© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Von kleinen und größeren Fischen
G20-Krawalle vor Hamburger Gerichten: Landfriedensbruch, Brandstiftungen, Körperverletzungen stehen zur Verhandlung / Mit den Mitläufern wird die Justiz schnell fertig, Mitglieder der linken Szene haben gute Unterstützung
Hinrich Rohbohm

Brennende Barrikaden auf den Straßen. Schwarze Rauchsäulen, die über der Hamburger Innenstadt emporsteigen. Vermummte Gewalttäter, die herausgerissene Pflastersteine und Bierflaschen auf Polizisten schleudern. Maskierte, die mit Gehwegplatten in den Händen auf Hausdächern stehen, bereit, diese auf heranrückende Einsatzkräfte zu schmeißen. Rauchbomben, die die Umgebung in dichten rötlichen Nebel hüllen. Brennende Autos, umgekippte Müllcontainer, geplünderte Geschäfte, eingeschlagene Schaufensterscheiben.

Die Tage zwischen dem 6. und dem 8. Juli dieses Jahres waren die wohl schlimmsten Krawalle, die die Hansestadt seit vielen Jahren erlebt hatte (JF 29/17). 20.000 Polizisten waren im Einsatz, über 100.000 oftmals gewaltbereite Krawallmacher aus der linken Szene nach Hamburg gekommen, um auf ihre Art gegen den G20-Gipfel zu demonstrieren.

Ümit Y. hatte sich nicht   vermummt, ging spontan mit

Jetzt müssen sich zahlreiche der Täter vor den Hamburger Gerichten verantworten. Schwerer Landfriedensbruch, Körperverletzung und Angriff auf Vollstreckungsbeamte lauten zumeist die den Angeklagten zur Last gelegten Vorwürfe. Einer dieser Angeklagten ist Ümit Y., ein 28 Jahre alter Mann mit türkischem Migrationshintergrund und deutscher Staatsangehörigkeit.

Der bereits Vorbestrafte sieht am Abend des 7. Juli im Fernsehen die Krawalle im Schanzenviertel, einer Hochburg der linksradikalen Szene Hamburgs. Spontan habe er sich ins Geschehen gemischt, wie er sagt, wollte dabeisein. Er trinkt Alkohol, Jack-Daniels-Whiskey. Das Getränk entfacht seine Wirkung, Ümit Y. wird hemmungsloser. Und aggressiver. Aus einer Gruppe von mindestens 100 zumeist vermummten Personen des „Schwarzen Blocks“ heraus wirft er drei faustgroße Steine auf Polizisten. Zwei der Beamten trifft er an Schulter und Oberkörper. 20 Minuten später folgt seine nächste Tat. In der Stresemannstraße bewirft er zwei Einsatzkräfte mit Glasflaschen, trifft sie an Schulter und Knie. Kurze Zeit danach wütet er an der Ecke Susannenstraße/Bartelsstraße, schleudert zwei weitere Glasflaschen auf Polizisten. Diesmal verfehlen die Geschosse ihr Ziel, schlagen unmittelbar vor den Beamten auf dem Boden auf. Anschließend verschanzt er sich mit weiteren Randalierern hinter einer Bauabsperrung. Holz-Barrikaden werden errichtet, Antifa-Parolen und Schmährufe gegen die Polizei skandiert. Wieder wirft Y. Steine in Richtung Polizei, Räumfahrzeuge und Wasserwerfer.

Auch an den Plünderungen mehrerer Geschäfte ist er beteiligt. Mit Eisenstangen, Pflastersteinen und Fußtritten bricht er mit einer Gruppe von Randalierern in einen Drogeriemarkt ein. Die Gruppe zwängt sich durch die Tür, wirft Getränke aus den Regalen, zerschlägt das Inventar. Es entsteht ein Sachschaden von 780.000 Euro. In einem Supermarkt ist der Schaden noch höher. Hier bricht der 28jährige gemeinsam mit anderen Tätern das heruntergelassene Rollgitter vor dem Eingang auf, schmeißt Lebensmittel aus den Regalen. Einige aus der Gruppe zünden die Einrichtung im Geschäft und im Lager an. Der Schaden beläuft sich auf 2,7 Millionen Euro.

