© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Keine normale Sache
Lebensschutz: Weil sie für Abtreibungen warb, hat ein Gericht in Gießen eine Ärztin zu einer Geldstrafe verurteilt / Grüne und Linkspartei kritisieren das Urteil
Christian Schreiber

Kristina Hänel versteht die Welt nicht mehr. Am vergangenen Freitag stand die Ärztin aus Gießen vor Gericht. Sie soll für Schwangerschaftsabbrüche geworben haben, was in Deutschland unter Strafe steht. Hänel sieht den Fall jedoch anders: Sie habe medizinische Informationen ins Netz gestellt, um Menschen aufzuklären und zu informieren. Sie betrachte das als ihre ärztliche Pflicht. „Ich mache das nicht, damit Frauen zu mir kommen. Die kommen sowieso. Ich brauche das nicht“, sagte die 61jährige, die nach eigenen Angaben seit über 30 Jahren Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, dem Nachrichtenmagazin Focus. 

Doch das Amtsgericht Gießen sah dies anders. „Der Gesetzgeber möchte nicht, daß über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache“, begründete die Vorsitzende Richterin das Urteil. Das Gericht verhängte eine Strafe von 40 Tagessätzen à 150 Euro (6.000 Euro). Das Urteil war kaum gesprochen, da brachten sich bereits die Unterstützer der Ärztin Position. 

Die Linksfraktion im hessischen Landtag solidarisierte sich umgehend mit der Ärztin und forderte eine Änderung des Strafrechts. Wenn Ärzte etwa im Internet nicht darüber informieren dürften, daß sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten, werde „das Recht auf freie Arztwahl praktisch ausgehebelt – das heißt, die Frauen sind total auf sich gestellt“, beschwerte sich die frauenpolitische Sprecherin Marjana Schott. „Kristina Hänel wurde ein kurzer Prozeß gemacht“, meinte auch die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ulle Schauws. Sie forderte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur eine Streichung oder Änderung des betroffenen Paragraphen 219a StGB. Ärzte müßten darauf hinweisen können, daß sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten, ohne sich strafbar zu machen. Der Paragraph verbietet das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus einem finanziellen Vorteil heraus. Als Höchststrafe ist eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren vorgesehen.  

Wortgefechte zwischen    Unterstützern und Gegnern

CDU-Politiker erklärten dagegen, das Werbeverbot solle Geschäftsmodelle mit Abtreibungen verhindern. Die gesundheitspolitische Sprecherin Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) befürchtet bei einer Abschaffung des Werbeverbots eine Verharmlosung von Abtreibungen. „Man kann aber sicherlich darüber streiten, ob schon die sachliche Information auf der Homepage eines Arztes den Tatbestand erfüllt“, erklärte sie gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. Vor dem Gießener Gericht kam es zu Wortgefechten zwischen Unterstützern und Kritikern der Ärztin, die sich seit Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, sie betreibe Werbung für Abtreibung. Auf einer Internetseite wurden die Praktiken der Medizinerin mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten verglichen.

Hänels Verteidigerin erklärte während der Verhandlung, daß ihre Mandantin lediglich informiert, jedoch keine „appellative Werbung“ auf ihrer Internet-seite betrieben habe. Sie kündigte an, das Urteil mit einer Revision anzufechten: „Ich konnte mir nicht vorstellen, daß eine Richterin den Unterschied von Information und Werbung nicht kennt.“ Die Staatsanwaltschaft hatte bereits vor einigen Jahren gegen die Ärztin wegen zwei ähnlicher Vorwürfe ermittelt. Die beiden Verfahren wurden damals eingestellt.

Der Bundesverband Lebensrecht lobte unterdessen das Urteil. Das Werbeverbot für Abtreibungen werde gestärkt, so die Vorsitzende Alexandra Linder. Für etwas zu werben bedeute in der öffentlichen Wahrnehmung, daß es sich um etwas Gutes, Akzeptables, Normales handele, und bedeute für die Werbenden, daß sie damit Geld verdienen wollten. Statt über eine Abschaffung des Paragraphen 219 zu diskutieren, sei es wichtiger, sich mit den Folgen des Paragraphen 218 zu beschäftigen. Denn die Ziele des Gesetzes, die Zahlen signifikant zu senken und den Frauen effizient zu helfen, seien offenkundig nicht erreicht worden. „Eine Abschaffung des Werbeverbots, wie es jetzt gefordert wird, hätte allein aufgrund einer öffentlich angenommenen Normalisierung weiter steigende Zahlen und weiter sinkende Hilfsbereitschaft für Frauen im Schwangerschaftskonflikt zur Folge“, erklärte die Organisation.