© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Einig in der Vielfalt
AfD-Parteitag: Im neuen Bundesvorstand finden sich alle Strömungen wieder / Konflikte wurden vertagt
Christian Vollradt

Das Wichtigste an einem Parteitag ist nicht das, was dort gesagt, beschlossen oder wer gewählt wurde. Nein, das Wichtigste ist der „Spin“, der Dreh, wie das Gesagte, Beschlossene oder Gewählte gedeutet wird.

Nicht alle, aber wohl die überwiegende Zahl der Kommentatoren in Rundfunk und Presse stimmt darin überein, die AfD sei in Hannover einerseits nach rechts gerückt und habe andererseits ihre Zerrissenheit offenbart. Genau das Gegenteil diktierten die Funktionäre der Partei in Mikrofone und Blöcke: Man sei auf einem guten Weg, habe ein ausgeglichenes Verhältnis der unterschiedlichen Lager gefunden, ein bißchen Dissenz sei doch ganz normal, von einer Krise, gar der drohenden Spaltung könne keine Rede sein. Die „Spins“ könnten unterschiedlicher nicht sein. Welcher stimmt nun? Daß die Wahrheit in der Mitte liegt, ist eine Binsenweisheit. 

Weder hat der sogenannte „Flügel“ das Kommando in der AfD übernommen, noch haben sich die Moderaten, die Liberalkonservativen (oder wie auch immer man diese Strömung bezeichnen will) durchgesetzt. Triumphe und Niederlagen erlebten beide Seiten. Die Partei ist weder auseinandergebrochen, noch haben sich die beiden Lager versöhnt. An Appellen zur Einigkeit mangelte es nicht, die Realität – das zeigten die zahlreichen kleinen Kungelrunden, die zuweilen hektisch hin und her laufenden Emissäre – war eine andere. 

Erstaunlicherweise wurden zwar die Wahlerfolge der jüngsten Vergangenheit – gekrönt durch den Einzug in den Bundestag als drittstärkste Fraktion – in einem kurzen Video zu Beginn gefeiert, immer wieder in den Beiträgen und Wortmeldungen erwähnt und im Saal bejubelt. Doch eine kontinuierliche Euphorie kam nicht auf. Was gilt schon der Sieg von gestern, wenn es um den Konkurrenzkampf für morgen geht?

Aber das ist ein altbekanntes Phänomen. Die AfD hat in Hannover einen neuen Parteivorstand gewählt. Sie ist keine neue, keine andere Partei geworden. Sie ist geblieben, was sie war: ein „gäriger Haufen“ (Alexander Gauland). So abgenutzt diese Phrase mittlerweile auch sein mag, zutreffend ist sie allemal. Überspitzt formuliert ist die AfD überhaupt keine Partei, sondern zwei, drei, viele Parteien. Zugleich. Meist nebeneinander, mal gemeinsam, nicht selten im Konflikt miteinander. Der unumstrittene Konsens lautet: „Merkel muß weg!“, weniger Zuwanderung, mehr nationalstaatliche Kompetenzen, weniger Einfluß der EU.

Deutlich wurde in Hannover auch – wieder einmal: In der Krise hilft nur Gauland. Der Partei-Senior mußte in der dramatischsten Situation des Wahlparteitags eingreifen und die Zerreißprobe im letzten Moment verhindern (Seite 6). Diesmal nicht als Seelsorger oder als über den Dingen schwebender Schlichter, sondern als Brandbekämpfer in vorderster Linie. Der Wunsch des 76jährigen, in der zweiten Vorstandsreihe zu bleiben und sich erneut zum Stellvertretenden Vorsitzenden wählen zu lassen, war hinfällig. Was zwei Tage zuvor noch als bloßes Gerücht herumgewabert war – die Doppelspitze Jörg Meuthen/Gauland, wurde Realität. Der noch am Vormittag ausgehandelte Deal mit den „Realos“ um Georg Pazderski war Makulatur. 

Die Zustimmungswerte für seine wie aus dem Nichts aufgetauchte Konkurrentin Doris Sayn-Wittgenstein entsprechen sicherlich nicht der Stärke des „Flügels“, der sie ins Rennen geschickt hatte. So einfach funktioniert die AfD nicht. Es gibt eine Menge Delegierte, die ad hoc abstimmen, die nicht den Absprachen folgen, sich keinem Lager zurechnen lassen und generell an strategischen Überlegungen nicht interessiert sind. Wer als Kandidat eine solide Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen wollte, mußte die Emotionen der Delegierten bedienen; das ist der Frau aus dem Norden zweifelsohne gelungen. Besser als dem eher spröde an Verantwortungsbereitschaft und Pragmatismus appellierenden Oberst außer Dienst. Aber was sind schon fünf Minuten Gefühle, wenn es um die notwendigen Weichenstellungen für mindestens zwei Jahre geht?

Für seinen Einsatz als Retter in der Not mußte Gauland einen hohen Preis zahlen. 68 Prozent ohne Gegenkandidat, über ein Viertel Neinstimmen sind Ausdruck der Unzufriedenheit vieler aus dem liberalkonservativen Lager. Der neue Bundesvorstand bildet indes die Strömungen in der AfD – die vielen Alternativen für Deutschland – einigermaßen ausgewogen ab. Weder hat der „Flügel“ triumphiert, noch wurde er untergebuttert. „Es hätte schlimmer kommen können“, ist eine Einschätzung, die man lagerübergreifend vernehmen konnte. Dieser Vorstand wird so sicherlich nicht zur Gegenmacht der Bundestagsfraktion, dem Aushängeschild und Kraftzentrum der AfD. Dafür sind zu viele Abgeordnete in der Parteiführung vertreten, die beiden Fraktionsvorsitzenden eingeschlossen.

Zu unguter Letzt noch: Ein Kommentar über den AfD-Parteitag wäre unvollständig, wenn er in seinem „Spin“ nicht das Beschämendste erwähnen würde, das an diesem Tag stattfand: daß die Partei sich nur versammeln konnte – wozu sie laut Verfassung berechtigt und laut Parteiengesetz verpflichtet ist –, weil der Tagungsort festungsähnlich ausgebaut und von Polizei-Hundertschaften mit Wasserwerfern beschützt wurde. Und daß demokratisch gewählte Mandatsträger, ehrenamtliche Politiker, einfache Parteimitglieder genauso wie Polizisten – und, ja, auch Journalisten – von gewalttätigen Linksextremen bepöbelt, bedrängt und attackiert wurden.

Wer einerseits der AfD manch verbale Entgleisungen einzelner oder deren ausbleibende Sanktionierung vorwirft, darf andererseits diesen Skandal nicht verschweigen. Wer Gewalt und Nötigung achselzuckend als Protestfolklore abtut, verharmlost die Feinde unserer Demokratie. Und die saßen am vergangenen Sonnabend in Hannover ganz gewiß nicht im, sondern tobten vor dem Kongreßzentrum.