Gegen Mitternacht muß schließlich ein Supermarkt in der Altonaer Straße dran glauben. Gemeinsam mit einigen Vermummten hebelt Y. das Rollgitter auf und schlägt die Scheiben des Geschäfts ein. Er stiehlt Schnaps und Bier, flüchtet. Diesmal beläuft sich der angerichtete Schaden auf 1,1 Millionen Euro.

Dumm für den Angeklagten: Während die meisten aus der Gruppe ihre Identität hinter Masken und Schals verbergen, ist der angetrunkene Ümit Y. auf den Videokameras der Geschäftsfilialen eindeutig zu erkennen. Auch die Polizei verfügt über Videoaufzeichnungen von den Taten des Beschuldigten, die keinen Spielraum für Zweifel lassen.

Entsprechend reumütig gibt sich der Beschuldigte vor dem Hamburger Amtsgericht. „Im Tunnel“ sei er gewesen, sagt er dem Richter bei seinem Geständnis, entschuldigt sich für seine Taten. Vor dem Gefängnis rettet ihn das nicht mehr. Das Gericht verurteilt ihn zu einer Haftstrafe von drei Jahren.

„Verurteilt werden meist nur die Mitmacher. Die Anstifter sind viel zu clever“, sagt Chris (Name geändert), ein Bewohner des Schanzenviertels, nur wenige hundert Meter von der „Roten Flora“ entfernt. Jenem Hamburger Hauptquartier der linksextremen Szene, das als Treffpunkt und Veranstaltungszentrum eine wichtige Rolle in der Infrastruktur anarchistischer Gewalttäter einnimmt. Seit Jahren halten sie das Gebäude besetzt. Mit dem Segen des rot-grünen Senats, der offenbar weder willens noch in der Lage ist, das gesetzwidrig beschlagnahmte Gebäude räumen zu lassen.

Chris ist jemand, der sich in der „Schanze“ eigentlich pudelwohl fühlt. „Ich mag die lockere Lebensart hier, das quirlige Leben.“ Doch am Abend des 7. Juli hatte er sich nicht mehr wohl gefühlt. Als in seinem Viertel die Barrikaden brannten und der linksextreme Mob unter seinem Fenster wütete. Der 26jährige weiß nicht, daß er mit der JF spricht. Nur inkognito läßt sich in diesem grün-alternativ und linksradikal geprägten Milieu Näheres erfahren. „Warum willst’n das alles wissen“, fragt ein Gastronom mißtrauisch. „Bist du ein Bulle?“ argwöhnt dagegen eine Frau um die 30. Kaum jemand in der „Schanze“ möchte über Details jenes Wochenendes Anfang Juli reden. Jedenfalls nicht, wenn es um Tatbeteiligungen von Leuten aus dem Viertel geht.

„Da erfährst du nichts“, winkt Chris ab. Er hat viele Freunde in der linken Szene. Auch er selbst zählt sich dazu, wenn auch nicht zum harten Kern. „Mit Gewalt habe ich meine Probleme. Das ist für mich kein Mittel der Auseinandersetzung.“ Er erinnert sich an lange Abende und Nächte, in denen er mit Freunden aus der Szene darüber diskutierte und leidenschaftlich gestritten hatte.

Die Krawalle vom G20-Gipfel haben aus seiner Sicht genau das Gegenteil von dem bewirkt, was „eigentlich beabsichtigt war“. Statt über Klimaschutz oder den Gegensatz zwischen Arm und Reich sei in den Medien nun über linke Gewalt gesprochen worden. „Damit wurde den Bullen und den Rechten doch nur in die Hände gespielt“, meint er. Wäre alles friedlich geblieben, hätte man gegenüber den Staatschefs medialen Druck aufbauen können. „Das waren nicht alles Linke, die da randalierten“, erklärt er. Viele, die sich für den G20-Gipfel überhaupt nicht interessieren, hätten mitgemacht. Leute wie Ümit Y.

Der linke Szene-Anwalt   verlangt: „Keine Fotos!“

„Die meisten, die da Streß gemacht haben, waren doch gar nicht von hier“, meint ein weiterer Schanzen-Bewohner, ein Mann mit blondgefärbten Haaren, kleinem Schnäuzer und Pferdeschwanz. Ganz falsch liegt er damit nicht. Unter den Angeklagten bei den zahlreichen Gerichtsverfahren, die in den vergangenen Wochen gegen Beteiligte der Krawalle während des G20-Gipfels geführt wurden, befinden sich Angehörige verschiedenster Nationalitäten, von denen nicht wenige ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands haben. Italiener, Spanier, Franzosen, Griechen, Türken, Tschechen, Russen. Letztere sind besonders häufig als Beschuldigte in den G20-Prozessen anzutreffen.

