© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/17 / 15. Dezember 2017

„Folge von Untätigkeit“
Auszüge des offenen Briefs von Angehörigen aller Todesopfer an die Kanzlerin: „Künftige Anschläge verhindern“

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

(...) während sicherlich kein Land der Welt absolute Sicherheit vor terroristischen Anschlägen gewährleisten kann, mangelt es in Deutschland an grundlegender Professionalität im Umgang mit dem Terrorismus. (...)

Der Terrorist, der den Anschlag am Breitscheidplatz verübt hat, ist unter vielen Migranten zu Beginn der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen, (...) war als einer der Top-Gefährder bekannt und ist auch vor dem Anschlag bereits mehrfach straffällig geworden.(...) Möglichkeiten zur Abschiebung wurden verpaßt. (...)

Frau Bundeskanzlerin, der Anschlag am Breitscheidplatz ist auch eine tragische Folge der politischen Untätigkeit Ihrer Bundesregierung. (...) In bezug auf den Umgang mit uns Hinterbliebenen müssen wir zur Kenntnis nehmen, Frau Bundeskanzlerin, daß Sie uns auch fast ein Jahr nach dem Anschlag weder persönlich noch schriftlich kondoliert haben. Wir sind der Auffassung, daß Sie damit Ihrem Amt nicht gerecht werden. (...)

In der Folge hat sich in den ersten Tagen und Wochen niemand von offizieller Seite um uns gekümmert. Das erste offizielle Schreiben deutscher Behörden kam 22 Tage nach dem Anschlag von Bundesjustizminister Heiko Maas an einen Teil der Familienangehörigen. (...) Es hat 60 Tage gedauert, bis uns der damalige Bundespräsident Joachim Gauck zu einem Zusammentreffen im Schloß Bellevue einlud und kondolierte. (...) Auch wenn der Bedarf schon wenige Tage nach dem Anschlag hätte erkannt werden müssen, dauerte es fast drei Monate, bis die Bundesregierung Herrn Ministerpräsident a. D. Kurt Beck zum Beauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags (...) ernannte.

Es ist unsere konkrete Erwartung an Sie, (...) daß die Bundesrepublik unseren Familien unbürokratisch und umfassend hilft und für die heutigen und künftigen finanziellen Schäden aufkommt. Gegenüber dieser Erwartung bleibt der Umfang der aktuellen staatlichen Unterstützung weit zurück. (...) So stehen viele von uns seit dem Anschlag vor ungelösten finanziellen Herausforderungen. (...)

Frau Bundeskanzlerin, leider ist zu befürchten, daß der Anschlag vom Breitscheidplatz nicht der letzte terroristische Anschlag in Deutschland gewesen sein wird. Auch deshalb wenden wir uns mit diesem offenen Brief an Sie. Es sollte alles dafür getan werden, künftige Anschläge zu verhindern und zumindest einen angemessenen Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen, ungeachtet der Nationalität, zu gewährleisten. Der Bund im Zusammenwirken mit allen 16 Bundesländern muß den Umgang mit dem Terrorismus so schnell wie möglich lernen. Die einfache Fortschreibung des aktuellen Versagens der Bundesrepublik ist unverantwortlich.