© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Die Stunde der Nebenkläger
Im NSU-Prozeß wird plädiert: Zahlreiche weit links stehende Nebenklagevertreter überziehen die Bundesanwaltschaft mit Vorwürfen, nicht sorgfältig ermittelt zu haben
Hinrich Rohbohm

Lange hatte es gedauert. Der NSU-Prozeß drohte bereits zur Farce zu werden. Seit September ist der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in München unter dem Vorsitz von Richter Manfred Götzl darum bemüht, mit den Plädoyers der gut 70 Nebenkläger-Anwälte zu beginnen. Vergeblich. Immer wieder bombardierten Zschäpes Altverteidiger das Gericht mit Beweisanträgen, immer aufs neue mußte das Gericht sich vertagen, um die Anträge zu prüfen und über sie zu befinden.

 In der vergangenen Woche war es schließlich soweit. Mit Edith Lunne­bach beginnt die erste Anwältin der Nebenkläger mit ihren Ausführungen. Die 67 Jahre alte Juristin vertritt Opfer des Anschlags in der Kölner Probsteigasse. Schon nach wenigen Sätzen greift sie die Bundesanwaltschaft an. Diese würde ihrer Ansicht nach die „ehrlichen Bemühungen der Geschädigten und ihrer Vertreter diskreditieren“. Eine Anspielung auf eine Aussage des Bundesanwalts Herbert Diemer, der sich gegen die in den Reihen der Nebenkläger geschürte Aussage verwahrte, es seien bei den Ermittlungen zum NSU nicht alle Spuren verfolgt worden. Derlei „Spekulationen“ seien „Irrlichter und Fliegengesumme“. Die Klärung der Frage, ob der NSU über einen größeren Unterstützerkreis verfügt habe, sei „Aufgabe von Politik und Ermittlungsbehörden, nicht aber dieses Strafprozesses“, hatte Diemer in seinem Plädoyer noch einmal verdeutlicht.

Eine Aussage, die vor allem die zahlreichen aus der linksradikalen Szene stammenden Nebenkläger-Anwälte regelrecht in Rage versetzt. „Dafür habe ich kein Verständnis“, giftet die überzeugte Feministin Lunnebach in Richtung Diemer. Der bleibt unbeeindruckt, notiert sich lediglich einige Äußerungen der Kölner Anwältin, deren Aussagen dramatisch klingen, aber im Rahmen des Erwartbaren bleiben. Der Unterstützerkreis des NSU sei in Wahrheit viel größer, das müsse doch auch die Bundesanwaltschaft erkennen, „zumal ich nicht davon ausgehen kann, daß es den Anklagevertretern an Urteilsfähigkeit oder Intelligenz fehlt“.

Lunnebach lobt die „tapferen Einzelkämpfer gegen Rechts“ und die „vielen antifaschistischen NGOs“ für deren Arbeit, spricht davon, daß der Anschlag in der Probsteigasse nicht allein vom NSU-Trio begangen worden sein könne.

Eine Kanzlei verlinkt zur Roten Hilfe

Ursprünglich war Lunnebach sogar gefragt worden, ob sie die Verteidigung von Beate Zschäpe übernehmen wolle. Sie lehnte ab. Eigentlich empfinde sie sich selbst weniger als Anwalt denn als einen politischen Menschen, hatte die Juristin einmal auf einer Podiumsdiskussion der Initiative bayerischer Strafverteidiger nur wenige Monate nach Beginn des NSU-Prozesses im Jahr 2013 gesagt. Mit Angeklagten aus dem Umfeld der RAF oder der kurdischen PKK hat sie dagegen keine Probleme. „Da konnte ich genügend innere Nähe entwickeln“, bekannte sie damals.

Eine Haltung, mit der sie unter den Nebenkläger-Anwälten bei weitem nicht alleine ist. Bis zu ihrem Tod im Dezember 2015 war auch die ehemalige Grünen-Stadträtin Angelika Lex als Vertreterin der Nebenklage am Prozeß beteiligt. Auf einem Demonstrationsaufruf der Antifa anläßlich des Prozeßbeginns war Lex als Unterstützerin aufgeführt.

