© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

Das neue Dollar-Paradoxon
Handelspolitik: Trumps widersprüchliche Wirtschaftsstrategie trifft auch Deutschland / Mehr Protektionismus?
Dirk Meyer

Donald Trump hat mit seiner Steuerreform ein wichtiges Vorhaben seiner Agenda durchgesetzt. Die Gewinnsteuern für Unternehmen werden im Schnitt um fast 14 Prozentpunkte gesenkt. Auch die Einkommensteuer für Privathaushalte sinkt. Im Gegenzug müssen Firmen auf Steuervergünstigungen verzichten. Zur weiteren Gegenfinanzierung hofft die US-Regierung auf Wachstumsimpulse, die aber nur etwa ein Sechstel der Steuerausfälle ausgleichen könnten. Der Rest würde über zusätzliche Kredite die Staatsverschuldung erhöhen.

Aus verfahrenstechnischen Gründen wird dieser Bedarf regierungsseitig für die nächsten zehn Jahre insgesamt auf 1,5 Billionen Dollar angenommen, bei einem derzeitigen Schuldenstand von knapp 21 Billionen Dollar. Pessimistischere Schätzungen des Tax Policy Centers prognostizieren eine Neuverschuldung von 2,4 Billionen Dollar. Doch was hat die Steuerreform mit der geplanten Neuausrichtung der US-Handelspolitik zu tun, deren zentrales Ziel im Abbau eines jahrzehntelangen Leistungsbilanzdefizits besteht? Es zeigt, daß Politik dann zu Widersprüchen führt, wenn volkswirtschaftliche Zusammenhänge mißachtet werden (JF 10/17).

Ersparnisse sind der nicht konsumierte Teil der inländischen Güterproduktion. Eine ökonomische Grundbeziehung besagt, daß die volkswirtschaftlichen Ersparnisse in drei Verwendungen fließen können: Sie finanzieren den Zuwachs des Kapitalstocks durch Investitionen (netto); sie finanzieren die Neuverschuldung des Staates; sie ermöglichen einen Zugriff des Auslandes auf die inländischen Produkte und Dienstleistungen in Gestalt eines Exportüberschusses.

Da die Sparquote in den USA mit fünf bis sechs Prozent nur etwa halb so hoch ist wie die deutsche, ersetzt das Ausland fehlende US-Ersparnisse, indem es über den US-Importüberschuß das Staatsdefizit wie auch die Investitionen mitfinanziert. Seit 1982 weisen die USA ein Leistungsbilanzdefizit aus, das 2016 481 Milliarden Dollar (2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts/BIP) betrug. Das entspricht etwa einem Zehntel der gesamten US-Staatsausgaben. Die Netto-Auslandsverbindlichkeiten summieren sich auf acht Billionen Dollar. Die Steuersenkungen werden das Handelsungleichgewicht noch verschärfen: Indirekt, indem weitere private Investitionen angeregt und die Steuerausfälle das bereits bestehende Staatsdefizit erhöhen werden. Direkt, indem Produktivitätssteigerungen und Wachstum Lohnerhöhungen erleichtern und die steigenden verfügbaren Einkommen über den Importanteil die Einfuhren erhöhen. Die Steuerreform konterkariert das Streben nach einem Außenhandelsgleichgewicht – ein Trumpsches Dollar-Paradoxon.

Unbegrenzte Kreditlinie zu günstigen Zinsen

Bei Trumps national-protektionistischer Außenhandelsstrategie wird die Bedeutung von grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten übersehen. Dies gilt beispielsweise für die Autoindustrie. Fanden beim meistverkauften GM-Kompaktmodell Chevrolet Cruze vor fünf Jahren noch 60 Prozent der Wertschöpfung in den USA statt, so ist diese Rate aktuell auf nur noch 44 Prozent gesunken. Ausgeprägte Verflechtungen bestehen mit Mexiko, General Motors ist der größte Autoproduzent dort. Auch VW (Beetle, Golf, Jetta, Tiguan XL) und Audi (alle Q5-SUV) produzieren in Mexiko. BMW will ab 2019 seine 3er Limousine dort fertigen lassen.

