© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Ja, es gibt sie noch, die gute alte Guillotine. Nicht nur außer Funktion im Museum, sondern auch hier am Donnerstag voriger  Woche auf der Bühne im ausverkauften Berliner Tempodrom. Und gleich wird sie zum Einsatz kommen, zack, schon saust das Fallbeil nieder und trennt den Kopf vom Rumpf. Alice Cooper hat sich enthaupten lassen. Die Menge jubelt. Dieses Ritual wiederholt sich seit nunmehr rund vier Jahrzehnten, und auch sonst präsentiert der inzwischen 69jährige Schockrocker, der als gläubiger Christ im wahren Leben regelmäßig in die Kirche geht und ansonsten leidenschaftlich gern Golf spielt, erneut alles, was Karnevalsausstatter und Veranstalter von schrägen Kindergeburtstagen oder Gothic-Partys im Angebot haben: Funkenregen, Konfetti, Horrormasken, Skelettanzüge, einen mit Spielgeld bestückten Degen, einen blutbesudelten Arztkittel und eine Zwangsjacke, eine zweiköpfige Babypuppe. Coopers Tochter Calico tritt im Fetisch-Kostüm einer irren Krankenschwester auf, und der wie eh und je schwer kajalumrandete Altmeister selbst verwandelt sich zu „Feed My Frankenstein“ in ein doppelmannshohes Monster. Musikalisch bringt Alice Cooper einen Querschnitt aus seinem Schaffen, wobei ältere Erfolgsstücke wie „I’m Eighteen“, „Billion Dollar Babies“ und „No More Mr. Nice Guy“ bis zu „Poison“ deutlich mehr Raum einnehmen. Zum Schluß als einzige Zugabe folgt dann natürlich noch im weißen Frack der Hitklassiker „School’s Out“.


Novemberblues, Goethe reloaded: „Des Menschen Seele/ Gleicht dem Wasser:/ Vom Himmel kommt es,/ Zum Himmel steigt es,/ Und wieder nieder/ Zur Erde muß es,/ Ewig wechselnd.// (…) Seele des Menschen,/ Wie gleichst du dem Wasser!/ Schicksal des Menschen,/ Wie gleichst du dem Wind!“ (Gesang der Geister über den Wassern, entstanden 1779, zitiert nach der Ausgabe letzter Hand, 1827)


Älterwerden rockt: Der Mann ist um die siebzig, klein und unscheinbar, in Alltagskleidung, seine Begleitung eine auffallende Erscheinung Anfang der Fünfziger, etwas größer als er, lange rote Haare, gertenschlank, in einem schwarzen Ministretchkleid. Die beiden geben in dem stylischen Berliner Partyclub ein interessantes Bild ab, wollen sie doch dem Augenschein nach so gar nicht zueinander passen. Das Erstaunen wächst, als das Paar anfängt, miteinander zu tanzen. Sie wirbeln Hand in Hand derart harmonisch übers Parkett, mit immer neuen Drehbewegungen, daß einem schon beim Zusehen schwindelig werden kann.