© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Die Union schafft sich ab
Koalitionsverhandlungen: Die entkernte Union zwischen „Schwampel“ und „GroKo“
Michael Paulwitz

Der Zug der Lemminge geht wieder Richtung „GroKo“. Vier Wochen lang hatten sich die Unionsparteien halbherzig die schwarz-gelb-grüne „Schwampel“ schöngeredet; nach dem Absprung der Liberalen in letzter Sekunde soll nun doch wieder die SPD als Merkelrettungsverein ran. Jene Sozialdemokraten, denen die Kanzlerin eben noch bescheinigt hatte, auf absehbare Zeit „nicht regierungsfähig“ zu sein. Aber wer zählt schon noch die Merkelschen Volten in diesem unwürdigen Schauspiel?

„Große Koalition“ könnte man eine Neuauflage des schwarz-roten Regierungsbündnisses kaum noch nennen. Fast vier Fünftel der Abgeordneten standen hinter der letzten „GroKo“, mit Grünen und Linken als Hofopposition, von der in allen existentiellen Fragen kaum Widerspruch zu erwarten war; im aktuellen Bundestag kommen Union und SPD zusammen nur über 50 Prozent. Eine Koalition der Verlierer, die, wenn sie zustande kommt, wohl vor allem von der Sorge zusammengeschweißt werden dürfte, bei eventuellen Neuwahlen sogar noch tiefer einzubrechen.

 Der Absturz ist nur aufgeschoben. Für die geschrumpfte SPD dürfte eine Neuauflage der Koalition mit der Union der nächste große Schritt auf dem Weg zum „Projekt 18“ und der Selbstdegradierung zur Mittelpartei unter vielen werden. Ihr glück- und hausmachtloser Parteichef Martin Schulz, der ein ums andere Mal Vorpreschen mit Führen verwechselte, hat das wohl erkannt, kann sich aber nicht durchsetzen und steht nun als traurige Figur da, die auf Geheiß anderer kehrt an den Koalitionsverhandlungstisch machen muß.

Kommt es zur abermaligen Wiederkehr der „GroKo“, wird die SPD sich fürs erste selbst feiern dürfen: Sie kann die Bedingungen diktieren, und die ausgebeinte Union hat dem inhaltlich nichts entgegenzusetzen. Und für die Seilschaft um Noch-und-vielleicht-bald-wieder-Außenminister Sigmar Gabriel, die ihren wichtigsten Mann im Bundespräsidentenschloß hat, wird es mit Sicherheit ein paar schöne Posten geben.

Für Deutschland sind das schlechte Nachrichten. Nichts wird korrigiert, dafür werden die Fehlentwicklungen der letzten zwölf Merkeljahre zementiert: mehr Steuern und Abgaben, mehr Dirigismus und Planwirtschaft; Frankreich wird seine Banken-, Haftungs- und Schuldenunion bekommen samt dem mit deutschem Steuergeld wohlausgestatteten „EU-Finanzminister“, und dem „Klimaschutz“-, Mietpreis-, Familien- und Rentensozialismus stehen alle Türen offen.

Wie die Kanzlerin in ihrem Cäsarenwahn der eigenen Unersetzlichkeit und ihre sozialdemokratisierte und zur beliebig formbaren Knetmasse entkernte Partei sich aneinanderklammern, trägt mittlerweile gespenstische Züge. Rücktrittsgründe hat die CDU-Chefin wahrlich genug gesammelt: Erst hat sie in der letzten Bundestagswahl den höchsten Stimmenverlust aller Parteien und das schlechteste CDU-Ergebnis seit Bestehen der Partei eingefahren und dann auch noch die Sondierungsverhandlungen über die „Jamaika“-Verlegenheitskoalition mit ihrer Grün-Fixierung an die Wand gefahren. Daß es in dieser Situation nicht längst Rücktrittsforderungen hagelt, verrät viel über den inneren Zustand einer apathischen Partei. Nur einzelne sind es, die aufmucken – hier ein JU-Vertreter, der einen „Generationswechsel“ fordert, dort ein Mitglied der „Werte-Union“ oder ein mutiger Delegierter im eigenen Landesverband, der Merkel auf dem Landesparteitag als „machtgeil und unpatriotisch“ attackiert und dafür vom sonst stummen Rest niedergezischt wird.

Die Friedhofsruhe vermittelt „Stabilität“, weil eine getreue Mediengefolgschaft mitspielt. Merkels „Pflichtbewußtsein“ werde „zu Machtgier umgedeutet“, tadelt die Welt – dabei ist es gerade umgekehrt: Die Kanzlerin inszeniert den eigenen Machterhalt, das einzige Programm und die einzige Überzeugung, die sie noch zu kennen scheint, als staatspolitische Verantwortung und ihre opportunistische Beliebigkeit als Pragmatismus.

Lange ist das ja auch gutgegangen. Doch in der Zwischenzeit haben die in ihrer Amtszeit aufgehäuften Problemberge – Euro-„Rettung“, Energiewende und Einwanderung, um nur die größten zu nennen – eine Dimension erreicht, die das gewohnte Wegvernebeln nicht mehr zuläßt. Zumal jetzt mit AfD und FDP gleich zwei Oppositionsparteien im Bundestag sitzen, die nicht nur widersprechen werden, sondern schon durch ihre bloße Existenz zeigen, daß alternative Mehrheiten zum bisherigen Gewurstel möglich sind.

Der politische Instinkt hat Angela Merkel schon länger verlassen; nicht erst, seit sie den Unwillen von FDP-Chef Christian Lindner unterschätzt hatte, sich zum Westerwelle-Wiedergänger machen zu lassen, und ihn beim „Sondieren“ schon wie ein vernachlässigbares Koalitions-Anhängsel behandelte. In ihrer starrsinnigen Verweigerung jeder Einsicht in eigene Fehler („Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen“) ähnelt sie eher Honeckers „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ als dem europäischen „Stabilitätsanker“, als den sie sich so gerne sieht.

Was Merkel in Berlin, das verkörpert ihr kleiner Bruder Horst Seehofer in München: Je länger die beiden Wahlverlierer und Vorsitzenden von CDU und CSU an ihren Sesseln kleben, desto tiefer reiten sie ihre Parteien in die Krise. Eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung, die für jede Entscheidung um Mehrheiten werben muß, statt alternativlos vom Küchenkabinett aus durchzuregieren, könnte ebenso ein Ausweg sein wie Neuwahlen.

Beides ergibt nur Sinn ohne Merkel und Seehofer. Mit der Fortsetzung der „GroKo“-Agonie begeben sich dagegen alle Beteiligten auf den Pfad der Selbstabschaffung. Union und SPD wären nicht die ersten Volksparteien in Europa, die sich überlebt haben und Platz machen für neue Formationen. Fürchten muß sich davor niemand.