Einer von ihnen ist Konstantin P. Am Eingang zum Gerichtssaal haben sich zum Prozeßauftakt gut 50 Linksradikale eingefunden. Vor dem Gerichtsgebäude haben sie einen Stand aufgebaut. Laute Antifa-Musik dröhnt aus knarzenden Lautsprecherboxen. Der Verteidiger von P. ist Alexander Kienzle, ein bekannter linker Szene-Anwalt.

Die Richterin: Eine jüngere, noch nicht sonderlich prozeßerfahrene Frau, die schon zu Beginn der Verhandlung mit der Situation überfordert ist. „Hier befinden sich Leute unter den Zuhörern in der ersten Reihe, die keine Journalisten sind. Ich beanstande das Einlaßverfahren in den Saal“, sorgt Kienzle gleich zu Beginn für einen Eklat. Ratlosigkeit und Unsicherheit spiegelt sich im Gesicht der Richterin. „Keine Fotos“, verlangt der Verteidiger. Die Richterin fügt sich, die Fotojournalisten müssen den Saal ohne Bilder wieder verlassen. Bei einem französischen Angeklagten, der wegen gefährlicher Körperverletzung und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte vor Gericht sitzt, geschieht es anders. Der Angeklagte, dem vorgeworfen wird, am 7. Juli im Schanzenviertel einem Polizisten eine Glasflasche in den Nacken geworfen zu haben, wird fotografiert, doch er verbirgt sein Gesicht hinter einem Aktendeckel.

Unter den Zuhörern bei Konstantin P. befindet sich auch Uwe Maeffert, Hamburger Star-Anwalt und ein Advokat des linksradikalen Milieus. Der Jurist mit Verbindungen zur Roten Hilfe und zum einstigen Kommunistischen Bund (KB) ist jedoch nicht der einzige Prominente, der sich zum Prozeßauftakt in Sitzungssaal 136 des Hamburger Amtsgerichts eingefunden hat. Auch der russische Generalkonsul Iwan Chotulew zeigt mit seinem Erscheinen ein reges Interesse an dem Fall.

Interesse und Unterstützung, die Leuten wie Ümit Y. nicht zuteil wird. Er ist kein Mitglied der linken Szene. Er ist das, was Lenin einst als „nützlichen Idioten“ bezeichnet hätte. Vorbestraft, dem Alkohol nicht abgeneigt, auf Action aus. Keine politischen Motive. Viele wie ihn hatte es während der Krawalle aus Neugier und dem Wunsch danach, etwas zu erleben, auf die Straße getrieben. Einige von ihnen werden am Abend des 7. Juli gezielt und mit Kalkül von den Linksextremisten in Aktionen eingebunden. Angelockt von Tanz, Musik, jungen Frauen und der Aussicht auf kostenlosen Alkohol.

Vor der „Roten Flora“ schenken an diesem Abend einige Linksradikale Bier und Spirituosen aus. Der Geruch von Marihuana wabert in der Luft. Zumeist junge Menschen sitzen auf der Straße, werden zunehmend berauschter. Als die Sonne untergeht, fliegen die ersten Flaschen. Linksextremisten beginnen, sich zu vermummen. Und unmaskierte Mitläufer wie Ümit Y. werden von der Polizei später leicht ausfindig gemacht.

„Das machen sie leider öfter“, schimpft Chris, der trotz der Taten Mitleid mit Leuten wie Ümit Y. verspürt. „Das sind doch gescheiterte Existenzen, die sich leicht zu so etwas verführen lassen.“ In der Szene werde dann verbreitet, die Randalierer seien überwiegend unpolitisch gewesen. „Die Anstifter kommen dann meistens ungeschoren davon oder haben notfalls über ihre Rechtshilfeorganisationen einflußreichen Beistand.“

Wie groß der Beistand aus Politik, Verwaltung, Justiz und Medien ist, wird allein anhand der „Roten Flora“ deutlich. Auch nach den heftigsten Krawallen, die die Hansestadt in den vergangenen Jahren erleben mußte, ist eine Schließung oder ein Abriß des besetzten Gebäudes auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.