Ebenfalls als Nebenkläger-Anwalt dabei ist Alexander Hoffmann. Der bekennende Antifa-Jurist pflegt enge Kontakte in die linksextreme Szene. Wenn er den Gerichtssaal zu Beginn der Verhandlung betritt, blickt er stets zunächst hinauf auf die Pressetribüne, hält Ausschau nach bekannten Gesichtern, denen er anschließend freundlich zuwinkt. Einer aus dem Publikum winkt erfreut zurück. „Er beendet seine Mails stets ‘mit sozialistischen Grüßen’“, flüstert er seinem Sitznachbarn zu.

Hoffmann hatte vor Jahren unter anderem erfolgreich die „Militante Gruppe“ verteidigt, der seinerzeit zur Last gelegt worden war, Bundeswehr-Fahrzeuge in Brand gesetzt zu haben. Dabei hatte er sich der linksextremen Szene mehrfach für Interviews zur Verfügung gestellt. Der Internetauftritt seiner Kanzlei verlinkt zur linksextremen Roten Hilfe. Hoffmann gehört auch dem linkslastigen Republikanischen Anwältinnen- und Anwältever-ein (RAV) an, der 1979 unter anderem von Altbundeskanzler Gerhard Schröder sowie den ehemaligen RAF-Anwälten Rupert von Plottnitz und Otto Schily gegründet worden war und zumeist bei der Verteidigung linksradikaler Straftäter auf den Plan tritt. Vorsitzender des RAV ist Peer Stolle, der genauso als Nebenkläger-Anwalt beim NSU-Prozeß mit von der Partie ist wie das RAV-Mitglied Sebastian Scharmer. Beide vertreten die Familie des ermordeten Mehmet Kubas?k.

„Überlebende des NSU“, nicht Opferangehörige

Weniger der linksradikalen als vielmehr dem linksliberalen Spektrum zuzuordnen ist dagegen Mehmet Daimagüler. Der Sohn türkischer Migranten gehörte in den neunziger Jahren dem Bundesvorstand der FDP an, arbeitete unter anderem für die linksliberalen Politiker Gerhart Baum und Burkhard Hirsch.

Der 49 Jahre alte Ehrenvorsitzende der Liberalen Türkisch-Deutschen Vereinigung vertritt die Angehörigen der Mordopfer Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar. Wobei Daimagüler schon der Begriff „Opferangehörige“ stört. „Das beschreibt nicht ihre Situation. Sie sind Überlebende des NSU“, sagt er.

Auch er greift die Bundesanwaltschaft an. „Hunderte Steine, die nicht einmal angefaßt, geschweige denn umgedreht wurden“, kritisiert er die Ermittlungen. Immer wenn „Rechtsradikale, Rassisten und Nazis“ Morde verübt hätten, habe es bei der Bundesanwaltschaft die Tendenz gegeben, Tatmotive und politische Hintergründe herunterzuspielen, behauptet er. Rassismus sei zudem lediglich von der Nebenklage thematisiert worden. Als er auf Parallelen zum Oktoberfestattentat zu sprechen kommt, fällt ihm Zschäpes Altverteidiger Wolfgang Heer ins Wort. Neue Anträge, erneute Verzögerungen.

Nebenkläger-Anwalt Alexander Hoffmann springt seinem Kollegen Daimagüler zur Seite. „Es ist ein Unding und grenzt an das, was hier überhaupt noch zulässig ist, eine solche Zeitverschwendung jetzt an dieser Stelle zu provozieren.“ Daimagüler geht auch auf die dubiose Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex ein. Der Staat werde hier vom Staat gedeckt, der Staatsschutz erscheine so „in einem erschreckenden Sinne“. Für ihn gebe es daher noch einen sechsten unsichtbaren Angeklagten: den Staat.