Ein „Handelskrieg“ mit hohen Zöllen oder Importquoten würde international Wertschöpfungsketten zerstören und Zulieferprobleme für mehrere Jahre bewirken. Derzeit hängen etwa zwei Millionen Arbeitsplätze in den USA vom Handel mit dem Nachbarstaat ab. Im Grenzgebiet von Texas sind knapp eine Million US-Arbeitnehmer vom Export in den Nachbarstaat abhängig. Besonders deutlich wurden die Abhängigkeiten, als es infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 zu einer kurzfristigen Grenzschließung nach Mexiko kam.

Zudem würde ein Importzoll US-Endproduktionen erheblich verteuern und den amerikanischen Verbraucher treffen. Wohlfahrtsmindernde Handelsumlenkungen wären ein weiteres Argument gegen Protektionismus: So erließ die Obama-Regierung 2009 Zölle auf den Import chinesischer Autoreifen. Diese wurden dann nicht selbst produziert, sondern teurer aus anderen Ländern importiert – das US-Handelsdefizit stieg. China ergriff Gegenmaßnahmen: etwa Vergeltungszölle auf die Einfuhr von Hühnerfüßen. Zwar fanden die Farmer in Hongkong neue Abnehmer, doch zu geringeren Preisen – das Handelsdefizit stieg weiter.

Eine marktwirtschaftliche Grundregel besagt, daß Mengen- und Preiseffekte entgegengesetzt wirken: Wird etwas teurer, so sinkt die Nachfrage. Ein kurzfristig wirksamer Protektionismus hätte demnach entgegenwirkende Währungseffekte zur Folge. Wenn die Importe sinken, sinkt die Nachfrage nach ausländischen Währungen. Diese werden relativ zum Dollar gesehen billiger, was die US-Importe wiederum günstiger werden läßt und die Exporte in diese Länder verteuert. Der Währungseffekt ist dem Defizitabbau entgegengerichtet.

Die Kehrseite des Leistungsbilanzdefizites sind Dollarguthaben des Auslandes. Mit dem Dollar als Anker- und Weltleitwährung fungieren die USA quasi als internationale Bank: Es besteht eine starke internationale Nachfrage nach risikolosen, sicheren Anleihen, die vor allem festverzinsliche US-Staatsanleihen (Treasuries) bieten. Etwa 60 Prozent der amerikanischen Staatsanleihen werden von Ausländern (hauptsächlich China und Japan) gehalten.

Die USA als „sicherer Hafen“ haben eine quasi unbegrenzte Kreditlinie zu günstigen Zinsen. Insofern ist das Handelsdefizit ein direkter Ausfluß der Stellung des Dollars als Weltleitwährung. So wird einen Bedarf an Sicherheit befriedigt und als Gegenleistung genießen die USA eine günstige Verschuldung.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.





Großer Verlierer der US-Steuerreform

Mit einem Exportvolumen von 107 Milliarden Euro sind die USA der wichtigste Auslandskunde der deutschen Wirtschaft. Aber künftig könnte es profitabler sein, direkt dort zu produzieren. Die effektive Steuerbelastung sinkt dank Donald Trump von derzeit 36,5 Prozent auf 22,7 Prozent. „Die effektive Steuerlast für Unternehmen in den USA liegt nach der Reform unter der in Deutschland (28,2 Prozent) und nahe beim Durchschnittswert in der Europäischen Union (20,9 Prozent)“, warnt eine Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die USA würden für Firmen aus Europa ein noch attraktiverer Standort. Auch für US-Unternehmen, die in Europa investieren, sinke die Steuerbelastung, weil in Europa erzielte Gewinne in den USA nicht länger nachversteuert werden müssen. Dies heize den Steuerwettbewerb an. „Zusätzlich wird der Wettbewerb zwischen den EU-Mitgliedern um US-Investitionen zunehmen; Deutschland ist dabei der Verlierer“, konstatiert das ZEW.

 zew.de/