© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Die Evolution berichtigen
Büchse der Pandora: Das Bundesverfassungsgericht behauptet ein drittes Geschlecht
Birgit Kelle

It’s the biology, stupid!“ – möchte man gerade all jenen zurufen, die vor lauter Freude über vermeintlich höchstrichterliche Unterstützung bereits mit dem flächendeckenden Ausbau von Unisextoiletten beginnen und das „dritte Geschlecht“ endlich verbindlich in gendersensibler Sprache verankern wollen. Nach dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Intersexualität ist nun überall die Rede davon, das binäre Geschlechtersystem aus Mann und Frau sei überwunden. Müssen 300 Jahre biologische Forschung etwa revidiert werden? Hat Facebook doch recht mit seinen inzwischen über 60 „Geschlechtern“, die man sich dort selbst als Etikett auf die Stirn heften kann? Und hat schon jemand ein Patent auf die Entdeckung angemeldet? Die Verzückung im Gender-Lager ist groß. Endlich ein Fuß in der Tür auf dem Weg zur Zerschlagung der bösen Zwangsheteronormativität. Kommen wir zu den Fakten. 

Die etwas Älteren werden sich noch an die Werbekampagne der Gelben Seiten erinnern, damals, als man den Klempner noch in den dicken Büchern nachschlug, anstatt ihn zu googeln, wenn die Küche unter Wasser stand. „Vielleicht hätte er jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt“ war damals der Slogan, immer dann, wenn jemand glaubte, ein Problem lösen zu können, von dem er schlicht keine Ahnung hat.

Befragen wir also in Sachen „drittes Geschlecht“ lieber diejenigen, die sich damit auskennen. Und damit meine ich nicht jene „Wissenschaftler_*Innen“, die ihre Kompetenz in Sachen Mann-Frau-Geschlecht vor allem aus persönlichen Befindlichkeiten gepaart mit sexuellen Vielfältigkeiten schöpfen, sondern jene Wissenschaftler, die sich mit dem Geschlecht des Menschen bereits auseinandersetzten, als Conchita Wurst noch ein feuchter Traum von Trans-Lobbyisten war. Ich rede von Biologen. Von Naturwissenschaftlern, denn Intersexualität ist keine soziale Konstruktion von Geschlecht, keine Einbildung, die man diskutieren oder gar dekonstruieren kann, keine selbstgewählte Geschlechtsdefinition, sondern eine biologische Anomalie. Ein seltenes Phänomen, eine Entwicklungsstörung bei der Entstehung eines Menschen, aber im besten Sinne des Wortes natürlich, weil existent. 

Wir können als Gesellschaft nicht die Augen davor verschließen, daß es diese Menschen gibt, die rein faktisch sowohl mit weiblichen als auch mit männlichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt kommen. Eine klare Geschlechtsdefinition von Mann und Frau also medizinisch erst mal nicht möglich ist. Wie viele dieser Menschen wie die Verfassungsklägerin „Vanja“ tatsächlich niemals eine weibliche oder männliche Identität finden, wissen wir nicht genau, es liegt aber im minimalen Promillebereich. Aber auch wenn es nur ein einziger Mensch wäre, er hätte doch den Anspruch auf einen würdigen Umgang. Daß es jetzt möglich wird, diese Anomalie, die man umgangssprachlich „Zwitter“ nennt, mit einem positiven Begriff  in Geburtsurkunden festzuhalten, ist richtig. Es ist gut, daß wir aus Respekt vor der Integrität eines Menschen ihm die Möglichkeit geben, die Entscheidung zu Männlich- oder Weiblichkeit selbst zu treffen, und zwar dann, wenn er sich dazu in der Lage fühlt. 

