© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Noch regnet’s im Regenwald
Die Abholzung der Tropenhölzer war auf ein Mindestmaß begrenzt / Seit 2015 gibt es eine Trendwende
Dieter Menke

Auf der 23. UN-Klimakonferenz in Bonn, die endete wie das Hornberger Schießen, haben die Weltmeere den Regenwäldern die Schau gestohlen. Was aber nicht heißt, daß die ökologischen Sorgen um die „grünen Lungen“ des Planeten Erde abgenommen hätten. Im Gegenteil: Je näher der Termin des Bonner Spektakels rückte, desto lauter artikulierten sich vor allem die Anwälte Amazoniens.

Wer sich intensiver mit diesem vielstimmigen Chor der Warner, Alarmisten und nicht selten auch Panikmacher beschäftigt, trifft allerdings bald auf eine verwirrende Widersprüchlichkeit der Aussagen über den aktuellen Zustand des brasilianischen Regenwaldes. Schon die Daten, die die US-Raumfahrtbehörde Nasa über Geschwindigkeit und Ausmaß der Entwaldung liefert, kollidieren mit denen von NGOs wie Greenpeace, den Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) oder den Statistiken des brasilianischen Umweltministeriums.

Unumstritten ist lediglich ein langfristiger, seit den 1970ern nachgewiesener Trend zur raumgreifenden Rodung, dem weltweit ungefähr eine Milliarde Hek­tar Regenwald zum Opfer gefallen sein sollen. Erst 2012 schien dieser Trend zumindest am Amazonas gebrochen, da das Kettensägenmassaker sich auf 4.400 Quadratkilometer beschränkte und damit ein historisches Tief erreicht hatte. Aber seitdem kann das brasilianische Institut für Weltraumforschung wieder einen stetigen und steilen Anstieg der Rodungen per Satellit registrieren: 2015 waren 6.200, 2016 schon 8.000 Quadratkilometer, eine Fläche dreimal so groß wie das Saarland, betroffen.

Ein geringer Trost liegt da im Rückblick auf 2004, als Baumriesen auf 29.000 Quadatkilometern verschwanden. Denn, wie der Umweltjournalist Michael Odenwald aus seinen Recherchen resümiert, genügt selbst dieses abgebremste Rodungstempo, damit bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts Ölpalm- und andere Plantagen, Viehweiden und Landwirtschaftsflächen den Regenwald komplett ersetzt haben werden (Natur, 8-2017).

Hitze und Trockenheit  behindern die Regeneration

Die Ablösung von Regenwald durch Agrarwüste vollzöge sich voraussichtlich noch rascher, wenn ein Phänomen seinen Seltenheitswert einbüßte, auf das Klimaforscher der Universität Valencia kürzlich aufmerksam machten. Demnach bescherte El Niño der Amazonasregion 2015 und 2016 sowie 2005 eine Rekorddürre. Die aber vom üblichen Muster abwich.

Sie brachte nicht nur neue Rekorde an Hitze und Trockenheit, sondern auch unterschiedliche Niederschlagsmuster, da es im östlichen Amazonien kaum, im westlichen überdurchschnittlich viel regnete. Im Osten, wo die Dürre anhielt, regenerierte sich der Regenwald infolge stärkerer Rodung also langsamer als im Westen. Eine Beobachtung die gerade durch eine US-Forschergruppe um Christopher Schwalm (Woods Hole Research Center Falmouth) bestätigt wurde. Die Studie wies nach, daß die Erholungsphasen dürregeschädigter tropischer Ökosysteme sich seit Ende des 20. Jahrhunderts verlängerten (Naturwissenschaftliche Rundschau, 9-2017).

Südamerika drückt indes nicht nur mit düsteren Szenarien aufs umweltbewußte Gemüt. Guyanas grüne Gefilde etwa, gleich in Brasiliens Nachbarschaft, muten wie ein vergessenes Paradies an. Dort, im nordöstlichen Nachbarstaat, finden sich noch unglaubliche 85 Prozent der dünn besiedelten Landesfläche mit tropischem Regenwald bedeckt. Mit 735.000 Einwohnern auf 215.000 Quadratkilometern, also 3,5 statt wie in der nur doppelt so großen Bundesrepublik Deutschland 227 Einwohner pro Quadratkilometer, spielt der Mensch inmitten üppiger Natur fast eine marginale Rolle. Die Entwaldungsrate liegt wohl auch deshalb bei unter einem Prozent pro Jahr. Kompletter Kahlschlag auf großen Flächen ist gesetzlich verboten. Jede Art von Holzeinschlag muß nachhaltig und nach dem Prinzip des „selektiven Holzeinschlags“ erfolgen.

Spitzenschutz in  Guyana und Surinam

Mit dieser rigiden Art des Waldschutzes rangiert Guyana, zusammen mit dem westlichen Nachbarn Surinam, an der „Weltspitze“. Ebenso vorbildlich steht das Land mit dem ältesten, 1929 eingerichteten Schutzgebiet im Amazonasbecken, in der Liga der Nationen mit „emissionsarmer Entwicklungsstrategie“ da. Als erstes Entwicklungsland bekam es Gelder aus dem Programm der internationalen Klimarahmenkonferenz, das den Schutz von Wäldern als Kohlenstoffspeicher finanziell attraktiv machen soll.

Einen besseren Standort für ihr jüngstes Naturschutzprojekt hätte die seit einiger Zeit auch in Peru (siehe JF 11/17) engagierte Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) daher kaum wählen können. Guyana, schwärmt die irische Biologin Anouska Kinahan, die zusammen mit dem Südafrikaner Thadaigh Baggallay die ZGF-Mission leitet, sei die Heimat von Tieren der Superlative, „richtig großer Arten, ein Land der Riesen“. Hier geht der Jaguar auf Jagd, hier lebt mit der Goliath-Vogelspinne, deren Beinspannweite bis zu 30 Zentimeter mißt, die größte Spinne der Welt, hier sind Riesengürteltier und Großer Ameisenbär zu Hause, hier lauert mit der Anakonda die schwerste Schlange der Welt auf Beute, und hier kreist mit der Harpyie der größte Adler Südamerikas. Mit 800 Vogelarten, 320 Amphibien- und Reptilien-, 700 Fisch- und 225 Säugetierarten nebst 8.000 Pflanzenarten bildet Guyana einen „einzigartigen Naturraum“, dessen Vielfalt bis heute teils unerforscht ist.

Die 1858 gegründete Gesellschaft hat sich für ihre Aktivitäten das 2011 neu ausgewiesene Kanuku-Mountains-Schutzgebiet in Guyanas Südwesten ausgesucht. Dabei geht es mittelfristig um Personalschulungen der noch jungen Schutzgebietsbehörde. Das stellt hohe Anforderungen, da den indigenen Völkern in unmittelbarer Nachbarschaft der Areale ihre traditionelle und nachhaltige Ressourcennutzung dort erlaubt bleibt, während ihnen der Abbau von Bodenschätzen sowie die kommerzielle Land- und Forstwirtschaft verboten ist.

Die Frankfurter Biologen fürchten jedoch, die derzeit geltenden Regelungen könnten bald wie fast überall in Süd­amerika zur Disposition stehen. Die Gefahr der Ressourcenübernutzung und des Wildtierhandels sei im Moment zwar gering, nehme indes spürbar zu. Mithin werde es jetzt Zeit, „proaktiv die notwendigen Schutzmechanismen zu schaffen und vorzusorgen“, bevor es in Guyana wie in Brasilien „zu Umweltzerstörungen im größeren Ausmaß kommt“.