© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Terror total
Ägypten: Nach dem blutigen Terroranschlag auf dem Sinai will Kairo die islamistischen Täter mit „eiserner Faust“ bekämpfen
Marc Zoellner

Die ersten Armeehubschrauber starteten noch in der Nacht zum vergangenen Samstag. Hunderte Infanteristen, berichtet der Dubaier Nachrichtensender al-Arabiya, ließen sich in der ägyptisch-palästinensischen Grenzstadt Rafah absetzen, wo sich neben mutmaßlichen Verstecken militanter Islamisten auch eine signifikante Anzahl an Schmugglertunneln in den Gazastreifen befindet, um in einer konzertierten Aktion mehrere Lagerhallen und Wohngebäude zu erstürmen. Gleichzeitig bombardierten Kampfflugzeuge ein halbes Dutzend mobiler Ziele unweit der kleinen Siedlung im Zentrum der spärlich besiedelten, von Wüsten, Wadis und schroffen Gebirgszügen geprägten Halbinsel Sinai.

Höchstpersönlich hatte Abd al-Fattah as-Sisi den nächtlichen Einsatz seines Militärs angeordnet und auch überwacht. „Mit eiserner Faust“, so der ägyptische Präsident, werde die ägyptische Armee jene verfolgen, die sich für den blutigen Anschlag auf die Al-Rawda-Moschee im Norden des Sinai, bei welchem mindestens 305 Menschen ermordet und über 130 weitere zum Teil schwer verletzt wurden, verantwortlich zeigten. 

Verlorener Aufstand 2011 Nährboden für den Terror 

„Dieses heimtückische, verabscheuungswürdige Werk spiegelt die Unmenschlichkeit seiner Täter wieder“, erklärte as-Sisi am Folgetag während der Verkündung einer dreitägigen Staatstrauer zum Andenken an die Opfer im Fernsehen. „Die Hand der Gerechtigkeit wird all jene erreichen, welche an diesem Angriff teilnahmen, ihn unterstützten, ihn finanzierten oder zu diesem anstifteten.“ Gut dreißig Islamisten, vermeldete das ägyptische Militär am selben Wochenende seinen Erfolg, seien während der beiden Aktionen eliminiert worden; außerdem mehrere Fahrzeuge zerstört, die während des Anschlags identifiziert worden seien.

Noch immer zeigt sich die ägyptische Gesellschaft schwer getroffen vom schrecklichsten Terrorakt in der jüngeren Geschichte ihres Landes. Auch wenn bislang kein Bekennerschreiben veröffentlicht worden ist, scheint klar, wessen Handschrift der Massenmord trägt: jene des Wilayat Sinai, des ägyptischen Ablegers der Terrorgruppe Islamischer Staat, welcher vorrangig auf der Halbinsel Sinai operiert und zwischen 1.000 und 8.000 aktive Kämpfer unter seinem Banner vereinen soll.

 Neben ausländischen Dschihadisten – Freiwilligen aus dem Gazastreifen sowie flüchtigen IS-Milizionären aus Syrien und dem Irak – rekrutiert sich das Wilayat bevorzugt aus den Reihen der heimischen Beduinenstämme, die sich seit Jahrzehnten bereits vom ägyptischen Staat wirtschaftlich marginalisiert sowie politisch entrechtet fühlen. Es profitiert von der lokalen Vernetzung und Ortskenntnis – und verdeutlicht, worin viele Analysten speziell nach dem Anschlag auf die Al-Rawda-Moschee sich einig zeigen: daß der Konflikt auf dem Sinai nicht militärisch beendet werden kann, da seine Ursachen weit tiefer liegen als nur in der oberflächlich zum Ausbruch kommenden Glaubensradikalisierung seiner Stämme.

Seit dem Abzug der Israelis 1979 fanden die Beduinen kaum politisches Gehör in Kairo. Im Gegenteil vertrieben großangelegte Bewässerungsprojekte die Halbnomaden von ihren angestammten Weideplätzen in trockenere und unwirtlichere Regionen der Halbinsel. Der wirtschaftliche Niedergang, verbunden mit politischer Entrechtung, stellte einen fatalen Anreiz gerade für die jüngeren Beduinen dar, sich nach ihrem verlorenen Aufstand von 2011, bei welchem über 4.000 Menschen ihr Leben ließen, ab 2014 in die offenen Arme des IS zu begeben.

Daß zuletzt die gut 40 Kilometer westlich der Hafenstadt el-Arisch liegende Al-Rawda-Moschee Ziel dieses ägyptischen Flügels des IS wurde, war demzufolge gleich aus drei Gründen kein Zufall: Nicht nur, daß das Gebetshaus als Begegnungsort für Anhänger des Sufismus fungierte, einer betont spirituellen Auslegung des Islam, welche von den meisten Sunniten als Teil ihrer Konfession respektiert, von radikalen Salafisten allerdings als ketzerisch betrachtet wird. 

Selbst Moslembruderschaft verurteilt die Bluttat

In der Moschee sind regelmäßig auch viele Fremdarbeiter zu Gast. Einwanderer aus dem Niltal, die im nahegelegenen Salzwerk tätig sind. Zudem gehören die meisten der Einwohner von Bir al-Abed, der Stadt, in deren Umkreis die Moschee liegt, dem Stamm der Sawarka an. Für das Versprechen wirtschaftlicher Hilfe seitens der ägyptischen Regierung hatte sich dieser der Zusammenarbeit mit dem Wilayat Sinai verweigert. Neben seiner religiösen und ökonomischen Komponente könnte sich durchaus auch eine ethnische Begründung des Massakers vom vergangenen Freitag ableiten.

Die Täter selbst hüllen sich ob ihrer Motive noch immer in Schweigen. Ihre verbliebenen Sympathien haben sie sich im großen Rest der ägyptischen Gesellschaft jedoch so oder so verspielt. Noch am Samstag ordnete Papst Tawadros II., Oberhaupt der koptischen Kirche Ägyptens, aus Solidarität mit den Opfern das Läuten sämtlicher Kirchglocken des Landes an. Auch der Großimam der Al-Azhar-Moschee, Ahmad al-Tayyeb, verdammte den Anschlag als „abscheulich“, und selbst die für illegal erklärte Moslembruderschaft erklärte, sie verurteile „sämtliche Angriffe gegen jedweden Ort des Gebets sowie sämtliche Aktionen, die gegen das ägyptische Volk gerichtet“ seien.

Unterdessen kündigte auch die Vereinigung der Stämme des Sinai (Union of Sinai Tribes) eine eigenständige, großangelegte Offensive gegen den Islamischen Staat auf der Halbinsel an. „Für alle, die auf Rache und Bestrafung (des IS) aus sind“, rief die Beduinengruppierung ihre Anhänger auf Facebook auf, „heißen wir jeden herzlich willkommen, sich unseren Stammeskriegern anzuschließen und sich diesem faschistischen Terrorismus zu widersetzen.“