© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Mit Katalanen ließ sich kein Staat machen
Die Geschichte des kleinen Landes zwischen Pyrenäen und Mittelmeer unter spanischer Regie
Eberhard Straub

Das ganze Spanien soll es sein. So hieß es auch unter Katalanen während der Reconquista. Seit 711 n. Chr. hatten sich Araber weiter Teile des westgotischen Reiches bemächtigt. Die Einheit der Hispania, von den Römern geschaffen und von den West - goten bewahrt, war damals zerbrochen.  Die Klage um das verlorene gemeinsame Vaterland begleitete von nun an die mühselige Befreiung. 

Mit der vielfach variierten Trauer um Spanien erhielt sich die Idee der politischen Einheit Spaniens und des Zusammenhanges seiner Völker als Spanier. Die Monarchia Hispaniae wurde endlich unter den Katholischen Königen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, zu dessen Krone Katalonien gehörte, ab 1474 wiederhergestellt. Der Zusammenschluß der spanischen Königreiche schien darüber hinaus die längst verbreiteten Hoffnungen zur Gewißheit zu machen, daß die spanische Monarchie die Vorstufe sei zu der oftmals verheißenen Weltmonarchie durch Spanien. 

Die Katalanen fühlten sich im einigen Spanien gar nicht überwältigt von der führenden spanischen Nation, der kastilianischen, denn sie büßten nicht ihre Freiheiten und Sonderrechte ein. Die Einheit Spaniens bedeutete keine Gleichheit der Lebensverhältnisse und den mit dieser Idee verbundenen Zwang, alles und jedes auf einer iberischen Bundesebene zu homogenisieren. Sie gewann vielmehr ihre Kraft und ihre übersprudelnde Vitalität aus der Vielfalt der Sprachen und Völker, die sich alle gemeinsam als Spanier feierten. 

Katalanische Dichter, Gelehrte, Aristokraten, Beamte und Offiziere gebrauchten allerdings von nun an vorzugsweise Spanisch, die gemeinsame Reichssprache, die wie einst Latein im Römischen Reich zur neuen Weltsprache wurde in der einen und insgesamt neuen Welt, die von den Spaniern zum Staunen Europas in ein paar Jahrzehnten geschaffen worden war.  

Paradies eines völlig verwahrlosten Feudalismus

Katalanisch lebte als Volkssprache weiter, wie die übrigen nationalen Umgangssprachen in der Hispania, unumgänglich in der Verwaltung, auf den Ständeversammlungen, im Verkehr mit Bauern, Dienstboten und Handwerkern oder als gemütlicher Brauch in der familiären Geselligkeit. Ein gebildeter Weltmann und Schöngeist oder philosophischer Kopf vermied jedoch beim Schreiben solch provinzielle Sonderformen, die unelegant und wenig vornehm wirkten. Das letzte, bis heute überwältigende Zeugnis damaliger katalanischer Literatur, längst Bestandteil der Weltliteratur, war Joannot Martorells Roman „Tirant lo blanc“, 1490 erstmals gedruckt, ein Roman, der Völker, Gesellschaftsklassen und Lebensformen im großen Raum Europa als einen Weltraum mit eigener Bedeutung behandelte. Cervantes schätzte diesen Roman, der sich in der Bibliothek seines Don Quijote befand. 

Insgesamt störten die spanischen Könige – seit Karl V. aus dem Hause Österreich – die selbstgenügsamen Katalanen nicht in ihrem eigenwilligen Sonderleben. Sie waren nicht dringend auf deren ohnehin spärliche Steuerleistungen oder Soldaten angewiesen und ließen dies mit sich selbst beschäftigte Bergvolk weitgehend in Ruhe. Das hatte zur Folge, daß im Gegensatz zum übrigen Spanien Katalonien vom Verwaltungs- und Interventionsstaat unberührt blieb, wie ihn die Könige vorsichtig vorantrieben, weitgehend unabhängig von den Ständen geworden wegen der jährlich eintreffenden Silberflotten aus Amerika.  

Katalonien wurde vielmehr zum Paradies eines völlig verwahrlosten Feudalismus, in dem dauernd Raubritter und Bauern als Wegelagerer miteinander stritten. Es herrschte das Faustrecht. Jeder versuchte auf seine Weise den anderen zu übervorteilen. Der bandolerismo, später als Ausdruck eines stolzen, unbezähmbaren Verlangens nach Freiheit romantisiert, sorgte für eine allgemeine Unordnung. 

Mit Katalanen ließ sich kein Staat machen. Darein fügten sich die spanischen Monarchen lange Zeit. Erst 1640 drang Philipp IV. während des Krieges mit Frankreich energisch darauf, daß sich dieses Grenzland an den Kosten und Mühen seiner Verteidigung beteilige. Damit überforderte er die Herren wie deren Bauern. Beide rebellierten gegen die Krone und Spanien. Sie unterstellten sich 1641 dem Protektorat des französischen Königs. Zum ersten Mal erfuhren jetzt allerdings die Katalanen, was es heißt, zu einem Staat zu gehören, dem Hüter von Recht und der davon abhängigen Ordnung. Ernüchtert fügten sie sich 1652 wieder in die Einheit Spaniens, das beschäftigt mit Kriegen gegen Frankreich und Portugal gar keine Zeit fand, der Autorität des spanischen Staates dort Geltung zu verschaffen. Die Katalanen fielen sofort wieder zurück in ihre Anarchie. Immerhin hielten sie fortan dem Hause Österreich die Treue, das ihnen bis auf das eine Mal nie lästig geworden war. 

