© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

Er mißtraute Ideologen
Nachruf: Der Politikwissenschaftler und renommierte Totalitarismus-Experte Klaus Hornung ist vorige Woche im Alter von 90 Jahren verstorben
Harald Seubert

Zuletzt war ihm das Leben zur Last geworden. Der Geist frisch, beweglich wie je, seine Texte von der Klarheit und Entschiedenheit, die man an ihm kannte, doch die leibliche Existenz fiel ihm schwerer. Am 13. Dezember ist Klaus Hornung im 91. Lebensjahr gestorben.

 Hornung, der zeitlebens aufgrund familiärer Prägungen dem schwäbischen Pietismus treu blieb, war am Ende auch nicht frei von Zweifeln – und gerade darin zeigte sich, wer er war: ein sehr tiefer und zarter Mensch und ein entschiedener Kämpfer, der für seine Überzeugung eintrat, ein Kenner von Kunst und Literatur und ein konservativer „homo politicus“ im tiefsten Sinn. Doch das Politische hatte nie die anderen Fische in seinem Teich totgebissen, um ein Bonmot von Bismarck zu zitieren. Bismarck, dem nüchternen Meister der Staatskunst und Diplomatie, den er bewunderte und von dem er bis zuletzt Maßstäbe gewann. 

Preußen und die schwäbisch-württembergische Herkunft aus Heilbronn verbanden sich in seiner geistigen Physiognomie zu einer unverwechselbaren Einheit: Orthopraxie, das richtige Handeln, war ihm im Zweifelsfall wichtiger als die großen Bekenntnisse. 

Hornung hatte das Ende des Zweiten Weltkriegs noch an der Front erlebt. Dieser authentische Konservative kam aus einem Umfeld, das für Hitler und sein Regime nur Widerwillen empfand. Despotismus und Tyrannis blieben ihm zeitlebens verhaßt. Die Schrecken des Krieges kannte er, seine politische Klugheit diente daher immer auch der Warnung vor dem Spiel mit den Abgründen. Totalitäre Neigungen unter umgekehrten, auch linken Vorzeichen, durchschaute er untrüglich. So waren seine Urteile über die politischen Galionsfiguren gerade in den letzten Jahren von Schärfe und Prägnanz gekennzeichnet, die man nicht mit Bitterkeit verwechseln durfte. Hornung war ein Mann von Lebensfreude und tiefgründigem Humor. 

Es ist nicht zufällig, daß er seine Promotion bei Hans Rothfels, einem Preußen und jüdischen Emigranten, ablegte. Er hörte unter anderem auch bei Eduard Spranger und Theodor Eschenburg. 

Die berufliche Laufbahn führte ihn als Ordinarius an die Pädagogische Hochschule Reutlingen und in den letzten fünf Jahren von 1987 bis 1992 an die Universität Hohenheim, wo seine Vorlesungen und Seminare große Strahlkraft auf das Stuttgarter Bürgertum ausübten.  

Hornungs wissenschaftliches und publizistisches Werk ist gewichtig: Er habilitierte sich bei Dieter Oberndörfer und Wilhelm Hennis mit einer 1975 in Buchform erschienenen Studie zu Staat und Armee in der Bundesrepublik, womit er ein Forschungsfeld Samuel Huntingtons innovativ auf die deutschen Verhältnisse übertrug. Die Clausewitzsche Verhältnisbestimmung von Staatskunst und Kriegshandwerk scheint hier überzeugend auf. Sein Chef d’Oeuvre „Das totalitäre Zeitalter“ (1993) nimmt Anregungen von Hannah Arendt bis Ernst Nolte und François Furet auf: Es zieht jedoch sehr eigenständig, nicht alarmistisch und doch wachsam, Folgerungen im Sinn eines antitotalitären Grundkonsenses, dem sein besonderes Engagement galt. Daß es auch eine „totalitäre Demokratie“ geben kann, lernte Klaus Hornung von dem großen jüdischen Historiker Jacob Talmon. Manche Phänomene eines neuen Jakobinismus nach 1968 konnte und mußte er in diesem Sinn verstehen. Seiner Neigung zu Preußen entsprach zugleich ein hoher, historisch fundierter Respekt vor dem Widerstand gegen Hitler. Daß er bedeutende Biographien über Scharnhorst und den General Groener schrieb, war folgerichtig.

Hornung war Politischer Wissenschaftler in einem Burckhardtschen Sinn weltgeschichtlicher Betrachtungen, der das Philosophisch-Ideengeschichtliche ebenso einschloß wie die reale Historie und die tief menschliche Perspektive, die niemals eine arrogante Sicht des Nachgeborenen, Besserwissenden  zuließ. In den beiden Sammelbänden aus späten Jahren „Vernunft im Zeitalter der Extreme“ (2012) und „Freiheit oder Despotismus: Die Erfahrung des 20. Jahrhunderts“ (2015), die ich mit aus der Taufe heben durfte, wurde dies noch einmal deutlich.  

Als politischer Publizist und öffentliche Persönlichkeit war Hornung zeitlebens überzeugter Patriot, und im besten Sinn ebenso überzeugter Europäer, in Orientierung an die drei Hügel, mit denen die Seele  Europas steht und fällt: Golgatha Areopag und Forum Romanum. Seine intellektuelle und freundschaftliche Landkarte war immer auch nach Rußland und nach Israel geöffnet. Zu Recht mißtraute er Ideologen jedweder Herkunft. An seinen Klassikern schulte er sich und wurde selbst, im Meinungsstreit zu wenig beachtet, zu einem herausragenden Stilisten und politischen Denker, der die Linie von Thukydides über Burke und Clausewitz  nicht scheuen mußte. 

Immer wieder hat er sich exponiert und engagiert – auch als Präsident des Studienzentrums Weikersheim 2001 bis 2003, dem er intellektuellen Glanz wiedergab und in dessen Hochschulwochen seine Würde und selbstverständliche Autorität als akademischer Lehrer, der zugleich Fürsprecher der jungen Generation war, hervorragend zur Geltung kam. 

Über alles Geleistete hinaus bleibt die Prägespur der Person unvergessen: Klaus Hornung war ein Freund, der auch politische Meinungsunterschiede gelten lassen konnte, bis zuletzt. Das Wort von Herder, „Ein Traum, ein Traum ist unser Leben … Und sind, und wissen’s nicht, in Mitte der Ewigkeit“, das ihm besonders wichtig war, drückt dies treffend aus.





Klaus Hornung und die JF

Mit einem Interview zur „Jugoslawisierung“ Europas und einer Kritik am totalen Parteienstaat hatte Klaus Hornung im März 1992 seinen ersten Auftritt in der JUNGEN FREIHEIT, noch vor ihrem Wochenzeitungsstart. Später war er als unser Kolumnist tätig, schrieb Aufsätze und Besprechungen. Zuletzt veröffentlichte er in diesem Jahr längere Texte über die postmarxistische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe und die kosmopolitische Illusion (JF 18/17) sowie zum Widerstand des 20. Juli über„Stauffenbergs Reichsverweser“ Ludwig Beck (JF30/17).