© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

27 Jahre unbeugsam
Claudia May fordert Gerechtigkeit: „Ich will mein Haus und mein Grundstück zurück“
Martina Meckelein

Unrecht, Filz, Staatswillkür und organisierte Kriminalität? Eine sich schon 27 Jahre hinziehende juristische Auseinandersetzung in Erfurt könnte für einige Honoratioren des Freistaates Thüringen unangenehm werden.

Es ist mucksmäuschenstill im Saal E.43, als die Vorsitzende Richterin Sabine Langer um 9.32 Uhr im Landgericht Erfurt sagt: „Ich eröffne die Berufungshauptverhandlung.“ Dann schaut sie streng in die Zuschauerreihen und warnt: „Beifalls- und Mißfallensäußerungen haben zu unterbleiben.“ 

Aber keiner der Zuhörer, Journalisten wie auch Bekannte der Angeklagten Claudia May, regt sich. „Sie sind am 18.10.1947 geboren?“, wendet sich die Vorsitzende an die alte Dame mit den kurzen grauen, lockigen Haaren auf der Anklagebank. Vor sich auf dem Tisch hat die angeklagte Pensionärin ein Buch gestellt mit dem Titel: „Das Ende der Gerechtigkeit“. „Ja,“, sagt May, „ich habe in zwei Tagen Geburtstag.“

Der Vorwurf in dem angefochtenen Urteil lautet auf Beleidigung. May hatte im Internet zwei hochrangigen, von ihr namentlich genannten thüringischen Richtern „mafiöse und kriminelle Immobiliengeschäfte“ und „sittenwidrige Bereicherung“ vorgeworfen. Dafür verurteilte sie das Amtsgericht Erfurt erstinstanzlich zu 20 Tagessätzen à 10 Euro.

Die Hartnäckigkeit 

der Dame stört

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch May legten wegen des Urteils Berufung ein. Claudia May hat einen Grund. Ihr Anwalt Gregor Heiland: „Die Richter prüften die Aussage nur auf ein Werturteil. Sie hätten sie aber auf die Tatsachenbehauptung überprüfen müssen!“

Nicht zum ersten Mal steht Claudia May vor den Schranken eines Gerichts. Über 500 Prozesse und juristische Verfahren haben sich seit 1990 angesammelt. Menschen wie Claudia May scheinen die Bequemlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zu stören. Menschen wie Claudia May erinnern die Täter an das Unrecht, das sie an ihren Opfern begangen haben. Die Unbeugsamkeit dieser alten Dame stört. Würde Claudia May verschwinden, sich auflösen, so als ob sie niemals gelebt hätte,  wäre dieser Tag für diese Damen und Herren vermutlich ein Freudentag. Aber Claudia May verschwindet einfach nicht. Sie will Gerechtigkeit. „Ich will mein Haus und mein Grundstück zurück“, sagt May.

Doch an diesem Tag wollen ihre Anwälte noch viel mehr: einerseits die Einsicht in die Grundakten zu der Immobilie. In der Grundakte werden die Urkunden, die Grundlage für die Änderungen im Grundbuch sind, hinterlegt. Andererseits wollen sie erreichen, daß honorige Zeugen aussagen, unter anderem der ehemalige Oberbürgermeister und jetzige Ehrenbürger der Stadt Erfurt, Manfred Ruge. Und es soll der Immobilienmakler Stefan L. vorgeladen werden. 

Das DDR-Regime kassierte Haus und Grundstück ein 

„Zum Beweis der Tatsache“, so schreibt Claudia Mays Anwalt Paul Vogel aus Berlin, „daß er von der Landeshauptstadt Erfurt, vertreten durch den damaligen Oberbürgermeister Manfred Ruge, zur Vermittlung einer Veräußerung seines jetzigen Firmengrundstücks in Kenntnis der Tatsache beauftragt wurde, daß das Grundbuch zu Lasten der Angeklagten gefälscht und die Landeshauptstadt Erfurt nicht zur Verfügung über das Grundstück berechtigt war.“

Die Geschichte der Claudia May ist ein Stück deutsche Geschichte der Nachkriegszeit: Sie und ihr Bruder wurden den Eltern zu DDR-Zeiten weggenommen und in ein Kinderheim gesteckt. Ihr Vater war in der Ostzone CDU-Mitglied, später Republikflüchtling. Claudia May durfte nicht das Abitur machen, arbeitete in einem kleinen privaten Unternehmen. Der Gartengerätebetrieb hatte seinen Sitz „Am Stadtpark 34“ mitten in Erfurt auf einem 1.000 Quadratmeter großen Grundstück. Privatbesitz und privates Unternehmertum – für das DDR-System undenkbar. Durch eine „kalte Enteignung“, staatlich provozierte Überschuldung, verleibte sich das Unrechtsregime Haus und Grundstück ein (JF 50/06).

