© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Nimm zwei?
Vor dem Bundesparteitag: Am Wochenende wählt die AfD einen neuen Vorstand / Antrag stellt die Doppelspitze zur Disposition
Christian Vollradt

Der Parteitag, die große Unbekannte. Wer in diesen Tagen führende oder auch einfache Mitglieder der AfD nach ihren Erwartungen oder Prognosen für den Bundesparteitag am kommenden Wochenende in Hannover fragt, bekommt meist zu hören: „Das kann ich beim besten Willen nicht sagen, mal abwarten.“ Zum einen liegt das an der für die – noch immer ziemlich junge – Partei typischen Unberechenbarkeit. Der „gärige Haufen“ (Alexander Gauland) hat mit seinen Entscheidungen schon so manche Prophezeiung widerlegt. 

Zum anderen steht das Treffen in Hannover ganz im Zeichen der Vorstandswahlen: Wer tritt für welches Amt an, wer gewinnt, wer verliert – die typischen Personalentscheidungen eben. Sicherlich spannend, auch im Hinblick auf die innerparteiliche Austarierung der verschiedenen Parteiflügel. Aber – und das ist der Unterschied etwa zum vorangegangenen Parteitag in Köln – es gibt kein alles dominierendes Oberthema, so wie seinerzeit im April der Konflikt an der Vorstandsspitze zwischen Frauke Petry und Jörg Meuthen. 

Der befürchtete             Massenexodus blieb aus

Eigentlich könnten die Delegierten bester Stimmung sein: Die Partei hat es in den Bundestag geschafft, sie stellt dort die drittstärkste Fraktion. Die Krise unmittelbar nach der Wahl am 24. September, als die direktgewählte Noch-Parteichefin und sächsische Spitzenkandidatin Frauke Petry öffentlichkeitswirksam der AfD den Rücken kehrte, ist schneller als erwartet überwunden, der befürchtete Massenex-odus ausgeblieben. 

Die ersten Redebeiträge der AfD-Abgeordneten im Plenum sind unter Mitgliedern und Anhängern der Partei in den sozialen Netzwerken ein Renner. Auch nüchterner betrachtet konnte sich die Arbeit der Fraktion in der parlamentarischen Öffentlichkeit sehen lassen: keine Spur von Radau, statt dessen ernsthafte, sachorientierte Debattenbeiträge. Besonders bei der Frage der Verlängerung der Mandate für Auslandseinsätze der Bundeswehr kam dies zum Tragen. Mit mehreren (ehemaligen) Offizieren konnte die Fraktion fachlich kompetent auftreten; und allein die Tatsache, daß das militärische Engagement der Bundesrepublik nicht zur Gänze abgelehnt wurde, unterstrich eine realpolitische Ausrichtung. 

Da mag es hinter den Kulissen noch so knirschen, wenn organisatorische Defizite spürbar werden oder immer noch nicht alle nötigen Stellen mit erfahrenen Mitarbeitern besetzt sind. Aber das ließe sich unter Geburtswehen eines Parlamentsneulings verbuchen. Wer dieser Tage mit Abgeordneten spricht, hört fast gleichlautend: Die Fraktion ist arbeitsfähig, die Stimmung gut.

Doch die AfD wäre nicht die AfD, wenn sich nicht trotzdem der nächste Konfliktstoff anbahnen würde. Da ist zum einen die Frage: Doppelspitze oder nicht? In einem Antrag fordert unter anderem Sachsen-Anhalts Parteichef André Poggenburg eine künftige Flexibilisierung, die auch eine Einzelspitze ermöglichen könnte. In Parteikreisen ist es kein Geheimnis, daß Sprecher Jörg Meuthen, der sich der Wiederwahl stellt (siehe Interview Seite 3), dies gern sähe. Mit Fraktionschef Alexander Gauland hat die Doppelspitze allerdings einen einflußreichen Fürsprecher. Zumal die AfD-Basis Macht lieber in mehr als in wenige Hände delegiert. 

Als potentiellen Co-Vorsitzenden hatte Gauland zunächst Mecklenburg-Vorpommerns Landeschef und Bundestagsfraktionsvize Leif-Erik Holm ins Spiel gebracht. Jung, smart, redegewandt und aus dem Osten; dazu für Liberal- wie Nationalkonservative wählbar. Doch Holm sagte am Dienstag seine Kandidatur endgültig ab: Er habe bereits zwei wichtige Aufgaben übernommen. „Als Vater von zwei kleinen Kindern ist es mir sehr wichtig, neben der Politik auch noch Zeit für meine Familie zu haben“, teilte der 47jährige mit.

