© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/17 / 15. Dezember 2017

Außer Spesen durchaus was gewesen
AfD-Fraktion: Abgeordnete kritisieren organisatorische Defizite / „Schnittchen-Affäre“ sorgt für Schlagzeilen
Christian Vollradt

Als die Abgeordnete Joana Cotar am Dienstag im Bundestagsplenum ihren Redebeitrag beendet hatte, erhoben sich alle ihre Kollegen von der AfD-Fraktion, um ihr zu applaudieren. Die Hessin – im Zivilleben Social-Media-Managerin – hatte gerade zum Antrag der AfD, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz aufzuheben, gesprochen. „Eine Schande für Deutschland“ nannte Cotar das umstrittene und im Hauruck-Verfahren kurz vor der Sommerpause beschlossene Gesetzeswerk. Denn mit ihm werde die Meinungsfreiheit beschnitten. Ihre Partei kritisiert vor allem, daß aufgrund juristisch nicht näher definierter Begriffe wie „Haßkriminalität“ oder „strafbare Falschnachrichten“ die Gefahr „eines über Gebühr ausgedehnten Anwendungsbereichs der Strafmaßnahmen gegen jede abweichende Meinung“ bestehe. Mit dem Antrag auf Aufhebung des NetzDG löst die Partei ihre entsprechende Forderung im Wahlkampf ein. 

Für die AfD ein Moment, Geschlossenheit nach innen wie außen zu zeigen und mit einem Kernanliegen Sympathiepunkte bei der heterogenen Anhänger- und Wählerschaft zu sammeln. Das war in der vergangenen Woche nicht durchgängig so. Das lag zum einen am Bundesparteitag mit seiner für einige überraschenden Wendung in der Personalfrage an der Parteispitze und dem die öffentliche Wahrnehmung dominierenden „Flügelschlagen“ (JF 50/17). Zum anderen machte die „Schnittchen-Affäre“ die Runde – und mit ihr der Vorwurf, in der Fraktion gehe es unter anderem in Sachen Finanzen nicht ganz korrekt zu.  

„Blamable Übergehung der AfD“

Bereits am 23. November hatte sich der baden-württembergische Abgeordnete Thomas Seitz per Mail mit einigen Kritikpunkten an die Fraktionsvorsitzenden sowie einen Teil der Parlamentarischen Geschäftsführer gewandt. Im Fokus stand dabei vor allem die seiner Meinung nach unbefriedigende Arbeit von Fraktionsgeschäftsführer Hans-Joachim Berg. Seitz beantragte, auf der kommenden Fraktionsversammlung die von ihm kritisierten Punkte auf die Tagesordnung zu setzen. Anfang vergangener Woche erhielten dann alle Mitglieder der AfD-Fraktion sowie deren Mitarbeiter die ausführlichen Anträge von Seitz per Mail.

Darin heißt es unter anderem: „Ein weiteres schwelendes Problem stellt das Catering während der Fraktionssitzungen dar. Hier sind bereits Rechnungen in der Größenordnung von mehreren 10.000 Euro aufgelaufen, obwohl zumindest unklar ist, ob diese Kosten von der Fraktion getragen werden dürfen. Ein Argument wie ‘bei der CDU wurde das immer so gemacht’ entspricht weder dem Anspruch der AfD noch wird uns das bei der Überprüfung durch den Bundesrechnungshof helfen.“ Und weiter: „Mit einer Schlagzeile in der Bild wie ‘Selbstbegünstigung bei der AfD auf Kosten des Steuerzahlers’ werden wir nicht nur bei der Partei-Basis ein Problem bekommen.“

Pikant: Kurz darauf erscheint dann bei Bild online ein Bericht mit der Schlagzeile „AfD verpraßt mehrere 10.000 Euro für Schnittchen!“ sowie ausführlichen Zitaten aus den Anträgen des Baden-Württembergers.  Helle Aufregung in der Fraktionsführung. Zum einen wegen der absurd hohen Kosten für die Beköstigung, zum anderen wegen der im Raum stehenden Frage, wer die brisanten Infos an die Bild „durchgestochen“ haben könnte. Angesichts des großen Verteilers, dem die Seitz-Mail zuging, düfte das nie geklärt werden. In Sachen Image war die Schlagzeile für die Anti-Etablierten natürlich ein Schlag ins Kontor. 

Dabei zweifelt mancher die behauptete Höhe durchaus an. Tatsächlich gab es bei den oft ganztägigen Sitzungen der AfD-Fraktion belegte Brötchen, Suppe und alkoholfreie Getränke, alles geliefert vom Bundestags-Caterer Dussmann. Bei knapp hundert Sitzungsteilnehmern, über zehn Sitzungen und Kosten von geschätzt mindestens 15 Euro pro Person läppert sich der Betrag, bleibt aber unter der behaupteten Summe.  

Als Reaktion darauf blieb bei der Fraktionsversammlung Anfang dieser Woche das Buffet leer. Die AfD-Leute mußten auf eigene Rechnung in die Kantine. Nachteil: Aufgrund des Andrangs gab es eine lange Warteschlange und entsprechende Zeitverzögerungen.  

Brisanter als das vermeintliche „Schnittchen-Gate“ ist allerdings die Kritik an Fraktionsgeschäftsführer Berg. Denn sie wird nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT von vielen Abgeordneten und Mitarbeitern geteilt. Seitz wirft dem Verwaltungschef der Fraktion vor, für die „blamable Übergehung der AfD“ bei der Zuteilung von stellvertretenden Vorsitzenden des Hauptausschusses verantwortlich zu sein. Diese Funktion haben bei den anderen Fraktionen deren Bundestags-Vizepräsidenten inne; aufgrund der Nichtwahl des AfD-Kandidaten Albrecht Glaser ging die Partei – noch – leer aus. 

Daß Berg zudem noch sein Abgeordnetenmandat im Berliner Landesparlament innehat, stößt auch vielen auf. Insider beklagen indes vor allem den schleppenden Aufbau klarer organisatorischer Strukturen, die für effektive Abläufe sorgen könnten. Im „gärigen Haufen“ (Alexander Gauland) sehnt sich mancher nach einer strengen, ordnenden und vor allem führenden Hand. Natürlich, so heißt es meist umgehend im Nachsatz, sei das alles auch der Tatsache geschuldet, daß die Fraktion überwiegend aus Neulingen ohne große Parlamentserfahrung besteht. Und dies gelte eben auch für die Mehrzahl der Mitarbeiter. Im Januar soll der Fraktionsgeschäftsführer ausführlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen.