© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Geistiges Substanzsein im Leib
Auf Spaemanns Spuren: Raphael Bexten analysiert die Frage nach dem Sein der menschlichen Person
Friederike Hoffmann-Klein

Was ist eine Person? Und ist das eine akademische Frage? Die Journalistin Ariel Levy spricht in ihrem neuen Buch über die Erfahrung einer Fehlgeburt. Sie spricht von Person. Aber sie kennt doch nur einen Dualismus von Körper und Geist. Ein Beispiel für Personvergessenheit, wie es uns heute vielfach begegnet. Die entscheidende Frage also: Betrachtet man den Menschen als bloßen Teil der Natur, als lebendige Materie – oder erkennt man in ihm ein Wesen, das sich aufgrund seiner Geistigkeit und Innerlichkeit von allen anderen unterscheidet? 

Die vorliegende Untersuchung, mit der Raphael Bexten 2017 promoviert wurde, befaßt sich mit der Frage nach dem Sein der menschlichen Person. Diese Frage wird in der Arbeit neu gestellt und in lückenloser Beweisführung begründet. In einer Zeit, in der die naturalistische Weltanschauung als nicht hinterfragbare Wahrheit gilt, ist eine solche Untersuchung von grundlegender Bedeutung und von besonderem Wert.

Fundiert setzt sich der Autor, der in der Denktradition Robert Spaemanns steht, mit möglichen Einwänden auseinander, die von seiten eines empirisch-naturalistischen Personverständnisses gegen ein ganzheitliches Verständnis der Person erhoben werden. Einwände, die sich bei näherem Hinsehen als nicht überzeugend erweisen. 

Ausgehend von den verschiedenen Wortbedeutungen und mittels einer präzisen Begriffsanalyse gelingt es dem Autor auf anschauliche Weise, den Personbegriff in seiner ganzheitlichen Dimension wiederherzustellen. Die Person kann so in ihrer ontologischen Dimension erfaßt werden. Mit dem empirisch-funktionalen und dem substanzontologisch-relationalen Personbegriff stehen sich zwei diametral entgegengesetzte Personbegriffe gegenüber. Personsein läßt sich auf der einen Seite – und das entspricht einem Verständnis, das heute vielfach anzutreffen ist – rein materialistisch deuten. Diesem Verständnis entgegengesetzt ist Bextens Beschreibung der Person als „geistiges Substanzsein im Leib“.   

Schon der Begriff Person weist darauf hin, daß der Mensch mehr ist als nur ein Einzelexemplar einer bestimmten Gattung. Er unterscheidet sich von seinen Mitgeschöpfen zunächst durch seine Vernunftfähigkeit. Die Person ist in der berühmten Definition des Boethius ein individuell Seiendes mit einer vernünftigen Natur. Beim Menschen bedeutet inneres Leben immer geistiges Leben. Als nicht philosophischer Terminus läßt sich hier das Wort Innerlichkeit verwenden. Ein adäquater Personbegriff – das Adjektiv „adäquat“ verweist darauf, daß „Begriff“ nicht etwas rein Subjektives ist – muß die Wirklichkeit seines zu beschreibenden Gegenstandes abbilden. Der empirisch-funktionale Personbegriff ist deshalb nicht adäquat, weil er das Wesen der Person nicht erfaßt, sondern reduziert. Weil er sich in Selbst-Widersprüche verwickelt. 

Die Vorstellung eines allein durch das Bewußtsein konstituierten Personseins ist nicht überzeugend, weil Bewußtsein eines Trägers bedarf. Die Erinnerungsfähigkeit ist, wie bereits der Begriff deutlich macht, eine Ausprägung des Personseins und damit nicht mit der Person identisch. Sein ist umfassender als Verhalten. Aus einem Bleistift wird kein Kind, aus einer Nicht-Person keine Person. Menschliches Leben bedeutet immer und in jeder Phase Personsein.

Am Beispiel der Liebe zwischen Mann und Frau wird anschaulich, was Personsein bedeutet. Liebe macht die Innerlichkeit als Spezifikum des Menschen und sein auf Selbstüberschreitung angelegtes Wesen sichtbar. Ein reduktionistisches Personverständnis kann dieser Wirklichkeit der Person nicht gerecht werden. Es zeigt sich hier ein Phänomen, das Bexten als Personvergessenheit beschreibt und dem er einen wesentlichen Teil seiner Untersuchung widmet. Die Fähigkeit zu aktuellem Personverhalten beinhaltet die Möglichkeit, das Personsein zu seiner menschlichen Vollendung zu führen – oder dieses Ziel auch zu verfehlen. 

Personsein unterscheidet sich vom Personverhalten

Aufgrund seiner Freiheit ist der Mensch in der Lage, sich zwischen guten und schlechten Handlungen zu entscheiden, und er ist hierfür verantwortlich. Entscheidend – und daran ist erkennbar, daß Personsein etwas ganz anderes ist als Personverhalten – ist dabei, daß die Person, auch wenn ihr die qualitative Vervollkommnung nicht gelingt, ihren ontologischen Wert immer behält. Von Personvergessenheit läßt sich auch sprechen, wenn, wie nach dem Verständnis der eingangs genannten Autorin, die Person nicht in ihrer Ganzheit gesehen, sondern nur noch in ihrer materiell-biologischen Dimension wahrgenommen wird. Oder wenn etwa die Geistigkeit des Menschen allein auf sein Gehirn zurückgeführt wird. Personvergessenes Handeln zeigt sich immer dann, wenn anderen Menschen ihr Personsein abgesprochen wird. 

In einer klaren, präzisen Sprache geschrieben, ist dieses Buch, das über Open­Access kostenlos heruntergeladen werden kann, auch für Nicht-Philosophen verständlich. Ausführliche Zitate bekannter Philosophen und aus der Literatur ergänzen die eigene Argumentation des Autors und ersparen das eigene Nachschlagen. Die Philosophie, die nach Aristoteles Wissenschaft der Wahrheit ist, wird bei Bexten diesem Anspruch gerecht.

Raphael E. Bexten: Was ist menschliches Personsein? Der Mensch im Spannungsfeld von Personvergessenheit und unverlierbarer ontologischer Würde. Philosophie & Open Access 2017