© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Masochistische Staatsmoral
Feinderklärung: Die Politaktion gegen den AfD-Politiker Björn Hocke entspringt einem totalitären Geist
Thorsten Hinz

Zur sogenannten Kunstaktion, die ein „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) vor dem Wohnhaus des AfD-Politikers Björn Höcke veranstaltet, hat der Thüringer Landtagspräsident Christian Carius (CDU) klare Worte gefunden. „Hier wird unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit ein skandalöser Angriff auf die Freiheit des Mandats, die Unversehrtheit einer Person, von Familie und Privatsphäre unternommen“, sagte er vor dem Landtag. „Aus politischer Ablehnung wird so moralisch kaschierter Psychoterror“, welcher der „Zersetzung“ diene und „in totalitären Systemen“ üblich sei. „Diese Methoden sind uns aus beiden deutschen Diktaturen nur zu gut bekannt.“ 

Auf dem Nachbargrundstück waren grau angemalte Holzstelen aufgestellt worden, die den Betonstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals nachempfunden sind. Auch sollen Höcke und seine Familie nach Angaben des ZPS monatelang mit Kameras observiert und sogar ihr Hausmüll nach belastendem Material durchsucht worden sein. Die Polizei prüft den Verdacht auf Nachstellung, Nötigung und Diebstahl. Immerhin! Interessanterweise haben jüdische Organisationen sich zurückhaltend oder gar nicht zu dem Einschüchterungsversuch geäußert, was sicherlich an den historisch kontaminierten Assoziationen liegt, die damit verknüpft sind.

Die Aktion ist bundesweit zum Ereignis geworden, weil viele Medien darin eingebettet sind und sie wohlwollend begleiten. Inzwischen fließen in die Berichterstattung auch kritische Töne ein. Prüft man indes die Kommentarspalten der bürgerlichen Leitorgane, ist man erstaunt darüber, was für ein moralischen Niveau sich in der liberalen Leserschaft niederschlägt. Auf den Einwand eines Zeit-Lesers, man dürfe Höckes Kinder doch nicht in Geiselhaft nehmen, folgte prompt die Antwort: „Gibts vielleicht auch noch gequälte Hunde irgendwo (...)?!“ Die Sympathiewaage neigt sich nach wie vor den vorgeblichen Aktionskünstlern zu, was sich in suggestiven Schlagzeilen wie: „Morddrohungen gegen Anti-Höcke-Aktivisten“ äußert.

In der FAZ, die maßgeblich dazu beigetragen hat, den thüringischen AfD-Chef als Unperson und Zielobjekt zu markieren, findet der Feuilleton-Kommenator die Kampagne vorwiegend lustig: „Statt nur darüber zu reden, ob man mit Rechten reden soll, zeigt das Zentrum, daß man ihnen auch das, worüber sie reden, vor den Zaun stellen kann.“ Weiter: „Alles wird in dieser Aktion, die man sich auch als Titanic-Cover vorstellen könnte, zum Material einer Parodie (...)“. Das wäre also eine Fortsetzung von „Verstehen Sie Spaß?“, wo Prominente in peinliche Situationen gebracht und ihre Reaktionen gefilmt werden.

Die Schadenfreude, die der Zuschauer über die Kompromittierung eines „Promis“ empfindet, wird allerdings durch sein auf sich selbst bezogenes Mitleid gemildert, denn ähnliche Situationen hat jeder schon selbst erlebt. Sobald der inszenierte Konflikt aufgeklärt ist, finden seine Regisseure, die Betroffenen und das Publikum in einem befreienden Lachen zusammen.

Das ZPS verlangt von Höcke aber einen Kniefall, eine Unterwerfung, die öffentliche Demütigung. Das Stalking und die Nötigung sind keine Parodie, sondern real. Und am Ende des FAZ-Artikels weiß man nicht, ob Perfidie oder bloß Dummheit daraus spricht.

Aufschlußreich ist der Text eines Spiegel-Kommentators, aus dem sowohl Zustimmung als auch Kritik sowie ein systemisch bedingtes Unvermögen sprechen, die Abläufe ganz zu begreifen und einzuordnen. So meint der Spiegel-Mann zunächst, es sei „in der Tat (...) legitim, Holocaust-Leugner und Neonazis in ihrem privaten und beruflichen Umfeld zu outen, um ihnen dadurch das bürgerliche Leben schwerer zu machen. Rechtsradikale enttarnen – das geht schon in Ordnung.“ Andererseits erkennt er, daß die Praktiken „aus dem Methodenarsenal totalitärer Regimes“ stammen, weshalb man sich fragen müsse: „Find ich das wirklich gut?“ 

Jedoch sind nicht nur die Methoden totalitär, sondern auch der Geist, dem sie entspringen. Philipp Ruch, der Leiter des „Zentrums“, hat mit seiner Aussage: „Gegen Nazis wenden wir Nazi-Methoden an“, eingeräumt, daß der Kunstanspruch nur äußerlich, eine Tarnung für für den realen Psychoterror ist. Bedenkt man weiter, daß die Bezeichnung „Nazis“ lediglich eine willkürliche Zuschreibung und eine Feinderklärung an den politischen Gegner darstellt, dann offenbart sich in der Theorie und Praxis des „Zentrums“ der Vernichtungswille aus der Bürgerkriegslogik. Wenn diese von Medienvertretern und Politikern als Ausweis demokratischer Wehrhaftigkeit propagiert, verteidigt oder stillschweigend gebilligt wird, dann zeigt das nur, daß die freiheitlich-demokratische Grundordnung in zahlreichen ihrer Protagonisten schwer angefault ist.