Als der alte Eigentümer 1987 starb, vererbte er testamentarisch Claudia May das Unternehmen, zwei Drittel seines Hauses und das Grundstück. „Meine Mandantin hatte durch das Erbe das Haus erworben, war aber nie im Grundbuch eingetragen“, erklärt Anwalt Heiland gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

1990, noch vor der Wiedervereinigung, stellte Claudia May einen Antrag auf Rückübertragung. Doch im selben Jahr sollen die Stadt Erfurt und die kommunale Wohnungswirtschaft der Stadt das Grundstück einer nicht erbberechtigten Erbengemeinschaft zugesprochen haben. Später vermittelte Stefan L., er war ehemals Leiter eines Einzelhandelsgeschäfts der DDR-eigenen Handelsorganisation, die Immobilie nach Einschätzung von Claudia May an eine „Strohfrau“, die sie gleich weiterveräußerte.

Doch die Käufer gaben es ihr wieder zurück – damals prozessierte Claudia May schon um ihr Erbe. Später erwarb L. selbst das Grundstück von der „Strohfrau“, teilte es und verkaufte mehrere Eigentumswohnungen. In einem Stockwerk des Hauses erwarb eine Frau – die jetzt im Internet von Claudia May angeblich beleidigte Richterin – eine Wohnung.

Claudia May, die in dem Haus Am Stadtpark 34 nicht weiter wohnen durfte, wurde von der Stadt aus- und direkt nebenan einquartiert. „Von dort habe ich in der Zeit vom 10. Mai 2004 bis zum 7. November 2013 an mindestens 71 Tagen den anderen Richter immer wieder in L.s Büro, in einem Anbau auf dem Grundstück gesehen“, sagt May zur JF. 

Ihr Anwalt Paul Vogel äußert in seinem Antrag auf Zeugenvernehmung des ehemaligen Handelsorganisation (HO)-Leiters und heutigen Immobilienmaklers L., was der Grund für die häufigen Besuche des Richters beim Immobilienmakler L. gewesen sein könnte: Sie hätten sich dort getroffen, um über die „möglichst unangreifbare Gestaltung von Erwerbsgeschäften zu dem Eigentum der Firmenimmobilie“ Gespräche zu führen. Ziel sei es gewesen, den „Anschein eines gutgläubigen Eigentumserwerbs zu Lasten der Angeklagten vorzutäuschen“.

Aber Vogel geht noch weiter. Er schreibt zur Begründung, warum L. als Zeuge vorgeladen und vernommen werden sollte. Nämlich zum Beweis der Tatsache, „daß er mehrfach vermittelnd bei Immobiliengeschäften mit Beteiligung von Personen tätig war, die nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes ausweislich des Berichts SO 51 – 3 ‘Die Ndrangheta in Deutschland, Analyse zu den Aktivitäten der Clans aus San Luca in Deutschland’, Stand April 2008, (dort Seite 62-73) im Verdacht stehen, der italienischen Mafia anzugehören.“

Eine unangenehme Volte für den Freistaat, die Rechtsanwalt Vogel hier schlägt. Denn die kalabrische Mafia soll sich zu Beginn der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch den Erwerb diverser Thüringer Immobilien im Freistaat breitgemacht haben. Insider mutmaßen, daß die italienische organisierte Kriminalität sich frühzeitig für die neuen Bundesländer interessierte. Sie soll mit Millionen D-Mark in der Tasche diverse Immobilien in der Landeshauptstadt aufgekauft haben. 

Akribisch nahmen Beamte des Landeskriminalamtes in Thüringen über Jahre die Restaurants vermeintlicher Mafiosi in Thüringen unter die Lupe. Da sind die Namen der Restaurants, die Adressen, Sitzplätze, Außenanlagen und sogar die Gehälter der Kellner aufgeführt. Und es sind detaillierte familiäre Verbindungen der Betreiber, ihrer Ehefrauen, Geburtsorte und Geburtsdaten erfaßt. Die ganze Liste liest sich wie ein „Who is Who“ eines Teils der damaligen Erfurter Gastronomie.

