© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/17 / 15. Dezember 2017

Gierig nach dem Licht des Südens
Künstlerfreundschaft: Eine Ausstellung im Städel-Museum verdeutlicht die wechselseitigen Einflüsse im Werk von Pierre Bonnard und Henri Matisse
Felix Dirsch

Wenn ich an Sie denke“, schreibt Pierre Bonnard im Januar 1940 an Henri Matisse, „denke ich an einen von aller überkommenen ästhetischen Konvention befreiten Geist; dies allein gestattet eine direkte Sicht auf die Natur; das größte Glück, das einem Maler widerfahren kann. Dank Ihnen habe ich ein wenig daran teil.“

Der wechselseitige Respekt der beiden Künstler war groß, man vertraute sich. Zum Zeitpunkt dieses Briefes waren beide, die bei allen Eigentümlichkeiten und allem Variantenreichtum in der Tradition der frühen Impressionisten stehen, bereits Jahrzehnte miteinander verbunden. Sie inspirierten sich gegenseitig. 

Darüber gibt eine Ausstellung im Frankfurter Städel in profunder Weise Auskunft. Gezeigt werden hundert Gemälde, Plastiken und Zeichnungen. Vorteilhaft für den so fruchtbaren Austausch war nicht zuletzt die geographische Nähe. Beide Maler wirkten in jüngeren Jahren in Paris. Die Aktivitäten in den Salons förderten ihre Karriere nachhaltig. In mittleren Lebensjahren zogen sich beide mehr und mehr an die französische Riviera zurück. Nicht zuletzt der Blick auf Sonnenaufgang und -untergang steigerte ihre Produktivität. Beide gierten nach den schaumigen Farben des Midi.

Der Austausch blieb auch nach dem Umzug rege. Beide lieferten maßgebliche Beiträge zur Entwicklung der modernen Malerei im Spannungsfeld von Gegenständlichkeit und Abstraktion. In den Jahren der Besetzung traten Resistance-Kämpfer an sie heran, um sie zum Widerstand anzuregen. Bei aller Distanz zum Vichy-Regime bedeutete Malerei für sie doch ein Stück Rückzug vom gesellschaftlich-politischen Leben. Diese Haltung war wohl mit dafür ausschlaggebend, daß die Nationalsozialisten kein Ausstellungsverbot über Matisse verhängten.

Die Präsentation zeigt die wechselseitigen Einflüsse am Beispiel von fünf zentralen Bereichen: Interieur, Stilleben, Landschaft/Natur, Frauenbild/Akt und Grafik. Viele Ähnlichkeiten belegen den Austausch der beiden in einer Seelenfreundschaft miteinander verbundenen Männer. Innenräume wirken auf manchen Betrachter langweilig. Matisses Gemälde „Harmonie in Rot“ scheint dieses Vorurteil zu bestätigen; und doch verrät das Zimmer mehr Dynamik als der erste Anschein nahelegt. Schon allein die Farbenpracht ist ein Augenschmaus. Oft sind Frauen dargestellt: mit Milchschüssel (Bonnard) oder mit Buch in der Hand (Matisse). Die Bürgersfrau als Hausdame ist in ihrem Element.

Die Stilleben dienen als Ausgangspunkt für formalästhetische Experimente. Bonnard wie Matisse verstanden darunter mehr als „nur“ leblose Gegenstände. Das verdeutlicht unter anderem Matisses Bild „Stilleben mit ‘Der Tanz’“ aus dem Jahre 1909. Eine vergleichbare resolute Verflachung des Bildraumes läßt sich auch in Bonnards Werk belegen.

Bonnard wie auch Matisse erweisen sich als Meister der Landschaftsmalerei. Sie konnte sich als kunsthistorische Gattung in dem Moment neu etablieren, als die Menschen im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker mit Maschinen in Berührung kamen. Zu berühmten Beispielen der Schaffenskraft der Ausgestellten zählt „Die Bucht von Saint-Tropez“ (Matisse) und „Die Familie im Garten“ (Bonnard). Bonnards Interesse für dieses Genre war größer als das des Kollegen. Vor der Zeit des Massentourismus wirken sämtliche Sujets idyllisch.

Modelle und menschliche Gestalten darzustellen zählt zu den zentralen Themen der Arbeiten beider Künstler. Matisse schuf 1935 das Bild „Großer liegender Akt“, das den Ausstellungskatalog ziert. Über die Modelle, ohne die die Aktbilder nicht entstanden wären, ist viel geschrieben worden. Matisses langjährige Lebensgefährtin und spätere Ehefrau Marthe fungierte in besonderer Weise als Muse: im Badezuber, im Lehnstuhl, am Waschtisch. Gerade mit dem Motiv der Badenden knüpft Bonnard an populäre Darstellungen Renoirs und Degas’ an.

Matisse wollte es hingegen exotischer. Wo sein steter Begleiter die Sujets mehr aus dem persönlichen Lebensumfeld holte, suchte er Inspirationsquellen aus fernen Ländern. Jedenfalls entsprechen die jungen Odalisken wohl weder dem damaligen Schönheitsideal noch dem heutigen. Sie sind mehr im 19. Jahrhundert gelegentlich festzustellenden Orient-Obsessionen geschuldet, die manche Maler ins folgende Zentennium transponierten.

Das umfangreiche Œuvre der Freunde wird ergänzt durch serielle Arbeiten mit Stift und Feder. In entsprechenden Mappen werden Lebenserfahrungen, an gänzlich unterschiedlichen Orten erworben, fixiert. Kenner ihres Werks haben auf den eigenständigen Stellenwert dieser Skizzen hingewiesen. Sie besitzen nicht nur vorbereitenden Charakter, sondern sind integrativer Bestandteil ihres Schaffens.

Die Ausstellung ist bis zum 14. Januar 2018 im Städel-Museum, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do./Fr. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 069 / 60 50 98-200

 www.staedelmuseum.de