Mit ungemeinem Eifer und Mut kämpften sie für den Erzherzog Karl als legitimen König im Spanischen Erbfolgekrieg gegen den Bourbonen und angemaßten König Philipp V. Sie wußten indessen, was es bedeutet, Teil eines halbwegs effizienten Staates zu sein. Als sich die europäischen Großmächte 1713 im Frieden zu Utrecht endgültig auf König Philipp V. verständigten, verließen viele Katalanen mit ihrem König, jetzt auch Kaiser Karl VI., das Land und pflegten in Wien ein Heimweh, das ihr König und Kaiser teilte. 

Der ewige Traum von einer autoritätsfreien Zukunft

Von nun ab gab es ein katalanisches Problem. Denn die Bourbonen wollten Katalonien in den spanischen Staat eingliedern, was hieß, sie sollten nicht nur die Vorteile genießen, Spanier zu sein, sondern auch Pflichten wie alle anderen Spanier übernehmen. In diesen relativ zaghaften Versuchen, sich einer umfassenderen Ordnung einfügen zu sollen, erblickten die Katalanen einen Anschlag auf ihre alte Verfassung und ihre Privilegien. Man konnte mit ihnen keinen Staat machen.

Im späten 19. Jahrhundert verklärten sie ihre frühere, feudal-vorstaatliche Welt als Lebensraum von Genossenschaften, die in korporativen Gemeinschaftsveranstaltungen ihre jeweiligen Sonderinteressen ausglichen. Dem katalanischen Volksgeist, wie sie ihn sich seit der Romantik entwarfen, widerstrebe die Funktionstüchtigkeit im öden, mechanischen Staat. Denn das Volk repräsentiere sich in einer Fülle nationaler, also katalanischer, Gemeinschaften, die einander ergänzen, aber nicht in Abhängigkeit voneinander geraten. 

Die Katalanen poetisierten ihre Erde, ihre Sprache, ihr Volkstum durchaus in der Absicht, zu beweisen, schon immer anders als die anderen Spanier gewesen zu sein in Abwehr gesamtspanischer Ansprüche. Mühelos konnten sich Katalanen zu begeisterten Wagnerianern entwickeln. Dessen Meistersinger dramatisierten ihre Erwartungen, durch volkstümliche Kunst, die Stimme des Volksgeistes, das Volkstum zu erneuern und zu kräftigen, um Anschläge auf seine Eigenart abwehren zu können. 

Mit Richard Wagners Ideen zur Befreiung durch die Kunst drangen auch die Hoffnungen seines Freundes Bakunin auf eine autoritätsfreie Zukunft nach Katalonien, in der ein für alle Male Phantasie, Lebensfreude und Lebensmut über die staatlichen Zwänge triumphierten und ein seliges Reich der Freiheit ermöglichten. Der regionale Nationalismus erweiterte sich über den Anarchismus zu einem Welterlösungsprogramm – Katalonien als Brünnhilde, das die Götterdämmerung der autoritären, von Gesetz und Vorschrift organisierten Staatlichkeit vorbereitet. 

Schon vor dem Spanischen Bürgerkrieg erreichte dieser katalanische Nationalismus totaler Mitmenschlichkeit seinen Höhepunkt. Im Sommer 1934 bildete Katalonien eine eigene Republik. Selbstverständlich wurde die regionale Regierung von der republikanischen Regierung in Madrid abgesetzt und gefangengenommen. An der Republik mißfiel den freiheitstrunkenen katalanischen Republikanern ein lebensfeindlicher Wille zu Regel und Regulierung. 

Sie gründeten im Überschwang der Gefühle ihre Republik, in der alle Menschen Brüder werden und Katalanen allen Menschen den Weg weisen sollten in reine, gewaltfreie Menschlichkeit. Es waren die Kommunisten in der republikanischen Regierung, die für solche Schwärmereien keinerlei Verständnis hatten. Kommunisten sorgten entschlossen für Vernunft und für Staatlichkeit, denn vom Staat verstanden sie etwas. Sie und nicht erst die Truppen des Generalissimo Francisco Franco stellten die Ruhe im aufgeregten Land sozialer Verzückung wieder her zum Entsetzen vieler linker Menschenfreunde von George Orwell über Arthur Koestler bis hin zu Willy Brandt. 

Ein neues katalanisches Problem gab es danach auch deshalb nicht, weil der spanische Caudillo Francisco Franco streng wie ein Kommunist auf Staatlichkeit achtete. Es ergab sich unvermeidlich, weil sich auch im neuen Spanien seit 1976, trotz vieler Vorrechte die Katalanen wie eh und je benachteiligt vorkommen. Sie haben ein Problem mit dem Staat und der Staatlichkeit überhaupt. Die Hispania und Spanien erinnern an den Staat, deshalb war, ist und wird vielen Katalanen selbst die spanische Einheit in Vielfalt zum Problem. Vielleicht hilft ihnen die derzeitige Krise dazu, nicht weiter nur auf ihre von Meer und Bergen begrenzte kleine Welt zu schauen. Katalonien als vergrößertes Andorra? Nur über Spanien kann es sich der Welt bekannt machen und in ihr beachtet werden – über Spanien, das ein Staat ist und bleiben möchte.