Aufschlußreich sind auch die Sätze, in denen das ZPS die Observation Höckes verkündet: „Im Januar 2017 haben wir (...) den Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz Thüringen gegründet. Das ‘Frühwarnsystem des Staates’ wird seither durch ein Frühwarnsystem der Zivilgesellschaft ergänzt.“ Die Zivilgesellschaft tritt als die Versammlung von Informellen Mitarbeitern (IMs) in Erscheinung, in der jeder in seinem Gegenüber den potentiellen Denunzianten vermuten müßte. In ihr hätte das totalitäre Ideal sich tatsächlich erfüllt. 

Zahlreiche staatlich geförderte Maßnahmen und Initiativen, die offiziell dem „Kampf gegen Rechts“, „gegen Rassismus“ oder „Haßpropaganda“ dienen, sind tatsächlich darauf angelegt, eine Atmosphäre der Denunziation und des Mißtrauens zu schaffen und zu institutionalisieren. Die sogenannte Kunstaktion gegen Höcke fügt sich in diese Entwicklung ein und hievt sie auf eine neue Eskalationsstufe. Anders gesagt: Heute geht die einzig relevante faschistische Gefahr von einem staatlich und zivilgesellschaftlich protegierten Antifaschismus aus, der sich von rechtlichen, moralischen, zivilisatorischen Fesseln zunehmend freimacht. 

Ein Spiegel-Autor kann und darf nur funktional, das heißt im Rahmen des systemischen Antifaschismus argumentieren und feststellen, daß Ruch und seine Mitstreiter der vermeintlich guten Sache schaden statt nutzen, denn: „Aus der Perspektive von Höcke und seinen Gesinnungsgenossen bestätigt die Aktion wohl nur ihr Weltbild, die Deutschen seien besessen vom ‘Schuldkult’.“

Tatsächlich wirkt sie als Sonde, die einen tiefen Einblick in die kranke Psyche der Gesellschaft erlaubt. „Wir sind das Land der Organisatoren und Vollstrecker des Holocaust“, schrieb Philipp Ruch vor zwei Jahren in einem Manifest. Man sollte den Satz als weltanschauliches Bekenntnis und als Basis seines Handelns ernst nehmen. Die Mitinitiatorin des Holocaust-Mahnmals, Lea Rosh, sieht in Ruchs Aktion so kurz vor der Weihnachtszeit eine „herrliche Bestrafung“ für Höcke. So müsse er vor seinem Haus den Nachbau des Denkmals für die ermordeten Juden Europas erdulden. Wenn aber die Miniaturausgabe eine Strafe ist, dann ist es das drei Fußballfelder große Original in Berlin doch wohl erst recht!

Rosh und Ruch outen sich als Exponenten jener masochistischen Moral, die weite Teile der Gesellschaft einschließlich der Funktionseliten verinnerlicht haben, und als Exekutoren ihrer sadistischen Kehrseite. Die Wut, die Höcke hervorruft, kommt weniger aus dem absichtlich fehlinterpretierten Begriff „Denkmal der Schande“, als vielmehr aus der damit verbundenen Feststellung, „unser Gemütszustand (ist) immer noch der eines total besiegten Volkes“. 

In der Tat standen nach der totalen Niederlage 1945 keine politischen, moralischen oder anderweitigen Schutzmechanismen und Konzepte zur Verfügung, um die strafende Degradierung durch die Sieger abzuwehren und das kollektive Selbst zu stabilisieren. Damit ging die Fremdwahrnehmung und -propaganda in die Selbstwahrnehmung ein, wo sie sich mit Scham, Schuld und dem Gefühl eigener Wertlosigkeit und Strafwürdigkeit verband.

Diese masochistische Disposition fand den Beifall des Auslands, auch weil sie sich mit deutscher Zahlungswilligkeit verband. In der Bundesrepublik sorgte solches Lob für das Gefühl der moralischen Wiederaufrichtung, um den Preis allerdings einer Satelliten-Mentalität und der Verdrängung der eigenen Erzählungen, die nun untergründig und in destruktiver Weise weiterwirken. 

Die Träger der masochistischen Moral sind keine glücklichen Menschen. In ihrem aktuellen Buch „Die Deutschen und ihre verletzte Identität“  konstatiert die Familientherapeutin Gabriele Baring bei den Kriegskindern und -enkeln eine verbreitete Angst, kindliche Unreife, Konflikt- und Bindungsunfähigkeit – Eigenschaften, die mit Modeworten wie „spontan“ und „individuell“ camoufliert werden. Eine wesentliche Ursache hat sie in der einseitigen Bearbeitung der NS-Vergangenheit ausgemacht, welche die Entstehung positiver Selbstbilder verhindert habe.

Björn Höcke wird attackiert, weil er den wundesten Punkt: die masochistische Staatsmoral, getroffen hat. Sie rächt sich, indem sie, antifaschistisch drapiert und in einer sadistischen Volte, selbst als strafende Instanz auftritt.