Eine Abweichung vom Normallfall stellt die Normalität aber nicht in Frage. Biologische Anomalien kennen wir in vielfältiger Weise, nicht nur in der Frage der Ausbildung des menschlichen Geschlechtes. Aber in keinem anderen Bereich der menschlichen Anatomie stellen wir die Regel auf Grund der Ausnahme in Frage. Niemand käme auf den Gedanken, eine neue Spezies auszurufen, nur weil manche Menschen beispielsweise mit mehr als fünf Fingern oder mit nur einem Arm auf die Welt kommen. Warum also ein neues Geschlecht behaupten, obwohl medizinisch klar ist, daß die Evolution auch in 500 Millionen Jahren nur genau zwei Geschlechtsvarianten erzeugt hat: die Menschen, die Eizellen produzieren, und jene, die Spermien produzieren. Evolutionär betrachtet ist Sex nämlich kein Spaß, sondern Überlebenstrieb. Mehr nicht. Was wir heute als Vielfalt von Geschlechtern diskutieren, sind wahlweise sexuelle Spielarten, diverse Ausprägungen sexuellen Begehrens und psychische Störungen. Alle selbsternannten sogenannten „Geschlechter“ jenseits der Intersexualität eint also vor allem eines: Alle diese Personen sind ganz klar Mann oder Frau. Punkt.

Und so ist es schade, daß die Not und das Dilemma intersexueller Menschen gerade ein weiteres Mal mißbraucht wird von jenen Genderbewegten, die Geschlechterdefinitionen als rein soziale Konstruktionen betrachten und die Vermischung biologischer Tatsachen mit selbstgebastelten Sexualdefinitionen instrumentalisieren, um eine weitere Öffnung der Geschlechterdefinition auch abseits von eindeutigen biologischen Tatsachen vorantreiben zu können.

Interessant ist da der Blick in andere Länder, manche haben das „dritte Geschlecht“ schon seit einigen Jahren in den Ausweispapieren. In der Regel ist es gebunden an biologische Fakten. Australien macht die Ausnahme, dort ist das Ankreuzen des „dritten Geschlechtes“ auch dann möglich, wenn jemand ganz klar Mann oder Frau ist. Die Eigendefinition trumpft also gegen die natürlichen Fakten. Ich betone es deswegen, weil die Diskussionen bei uns jetzt nach folgendem Schema verlaufen: Es wird so getan, als ginge es nur um diesen einen speziellen Fall. Es wird abgestritten, daß es auch weitere Forderungen gibt. In ein paar Jahren jedoch diskutieren wir die Frage, ob Eltern im Kreißsaal überhaupt noch festlegen dürfen, ob das ein Mädchen oder ein Junge ist, schließlich hat man das Kind dazu ja noch nicht befragt. Und es möge dann bitte niemand sagen, das habe man nicht kommen sehen können. 

Doch, kann man kommen sehen. Und ich halte das für einen einkalkulierten „Kollateralschaden“ des Bundesverfassungsgerichtes. Nicht für ein Versehen, sondern für blanke Absicht.  Natürlich hat man das hübscher formuliert. So heißt es in der Urteilsbegründung, daß es angesichts der biologischen Zusammenhänge und der Erlebniswelt von Menschen mit Varianten der Geschlechts-entwicklung einer „Revision des tradierten normativen Menschenbildes von Mann und Frau“ bedürfe. 500 Millionen Jahre Evolution und die gesamte biologische Forschung werden hier in einem Halbsatz als „tradiertes Menschenbild“ dargestellt. So als könne man Fakten durch tolerantes, modernes Denken revidieren.

Man hat gerade die Büchse der Pandora geöffnet. Daß an der Entscheidung pro „drittes Geschlecht“ mit Susanne Baer im Senat des Bundesverfassungsgerichtes eine Richterin beteiligt ist, die das erste Genderzentrum der Bundesrepublik anführte, bevor sie ihre Gender-Kompetenz ins Bundesverfassungsgericht brachte, mögen die Naiven für Zufall halten. Mit strategischen Klagen werden derzeit politisch motiviert rechtliche Hürden gerissen. Das Urteil zur Intersexualität kann man dabei getrost als „Best practice“-Beispiel bezeichnen. 






Birgit Kelle, Jahrgang 1975, veröffentlichte die Bestseller „Dann mach doch die Bluse zu. Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn“ (2013), „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ (2015) und in diesem Jahr „Muttertier. Eine Ansage“.

 www.birgit-kelle.de