© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Der Mittelstand muß alles zahlen
Immobilienmarkt: Der Konzern Deutsche Wohnen SE will im wachsenden Berlin Marktmieten durchsetzen
Christian Schreiber

In Berlin ist Wohnraum knapp und teuer. Immer mehr Menschen aus aller Welt strömen in die Hauptstadt, statt derzeit offiziell 3,7 Millionen sollen 2030 schon vier Millionen hier leben. Das ist zwar immer noch weniger als vor 75 Jahren, als das damalige Groß-Berlin den bisherigen Spitzenwert von 4,48 Millionen erreicht hatte, doch der Zweite Weltkrieg hinterließ Hunderttausende zerstörte Wohnungen, die in den Aufbaujahren nicht vollständig wieder ersetzt wurden. Zudem sind die Ansprüche seither gestiegen – nicht nur auf Mieterseite, sondern auch bei der Politik und auf seiten der Investoren.

Aber wo die Not groß ist, gibt es wie immer auch Nutznießer. Etwa der in 13 Bundesländern aktive Immobilienkonzern Deutsche Wohnen SE (DW), dem allein in Berlin rund 110.000 Wohnungen gehören. Die EU-Aktiengesellschaft (Societas Europaea/SE) hat nach eigenen Angaben mehr als tausend Gerichtsprozesse gegen Mieter geführt, um Mieterhöhungen durchzusetzen. Nun geht sie aufs Ganze und will dabei die ohnehin kaum wirksame Mietpreisbremse kippen lassen. „Dem Berliner Mieterverein liegen zwei Fälle aus der Künstlerkolonie in Wilmersdorf vor, in denen die Deutsche Wohnen nach ihrer Niederlage vor dem Berliner Landgericht Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof Berlin eingelegt hat“, klagte Geschäftsführer Reiner Wild im Berliner Kurier. Das sei „nicht hinnehmbar.“ Die DW wollte das nicht kommentieren.

Sollte das Gericht das Instrument zur Regulierung des Wohnungsmarktes kippen, kann die Gesellschaft Mieterhöhungen künftig schneller und einfacher durchsetzen. Vor allem wären aber viel höhere Mieterhöhungen bei langjährigen Mietern möglich. Ziel ist es dabei, „Marktmieten“ durchzusetzen, wie die beim Abschluß neuer Verträge verlangt werden. Die liegen mit neun bis zehn Euro je Quadratmeter deutlich über dem Durchschnitt des Mietspiegels von 6,39 Euro. „Setzt sich dieser Gedanke durch, dann wäre das Soziale Mietrecht in seinem Fundament zerstört“, erklärt Mieterbundsgeschäftsführer Wild.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde will die DW ein Urteil des Landgerichts vom vergangenen Jahr aufheben lassen, in dem der Konzern eine „Verletzung der Eigentumsgarantie“ sieht. Die DW erklärte schriftlich gegenüber dem Tagesspiegel, der Berliner Mietspiegel sei „nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt“. Die Berliner Wohnungsbausenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) gibt sich dennoch optimistisch. „Es ist leider nichts Neues, daß die Deutsche Wohnen gegen den Berliner Mietspiegel vorgeht. Vor diesem Hintergrund ist der erneute Vorstoß nicht überraschend, aber ärgerlich.“

Kampf um bezahlbaren Wohnraum entbrannt

Gerade Lompschers Partei ist jedoch nicht unschuldig an der Marktmacht der DW. Einerseits trommelt die Linke lautstark für offene Grenzen für alle Menschen – was den Wohnraum verknappt und Wucherpreise erst ermöglicht. Zudem verfügt die DW auch über jene einst öffentlichen Wohnungen, die im Jahr 2004 vom rot-roten Senat an die „Heuschrecke“ verkauft worden sind. Daß Investoren selten gemeinützig, sondern in der Regel Profit sehen wollen, hätte die ehemalige SED-Genossin aus ihren Maxismus-Leninismus-Vorlesungen an der Hochschule Weimar wissen können. SPD, Linke und Grüne echauffieren sich nun über die Weigerung der DW, über Anerkennung des Berliner Mietspiegels mit ihnen zu sprechen. Seit Jahren würden sich Mieter „in mehreren Bezirken über den systematischen Versuch des Unternehmens, Mieterhöhungen über der ortsüblichen Vergleichsmiete durchzusetzen, beschweren“. Doch eine Einladung des Stadtentwicklungsausschusses ins Parlament ließ das Unternehmen kurzerhand platzen.

