© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Plötzlich zwei Präsidenten
Kenia: Uhuru Kenyatta läßt sich bei der Inthronisierung von seinen Anhängern feiern, doch die Opposition plant für Raila Odinga ähnliches
Marc Zoellner

Zum Bersten gefüllt zeigte sich das Kasarani-Stadion in Kenias Hauptstadt Nairobi: Zehntausende Anhänger Uhuru Kenyattas, des Vorsitzenden der regierenden Jubilee-Partei, waren erschienen, um der Militärparade zur Vereidigung ihres neuen Präsidenten beizuwohnen. Dieser schien sichtlich erleichtert. „Die Wahl, die wir soeben beendet haben“, erklärte Kenyatta, „ist sicherlich eine der längsten in der Geschichte unseres Kontinents. Heute ist der 123. Tag seit ihrem Beginn.“

Tatsächlich hatten Kenyattas Anhänger Grund zum Jubeln, denn das Ergebnis ihres Wunschkandidaten im zweiten Wahlgang zum kenianischen Präsidenten war beachtlich: Gut 98,3 Prozent der Stimmen entfielen auf Kenyatta. Seinen Rivalen Raila Odinga wählten hingegen gerade einmal 73.000 Menschen. 

Was allerdings daran lag, daß dieser gar nicht erst angetreten war. Aus Protest gegen ein mit gravierenden Mängeln behaftetes Wahlsystem hatte dieser bereits Anfang Oktober verkündet, den zweiten Wahlgang zu boykottieren und seine Klientel stattdessen auf der Straße zu versammeln. So auch vergangenen Dienstag: Reifen brannten im Doonholmer Viertel Nairobis, wütende Oppositionelle errichteten Barrikaden und lieferten sich Gefechte mit der Polizei. „Kein Raila, kein Frieden“, skandierten die Versammelten. 

Daß die Wut der Opposition nicht ganz unbegründet ist, bestätigte das Oberste Verfassungsgericht Kenias bereits im September, als die Richter das Ergebnis der vorangegangenen Präsidentschaftswahl vom 8. August annullierten. 

Zwar hatte Kenyatta diese gegen seinen Kontrahenten Raila Odinga von der ODM mit 54 zu 44 Prozentpunkten gewonnen, was einem Vorsprung von über anderthalb Millionen Stimmen entspricht. Doch in der Wahlauszählung, klagte die ODM, sei massiv geschummelt worden, insbesondere was die elektronische Auszählungsübertragung der rund 4.000 Wahlkreise an die zentrale Behörde der IEBC betroffen habe.

Ein Ende der Turbulenzen ist nicht in Sicht

Den Vorwurf zu überprüfen, gelang dem Obersten Verwaltungsgericht nicht: Die IEBC verwehrte den von den Richtern einbestellten unabhängigen Experten jeglichen Zugriff auf ihre Server. Auch den Umstand, das endgültige Wahlergebnis bereits bekanntgegeben zu haben, bevor sämtliche Unterlagen der Wahlkreise in der Zentrale eingegangen seien, wollte die IEBC vor Gericht nicht kommentieren. Das Urteil fiel dementsprechend vernichtend aus: Die Wahl zur Präsidentschaft sei „nicht in Übereinstimmung mit der Verfassung durchgeführt worden“, erklärte Kenias Oberster Richter David Maraga. Ihr amtliches Endergebnis „gegenstandslos, ungültig und nichtig.“

Maraga, der von Kenyatta daraufhin wutentbrannt als „Gauner“ bezichtigt wurde, setzte für den 26. Oktober Neuwahlen an. Dies war der eigentliche Grund der massiven Proteste, die seitdem besonders im Westen des Landes toben: Denn anstelle eines neuen elektronischen Wahlprogramms zur Registrierung der Wähler und Analyse der Wahlstimmen, wie es die ODM fordert, beharrt Kenyatta weiterhin auf jenes Modul der vergangenen Wahl. Die französische IT-Schmiede, aus deren Haus die Soft- und Hardware der IEBC stammt, erhielt im September umgerechnet gar zwanzig Millionen Euro (2,4 Milliarden Kenia-Schilling) anstelle der ursprünglich zugesagten sechs Millionen Euro für ihre Neukonfiguration überwiesen – zusätzlich zu den bereits 31 Millionen gezahlten Euro. Kritiker aus den Reihen der ODM munkeln seitdem von Korruption seitens des Amtsinhabers.

 Allein seit dem Ausbruch der Proteste der Kenianer gegen die IEBC seien über 100 Menschen von Ordnungskräften getötet worden, beklagt die Opposition. Und ein Ende der Demonstrationen ist wohl noch lange nicht in Sicht. Erst Ende vergangener Woche verkündete Odinga, sich am 12. Dezember selbst zum Präsidenten ausrufen zu lassen.