© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Stelenstreit in Bornhagen
Aktion gegen Björn Höcke: Das „Zentrum für politische Schönheit“ nimmt den AfD-Politiker an dessen Wohnort ins Visier
Martina Meckelein

Ist das Kunst, diese 24 Stelen in Nachbars Garten? Um diese Frage geht es dem Staatsschutz der Kriminalpolizei Nordhausen und der Staatsanwaltschaft Mühlhausen in Thüringen nicht. Im Fall der Stelenaktion neben dem Haus des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Thüringer Landtag, Björn Höcke, geht es um Straftaten.

„Wir haben ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Nötigung eingeleitet“, sagt Staatsanwalt Dirk Germerodt der JUNGEN FREIHEIT. Geprüft werde von der Polizei darüber hinaus, ob Delikte wie Diebstahl, Nachstellungen und Verstöße gegen Datenschutz vorlägen. 

Nur knapp 300 Einwohner leben in Bornhagen im Eichsfeld. Einer von ihnen ist Björn Höcke. Der Politiker wohnt dort gemeinsam mit seiner Frau und den vier Kindern in einem alten Pfarrhaus.

Vergangene Woche hatte die selbsternannte Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit (ZPS) früh morgens auf dem Nachbargrundstück Höckes die 24 Stelen im Stil des Berliner Holocaust-Mahnmals enthüllt. Fünf Tage hatte die Gruppe – versteckt unter Plastikplanen – an den Stelen gewerkelt. Die Aktionskünstler wollten damit auf eine Rede Höckes im Januar 2017 in Dresden anspielen. Damals sagte der Thüringer AfD-Chef: „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Provokationen am          Rande der Legalität

Schon vor zehn Monaten mieteten sie sich im Nachbarhaus ein und observierten Höcke mit Kameras. Ob auch dessen Frau und seine Kinder gefilmt, abgehört oder fotografiert wurden, wird zur Zeit von der Polizei ermittelt. Bereits über 93.000 Euro konnten die Aktivisten dafür an Spenden einnehmen. Höcke hatte einige Wochen zuvor in der Landtagsfraktion eher scherzhaft erzählt, daß er seine blaue Mülltonne vermisse. An die Kunsttruppe dachte er dabei nicht. Zudem wirft Höcke der Gruppe vor, eine Axt entwendet zu haben, die sie mittlerweile für 5.000 Euro zum Verkauf angeboten haben. 

Zu der Aktion sagt die Pressesprecherin des Verfassungsschutzes, Dagmar Neisen, der JF: „Der gesetzliche Auftrag des Thüringer Verfassungsschutzes erstreckt sich weder auf die AfD noch das ZPS. Eine Befugnis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel liegt somit nicht vor.“

Bereits in der Vergangenheit ist das „Zentrum“ durch Provokationen am Rande der Legalität aufgefallen. Auf seiner Internetseite beschreibt es sich als „Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit. Es setzt auf Menschlichkeit als Waffe, entfacht einen aggressiven Humanismus und experimentiert mit den Gesetzen der Wirklichkeit.“

2009 legten sie Bombenattrappen auf dem Rasen vor dem Reichstag ab, weil die Alliierten Auschwitz nicht bombardiert hätten. 2014 schraubten sie Kreuze für die an der Mauer ermordeten innerdeutschen Flüchtlinge ab und verschleppten sie an die Außengrenzen der EU, um den toten Migranten zu gedenken. Im Juni 2015 buddelten sie rund 100 Löcher in den Rasen vor dem Reichstag. Sie sollten Gräber von Flüchtlingen, die es nicht nach Europa geschafft haben, symbolisieren. Der entstandene Schaden belief sich auf mindestens 10.000 Euro. Im September 2015 schaltete das ZPS eine Anzeige in der Schweizer Arbeitslosenzeitung Surprise. Sie zeigte eine zerbrochene Brille vor rotem Hintergrund. Beschrieben ist das Inserat auf der einen Seite mit „Tötet Roger Köppel“; auf der anderen Seite steht „Roger Köppel tötet“. Köppel ist Chefredakteur und Herausgeber des Magazins Weltwoche und sitzt für die SVP im Schweizer Nationalrat. 2016 sperrten sie vier lebende Tiger in einen Käfig. Die Ankündigung der Truppe: Flüchtlinge würden sich von ihnen zerfleischen lassen. Jetzt die Stelen. 

Zur aktuellen Aktion zitierte die Berliner Zeitung den künstlerischen Leiter des ZPS, Philipp Ruch. Erst wenn Höcke vor dem Original-Mahnmal in Berlin oder der Kopie in Bornhagen auf die Knie falle und aufrichtig um Vergebung bitte, werde man die Beobachtung einstellen. Das sei keine Erpressung, sondern ein „Deal“. 

Auf diesen „Deal“ ging Höcke nicht ein. Er bezeichnete die Truppe als „kriminelle Vereinigung“ und „Terroristen“. Zu einer Stellungnahme gegenüber der JF war Höcke trotz mehrmaliger Nachfrage nicht bereit. Das ZPS hat unterdessen seine Forderung nach einem Kniefall zurückgenommen.

 Die Polizei ist seit vergangenem Mittwoch vor Ort. „Im Rahmen der Gefahrenabwehr“, so Sprecherin Fränze Töpfer von der Landespolizeiinspektion Nordhausen. 24 Stunden, rund um die Uhr. 

Lieberknecht kritisiert    Vorgehen des ZPS 

Einige Behauptungen des ZPS hat die Polizei inzwischen dementiert. So beschwerte sich das Zentrum, daß die Polizei ihr Kunstwerk nicht beschütze. Töpfer: „Ziel ist es, die Sicherheit im Ort zu gewährleisten, dabei Angriffe auf das private Anwesen des Herrn Höcke und die angemieteten Räume des Zentrums für politische Schönheit und in diesem Kontext auch auf die ‘Stelen’ zu verhindern.“

Kritik an der Überwachung Höckes durch das ZPS kommt aus der Politik. Thüringens ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) sagte der JF: „So eine Aktion vor dem Wohnhaus eines Politikers, der auch noch kleine Kinder hat, oder irgendeines Menschen, hat dort nichts zu suchen.“ Zwar lehne sie die „kruden Ideen“ des Herrn Höcke politisch ab. „Aber unabhängig von einem politischen Streit sind wir doch alle aufgerufen, uns im demokratischen Rahmen auseinanderzusetzen. Niemals dürfen dabei eine ganze Familie oder gar Kinder zu Leidtragenden werden.“ 

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) sagte, Versuche, Abgeordnete an der Ausübung ihres Mandates zu hindern, seien „gänzlich unakzeptabel“. Der Vermieter hat der Künstlertruppe jetzt zum Ende des Jahres gekündigt. Eigentlich sollte die Aktion bis 2019 laufen.