© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Soldatische Leistungen allein reichen nicht
Bundeswehr: Der Entwurf eines neuen Traditionserlasses verwirft Wehrmacht und NVA ausdrücklich / Brücken in andere Epochen
Peter Möller

Bei Staatsbesuchen entfalten auch demokratische Staaten ihre volle Pracht. Das gilt nicht zuletzt für die obligatorischen militärischen Ehrenbezeugungen. In den meisten Ländern nehmen hierfür Soldaten in farbenprächtigen historischen Uniformen Aufstellung. Und sogar berittene Einheiten in schimmernder Wehr werden aufgeboten, wie etwa in Frankreich die Garde républicaine oder das Reggimento Corazzieri in Italien.

In Deutschland dagegen geht es auch bei Staatsbesuchen – freundlich formuliert – preußisch schlicht zu. Die Uniformen des dafür zuständigen Wachbataillons unterscheiden sich kaum von denen anderer Bundeswehreinheiten. Diese augenfällige Nüchternheit zeigt sinnbildlich das gebrochene Verhältnis der Bundeswehr zur deutschen Militärgeschichte. Dies wurde zuletzt Anfang des Jahres deutlich, als im Gefolge des Terrorverdachts gegen den Bundeswehroffizier Franco A. eine neue Debatte über das Verhältnis der Bundeswehr zur Wehrmacht entbrannte, in deren Verlauf Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sämtliche Kasernen nach „Wehrmachtsdevotionalien“ durchsuchen ließ (JF 21/17).

Der dadurch in der Truppe ausgelösten Verunsicherung versuchte von der Leyen mit einer breit angelegten Traditionsdebatte zu begegnen. Als Ergebnis mehrerer Workshops hat das Verteidigungsministerium in der vergangenen Woche den Entwurf für einen neuen Traditionserlaß vorgelegt. Das neunseitige Papier mit dem Titel „Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ soll den 1982 unter Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) beschlossenen Erlaß ablösen.

Geleitet wird das Papier dabei von dem Gedanken, daß militärische Leistungen nicht losgelöst vom jeweiligen historischen Hintergrund bewertet werden können. „Für die Bundeswehr, die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet ist, kann nur ein soldatisches Selbstverständnis mit Wertebindung, das sich nicht allein auf rein handwerkliches Können im Gefecht reduziert, sinn- und traditionsstiftend sein“, führen die Autoren dazu aus.

Dementsprechend deutlich fällt die Abgrenzung zur Wehrmacht aus. „Der verbrecherische NS-Staat kann Tradition nicht begründen. Für die Streitkräfte eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht sinnstiftend“, heißt es in dem Papier, das in diesem Punkt über den alten Traditionserlaß hinausgeht, in dem das Wort Wehrmacht nicht vorgekommen ist. Statt dessen wurde 1982 noch zwischen schuldhafter Verstrickung und schuldlosem Mißbrauch differenziert.

Aus naheliegenden Gründen neu im Traditionserlaß ist die Positionierung zur ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Auch diese begründe als Institution keine Tradition der Bundeswehr: „Als Hauptwaffenträger der Partei-Diktatur der SED war sie fest in die Staatsideologie der DDR eingebunden und wesentlicher Garant für die Sicherung ihres politisch-gesellschaftlichen Systems.“

Bekenntnis zum  preußischen Erbe

Durchaus positiv werden dagegen die deutschen Streitkräfte bis zum Ende des Kaiserreiches bewertet. Zwar seien diese ein stabilisierender Bestandteil einer vornehmlich kleinstaatlichen und dynastischen Ordnung gewesen. „Dessen ungeachtet entwickelten deutsche Streitkräfte zahlreiche fortschrittliche und richtungsweisende Verfahren, Strukturen und Prinzipien, etwa die moderne Stabsarbeit, das Führen mit Auftrag, das Führen von vorne oder das Generalstabswesen“, heißt es fast schon überschwenglich zum preußischen Erbe der Bundeswehr.

Aber auch für einzelne Soldaten aus den historisch belasteten Zeiten besteht Hoffnung. „Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich.“ Voraussetzung dafür sei jedoch eine sorgfältige Einzelfallbetrachtung und „etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr“. Auch künftig soll es der Bundeswehr dadurch möglich sein, sich auf die Vertreter des militärischen Widerstands gegen Hitler und auf die Gründungsväter der Bundeswehr berufen zu können. Auch an anderer Stelle ist das Bemühen erkennbar, Brücken zu schlagen. „Die Ursprünge der Werte und Normen des Grundgesetzes reichen weit in die Vergangenheit zurück. In diesem Verständnis lassen sich vorbildliche soldatisch-ethische Haltung aus allen Epochen der deutschen (Militär-)Geschichte in das Traditionsgut der Bundeswehr übernehmen.“

Selbst wenn die Bundeswehr auf traditionelle Uniformen für besondere Anlässe auf absehbare Zeit wird verzichten müssen, weiß auch die heutige Bundeswehrführung, daß Tradition nicht nur auf dem Papier besteht, sondern Symbole, Zeichen und Zeremonielle zur Außendarstellung braucht. „Sie prägen das Bild der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft. Viele überlieferte Formen, Sitten und Gepflogenheiten sind nicht Tradition, sondern Brauchtum, also militärische Gewohnheiten und Förmlichkeiten“, heißt es dazu in dem Papier. Neben den „schwarz-rot-goldenen Nationalfarben als Symbol demokratischen Selbstverständnisses“ sowie der Nationalhymne zählt der neue Erlaß dazu auch den Großen Zapfenstreich „als höchstes Zeremoniell“ und das „Lied vom guten Kameraden“ als „Herzstück jeder militärischer Trauerfeier“.

Noch handelt es sich bei dem Papier um einen Entwurf. Einzelne Änderungen sind daher nicht ausgeschlossen, doch an den grundlegenden Aussagen des neuen Traditionserlasses dürfte sich nichts Wesentliches mehr ändern. Für Diskussionen in der Bundeswehr wird das Papier aber auf jeden Fall sorgen.