Der Grund für die Immobilieninvestitionen: Sie ermöglichen eine schnelle und fast klinisch reine Geldwäsche. Der BKA-Bericht beschreibt die Vorgehensweise: Vertrauenspersonen der in Italien lebenden Hintermänner und Geldgeber sind mit den Kaufverhandlungen betraut. Um ein lohnendes Objekt zu erwerben, werden dann Gesellschaften gegründet – oft eine GbR, die einzelnen finanziellen Beteiligungen werden festgelegt. Die „Konzessionäre“, so steht es in dem Bericht, seien „reine Strohmänner“, die in der Hierarchie der Organisation auf der unteren Ebene stünden und fast ausschließlich verwandt mit den Hauptorganisatoren seien, die sich im Hintergrund hielten. Das BKA kommentiert: „Die Herkunft der Investitionsgelder ist unklar und steht im deutlichen Widerspruch zur finanziellen Potenz der Personen, die öffentlich als Inhaber der Gastronomiebetriebe auftreten.“ 

Die These der May-Anwälte: Diese Transaktionen würden enorm erleichtert, wenn Politik und Verwaltung die Augen vor den kriminellen Machenschaften verschlössen. Warum sollten sie das tun? Weil sie möglicherweise gesellschaftlich und oder sogar geschäftlich mit den Mafiosi kooperierten, erklären Mays Anwälte den Grund für die geforderte Aufklärung.

Auch Mafia-Strukturen kommen zum Vorschein 

In dem von Rechtsanwalt Vogel genannten BKA-Papier stehen mehrere kleine Hinweise zu solchen gesellschaftlichen Kooperationen. „Im Rahmen der Kommunalwahlen in Thüringen im Mai 2004“ sollen CDU-Veranstaltungen von Geschäftsleuten, die einem mutmaßlichen Mafia-Boß nahestehen sollen, organisiert und teils sogar bezahlt worden sein.

Gern sponserten sie auch Kinderprojekte wie Verkehrserziehung und verfügen so „über beste Kontakte zu  den dafür zuständigen Polizeikreisen“, ist ebenfalls dort zu lesen. Mit Geld wird unterstützt, was ehrenvoll und zu Herzen geht: Mafia-Verdächtige treten offiziell als Sponsoren für Sportvereine auf oder unterstützen finanziell Kinderheime in Übersee. 

Im Schein der Wohltätigkeit sonnen sich Politiker natürlich gerne, vielleicht fassen sie auch einfach Vertrauen zu dermaßen sozial engagierten Geschäftsleuten. Ein Kontakt ist insofern interessant, weil er vor knapp 22 Jahren zu einem mittelschweren politischen Skandal in Thüringen aufkochte. Der damalige sozialdemokratische Innenminister Richard Dewes und Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) speisten in einem italienischen Restaurant in Erfurt.

Just in dem Moment stürmte ein SEK-Kommando eines anderen Bundeslandes die Pizzeria. Es soll, so wird es noch heute in der Thüringer Polizei kolportiert, fast zu einem Schußwechsel zwischen den Personenschützern der beiden Politiker und dem Spezialeinsatzkommando gekommen sein.

Die Durchsuchung fand übrigens wegen einer Mordermittlung statt. Der Gesuchte wurde nicht angetroffen, allerdings entdeckten die Beamten den Interpol-Ausweis eines polizeibekannten Drogenhändlers aus Usbekistan. Thema eines Interpoltreffens 1994 waren die neuesten Ermittlungsmethoden zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Bei einer Vernehmung gab übrigens der italienischer Gastronom an, daß er ebenfalls dort anwesend gewesen sei – als Dolmetscher.





DDR: Enteignung des Mittelstandes 

Aufgrund eines Ministerratsbeschlusses im Jahre 1972 setzte das SED-Regime durch, daß Inhaber der rund 12.000 mittelständischen Unternehmen zur Veräußerung gezwungen wurden. Ihre Betriebe wurden zwangsverstaatlicht. In den Jahren nach der Wiedervereinigung kommen Rückgabe und Entschädigung enteigneter Vermögenswerte auf die politische Agenda. Grundlage für die Wiedergutmachung des in der DDR erlittenen Unrechts sind das 1990 verabschiedete Vermögensgesetz und die Gemeinsame Erklärung vom 15. Juni 1990. Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage sind vom Geltungsbereich ausgenommen. Nach der Wende sind die Länder zuständig für die Klärung all dieser Fälle. Sie bearbeiten Hunderttausende von Anträgen. Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) soll für die einheitliche Anwendung der rechtlichen Grundlagen sorgen. Vorrang hat nach Angaben des Finanzministeriums die Rückgabe enteigneter Vermögenswerte an die ehemaligen Eigentümer. Ist dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich, könne eine Entschädigung beantragt werden. Im Alltag führt die oft langwierige juristische Klärung in vielen Fällen dazu, daß zum Beispiel manche Gebäude oder Betriebe lange unsaniert blieben. Mittlerweile sei der überwiegende Teil der vermögensrechtlichen Verfahren jedoch abgeschlossen.