile in den vergangenen anderthalb Jahren erreicht haben, angesichts fehlender Visapflicht legal ein. Allerdings verließen in Folge nur knapp 1.300 dieser Armutsflüchtlinge das Land auch wieder, wie es eigentlich nach Ablauf von 90 Tagen vorgeschrieben ist. 

Strengere Richtlinien bei der Einwanderung 

In dem dünnbesiedelten und geologisch seit jeher durch die Anden abgeriegelten Land ist das ein neuartiges Phänomen – für das die politische Rechte allerdings eine klare Marschrichtung vorgibt. „Wir schließen die Grenzen all denjenigen, die Chile schaden“, stellte Sebastian Piñera bereits im Sommer klar. Um kurze Zeit später fast enttäuscht festzustellen: „Die Regierung hat unser Einwanderungsprogramm praktisch kopiert.“

Die Zeit, eine strengere Einwanderungspolitik auch tatsächlich zu implementieren, hat Chiles in Korruptionsskandale verwickelte Regierungskoalition indes verstreichen lassen. Zu gemacht scheint das Bett für Sebastian Piñera durch die Zerstrittenheit der Regierungsparteien, als daß ein Machtwechsel nun noch aufzuhalten wäre. 

Besonders schmerzhaft für die politische Linke gestaltet sich dabei das zentralistische Wahlsystem, das Machtwechsel gerne „in die Vollen“ gehen läßt: die Chilen wählen am Sonntag nicht nur den Staatspräsidenten, sondern auch Senatoren, Abgeordnete und die Regionalvertretungen – und ändern damit auf allen Ebenen die Fahrtrichtung.