© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Ein Bündel Feldpostbriefe
Gedanken eines Weltkriegssoldaten zum Volkstrauertag
Döring-Ernst von Gottberg

Die Feldpostbriefe werden im Wäscheschrank  hinten auf dem obersten Ablagebrett aufbewahrt. Früher wurden sie oft gelesen, aber seit langer Zeit wurde das rote Band mit der Schleife, das die Mutter des gefallenen Soldaten um die Feld­postbriefe gelegt hatte, nicht mehr geöffnet. Die mit Trauerrand versehene Mitteilung über den Tod des Soldaten liegt oben auf den Briefen. „Gefallen für Führer, Volk und Vaterland“ heißt es da.

Nach dem amtlichen Bescheid über den Soldatentod folgt ein vergilbter, zerknickter dicker Briefumschlag des Regiments, mit dem die wenigen Habseligkeiten des Gefallenen an die Angehörigen zurückgesandt wurden: das Ordensband des EK II, das der Soldat am Todestag auf seiner Uniform trug, sowie Bilder und Briefe aus dem Familien- und Freundeskreis. Wie oft mag sich der Soldat diese Bilder und Briefe angeschaut haben? Wie wichtig mag ihm dieser wenige Besitz gewesen sein? – Ich empfinde den persönlichen Wert dieser Gegenstände für den Gefallenen.

Warum mußte dieser junge Mann sterben? Warum konnte er nicht wie heute üblich täglich seinem Beruf nachgehen, vielleicht eine Familie mit Kindern gründen und sich auf den nächsten Urlaub freuen? Aber wie für alle gefallenen Soldaten gibt es keine Antwort auf die Frage nach dem „Warum“. Ein besiegtes Land gedenkt wenig seiner Soldaten.

Von dem ehemaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle stammt der Satz: „Man erkennt den Charakter eines Volkes daran, wie es nach einem verlorenen Krieg mit seinen Soldaten umgeht“. Hierzulande gebührt dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Dank und Anerkennung für die Pflege deutscher Kriegsgräberstätten. Er bietet den Familienangehörigen von gefallenen Soldaten auch an, gegen eine Spende Blumen auf den Grabstätten niederlegen zu lassen. Aber die meisten Kriegsgräberfriedhöfe sind heutzutage verwaist, nur selten ist dort ein Mensch anzutreffen.

Niemanden interessieren heute noch Feldpostbriefe, obwohl man die Stimmung der Mehrheit der Deutschen in der Kriegszeit aus diesen Briefen herauslesen könnte. So glaubten viele lange noch an einen Endsieg, weil sie sich ein Deutschland in der Hand der damaligen Feindstaaten nicht vorstellen konnten. Die Feldpostbriefe sind authentisch. Sie wurden vor der „Umerziehung“ der Deutschen geschrieben.

Eines Tages, wenn ich nicht mehr bin, wird der Wäscheschrank aufgeräumt. Das Bündel Feldpostbriefe hat für die Nachkommenden keinen Wert mehr. Es wird weggeworfen, und damit vergeht das letzte Lebenszeichen eines im Krieg umgekommenen Soldaten.






Döring-Ernst von Gottberg, Jahrgang 1927, ist Autor des Buches „Eine Jugend in Hitlers Reich. Erinnerungen eines Zeitzeugen“ (Books on Demand, 2. Auflage 2013). In der JF schrieb er im Vorjahr ebenfalls zum Volkstrauertag.