Senatorin Lompscher kündigte inzwischen an, den Stadtentwicklungsplan überarbeiten zu wollen. Dadurch sollen größere Bauflächen ausgewiesen werden, auf denen 15.000 zusätzliche Gebäude entstehen sollen. Bis zum Jahr 2030 ist nach Einschätzung des Senats die Errichtung von rund 194.000 Wohnungen erforderlich, um dem Bevölkerungszustrom Herr zu werden. Der Tagesspiegel prophezeit hingegen einen „Klassenkampf um den Immobilienmarkt.“ Immobilienhändler verdienten Millionen daran, Mietwohnungen in Eigentumsobjekte umzuwandeln und dann zu verkaufen: „Familien aus Süddeutschland vermehren auf diese Weise genauso ihr Vermögen wie ausländische Glücksritter“, heißt es in einer Analyse. Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Die Bundeshauptstadt ist „in“. Gerade erst hat die Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PWC) Berlin zur attraktivsten EU-Stadt für Immobilieninvestoren im Jahr 2018 erklärt.

Und während der arbeitende Mittelstand die wachsenden Mietbelastungen durch Konsum- und Sparverzicht selbst tragen muß, ist für Flüchtlinge und ihre bald nachkommenden Familien sowie die aus- und inländischen Geringverdiener der Staat – sprich: Steuerzahler – zuständig. Wer Hartz-IV-Anspruch hat, von dem werden die Mietkosten übernommen, im Zweifel koste es, was es wolle.

Manche Politiker hoffen darauf, daß die Immobilienblase platzt. Nur: Verlassen kann sich darauf niemand. „Zu der Gruppe mit hohem Bevölkerungszuwachs gehören Berlin, Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Den größten Zuwachs bis 2035 erfährt dabei Berlin“, prognostiziert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). In Berlin werde die Einwohnerzahl um 14,5 Prozent und in Hamburg um 9,1 Prozent ansteigen. Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum dürfte in den Ballungszentren also künftig noch härter werden.

21.751 Erhöhungen sind bei den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin zu Jahresbeginn 2017 in Kraft getreten, wie der Wohnunternehmensverband BBU bestätigt. „In allen Fällen, die ich persönlich kenne, liegt die Erhöhung über zehn Prozent“, sagt Rouzbeh Taheri von der Initiative Mieten-Volksentscheid. Die DW hat allen Grund zur Gelassenheit. Die Aktie boomt. Sollte eine künftige Jamaika-Koaltion die Mietpreisbremse lockern und zum Ausgleich ein höheres Wohngeld beschließen, könnte das DW-Papier bald ein neues Allzeithoch erreichen. Der große Gewinner des „Berliner Mieterkriegs“ und des Massenzuzugs steht bereits fest – die DW.





Wohnungsversorgung in Wien

Wien hatte seit der Jahrtausendwende ein kontinuierlich hohes Bevölkerungswachstum. Aus 1,5 Millionen sind inzwischen fast 1,9 Millionen geworden – wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Dennoch ist der Wohnungsbedarf in der österreichischen Hauptstadt deutlich besser abgedeckt als in Berlin. Auf eine steigende Nachfrage reagierte der Wohnungsmarkt in der Vergangenheit in der Regel mit einer adäquaten Erhöhung des Angebots. Anders als in Deutschland existieren in Österreich nach wie vor institutionelle Strukturen in der staatlichen Wohnungspolitik. Wohnungsgemeinnützigkeit, die öffentliche Wohnbauförderung der Länder sowie die Wohnbaubanken ermöglichen eine vielseitige Steuerung des Wohnungsmarktes und eine nachhaltige Wohnbauförderung. Mit dem Aufbau einer Wohnbauinvestitionsbank führt das Alpenland diesen Weg fort. In Berlin wurde der Wohnungsbau hingegen seit 2003 dem Markt überlassen.

Studie „Wohnungsversorgung in Berlin und Wien“ für die Arbeiterkammer: www.arbeiterkammer.at