© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Biologika erweitern Therapieoptionen
Pharmaindustrie: Neue Medikamente verbessern die Symptome und den Verlauf der rheumatoiden Arthritis
Jörg Schierholz

Die moderne Rheumatologie beschäftigt sich mit rund 400 Erkrankungen, welche von chronisch-degenerativen Leiden wie den Arthrosen bis zu chronisch-entzündlichen Leiden wie dem Weichteilrheumatismus reichen. Vielen rheumatischen Krankheiten ist gemein, daß es zu einer Störung des Immunsystems kommt, woraufhin der Körper eigene Strukturen wie die Gelenkinnenhaut angreift oder in Form der Kollagenosen innere Organe Ziel des fehlgeleiteten Abwehrsystems sind.

Die Ursachen sind meist unbekannt, in einigen Fällen können familiäre oder geschlechtsspezifische Häufungen festgestellt werden. Die meisten – etwa 800.000 – Rheumakranke leiden unter chronischer Polyarthritis. Unbehandelt führt sie zu Gelenkentzündungen, die eine Schwerbehinderung und Berufsunfähigkeit zur Folge haben kann. Doch hier hat die Medizin große Fortschritte gemacht: Mußte noch vor zehn Jahren mehr als die Hälfte aller Betroffenen operiert werden, um ein zerstörtes Gelenk versteifen oder ein Kunstgelenk einsetzen zu lassen, ist dies dank neuer Medikamente und Therapieverfahren nur noch selten nötig. Je früher die Behandlung beginnt, um so größer ist die Chance auf eine komplette Rückbildung der Beschwerden.

Erkrankt ein Patient an rheumatoider Arthritis, soll innerhalb der ersten drei Monate die Therapie beginnen, da den Gelenken ansonsten nachhaltiger Schaden droht. Aber nicht bei jedem Patienten wirkt die Therapie, nicht jeder verträgt die Medikamente. Vor 60 Jahren wurde Cortison als Basismedikament verwendet. Die jetzige Basistherapie beruht auf Methotrexat, das die Überaktivität des Immunsystems unterdrückt. Es wirkt gut, wird aber manchmal nicht gut vertragen. Mit Einführung der Biologika haben sich die Therapieoptionen deutlich erweitert. Diese biotechnologisch hergestellten Wirkstoffe – meist Antikörper – greifen gezielt ins Krankheitsgeschehen ein.

BASF verhalf US-Konzern Abbot zu Milliardengewinn

Damit verringern sie nicht nur die akuten Symptome, sondern sie verbessern auch den langfristigen Verlauf. Die wichtigste Substanz ist Humira, ein von der Firma Knoll entwickelter Antikörper, der von der BASF vorzeitig an die Pharmafirma Abbot verkauft wurde und dem US-Konzern jährlich 17 Milliarden Dollar in die Kassen spült. Mit Hilfe dieser Antikörper konnte bei vielen Patienten die Entwicklung von Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparats über Jahre verhindert werden.

Aber auch diese Arzneimittel wirken nur eine gewisse Zeit. Neue Wirkstoffgruppen versprechen Hoffnung, Entzündungsprozesse auf zellulärer Ebene zu unterbinden. Dies sind Arzneimittel, die entzündliche Botenstoffe hemmen (Interleukine), deren Überaktivierung dazu führt, daß Zellen ein abweichendes immunologisches Verhalten zeigen. Ein weiterer Vorteil: Diese synthetischen Substanzen können im Gegensatz zu Biologika in Tablettenform vom Patienten selbst eingenommen werden.

Biologika werden auch seit bald 20 Jahren in der Kinderrheumatologie mit großem Erfolg eingesetzt. Junge Rheuma-Patienten, die vor zehn Jahren das Erwachsenenalter erreichten, hatten in rund der Hälfte der Fälle mit Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparats zu kämpfen. Heute erreichen ungefähr zwei Drittel von ihnen die Volljährigkeit ohne solche Einschränkungen.

Dennoch ist die rheumatoide Arthritis bislang nicht heilbar, und bis die Forschung beim Patienten ankommt, durchlaufen die Wirkstoffe etliche Jahre im Zulassungsverfahren. „Ärzte und Patienten sind stets darauf angewiesen, daß neue Wirkstoffe entdeckt werden, die den Patienten helfen, welche noch keine effektive Therapie genießen“, betonte Bernhard Hellmich, Chefarzt der Kirchheimer Klinik für Innere Rheumatologie, auf dem jüngsten Rheumakongreß in Stuttgart.

Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie: www.dgrh.de