Stattdessen verkündete Berlins Landesvorsitzender Georg Pazderski, er werde sich bewerben: „Nach reiflicher Überlegung und vielen Gesprächen habe ich mich jetzt entschieden, am Wochenende für eine Sprecherposition an der Spitze der AfD zu kandidieren“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Pazderskis Kandidatur unterstützen die beiden stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Beatrix von Storch und Roland Hartwig. „Georg Pazderski gehört zu den profilierten Landespolitikern der AfD und steht klar und glaubwürdig für einen bürgerlich-konservativen Kurs“, so von Storch. Und Hartwig ergänzte gegenüber dem RND: „Georg Pazderski ist der richtige Mann, die verschiedenen Fähigkeiten und Strömungen in einer Doppelspitze so zu einem Miteinander zu bündeln, daß die AfD sich dauerhaft als eine konservative Volkspartei in Deutschland etabliert.“

Höcke hat Anhänger, für andere ist er ein rotes Tuch

Eine von Mitgliedern wie Beobachtern mit Spannung erwartete Frage ist die nach Björn Höcke. Wird der Thüringer Landesvorsitzende mit dem (noch) schwebenden Parteiausschlußverfahren in Hannover erscheinen und möglicherweise sogar für einen Posten im Bundesvorstand kandidieren? Höcke selbst ließ beides offen, wie er über seinen Sprecher auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilte. Aus Parteikreisen erfuhr diese Zeitung, daß zumindest das Thema Kandidatur nicht auf der Tagesordnung steht. So soll unter anderem AfD-Grandseigneur Gauland den Parteifreund überredet haben, nicht anzutreten. 

Statt dessen könnte sich zum Beispiel der Brandenburger Fraktionschef Andreas Kalbitz aufstellen lassen, der wie Höcke ein Mann der Parteirechten („Flügel“) ist, allerdings bisher weniger prominent und weniger in den überregionalen Schlagzeilen vertreten. Der Gedanke dahinter ist, den gerade einigermaßen erreichten Parteifrieden nicht durch eine provokative Personalentscheidung zu gefährden. Denn auch wenn Höcke über eine gewisse Anhängerschaft verfügt, gilt er vielen anderen in der AfD als rotes Tuch. 

Gerade weil der Abgang Petrys keine Spaltung von Fraktionen und Landesverbänden nach sich zog, gelte es, alles zu vermeiden, was wie eine nachträgliche Bestätigung – à la Petry geht, Höcke kommt – aussehe. Kalbitz bestätigte der JF, er stünde für eine Wahl in den Vorstand zur Verfügung, sehe die ganze Sache aber leidenschaftslos. 

Klar ist: Der „Flügel“ konnte bei Führungsposten in der Bundestagsfraktion nicht groß punkten. Das künftige Macht- und Kompetenzzentrum der AfD wird eher von liberalkonservativen Vertretern dominiert. Naheliegend, daß Repräsentanten dieser innerparteilichen Strömung darauf drängen, ihre Vertreter wenigstens in den Bundesvorstand zu entsenden. 

Unklar ist indes, ob die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel bei ihrer Entscheidung bleibt, nicht für den Bundesvorstand zu kandidieren. Mehrere Parteiprominente hatten sich für einen Vorstandsposten Weidels ausgesprochen. „Der Bundesvorstand braucht Alice Weidel und ihre hohe Sachkompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen. Deshalb halte ich es für wichtig, daß sie für den Bundesvorstand kandidiert“, meinte beispielsweise Sprecherkandidat Pazderski in der Bild-Zeitung. Aus Parteikreisen ist zudem zu hören, Weidel werde sich durchaus noch in die Pflicht nehmen lassen. 

Die eine oder andere hitzige Diskussion wird sich auch jenseits der Personalfragen entspannen: Etwa wenn es um die im Antragsbuch auftauchende Forderung geht, schon jetzt festzulegen, ob 2019 der dann wieder zu wählende Bundesvorstand auf einem Mitglieder- oder Delegiertenparteitag gewählt werden soll. Ein weiterer Antrag fordert Ordnungsmaßnahmen gegen Mitglieder einer WhatsApp-Gruppe aus Nordrhein-Westfalen, die vom damaligen Landesvorsitzenden Marcus Pretzell organisiert worden war. Auch auf der Tagesordnung: der Antrag, im kommenden Frühjahr eine Strategieklausur anzuberaumen, um die Kursbestimmung – „realpolitisch oder fundamentaloppositionell“– vorzunehmen. 

Sprengstoff bieten – wieder einmal – die Anträge des fraktionslosen baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon zur Außenpolitik, zu Israel und zum Antisemitismus. Sie werden unterstützt von den Stuttgarter AfD-Abgeordneten Bernd Grimmer, Emil Sänze und Rainer Podeswa. Diese inhaltliche Annäherung geht einher mit der Entscheidung der AfD-Landtagsfraktion, Gedeon in ihren Arbeitskreis Europa aufzunehmen. Der scheidende Fraktionsvorsitzende Meuthen hängt die Bedeutung des Ganzen nach außen tief (Seite 3); viele andere Parteifunktionäre sehen das anders: „Eine Katastrophe“, so äußerten sich unter der Hand mehrere gegenüber der JF. Wie sich die Delegierten dazu am Wochenende in Hannover mehrheitlich verhalten werden, ist offen. Der Parteitag, die große Unbekannte.