© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Laura Kipnis. Laut der Medienwissenschaftlerin erleben die US-Unis eine Hexenjagd
Paranoia auf dem Campus
Elliot Neaman

Nichts weniger als sexueller Verfolgungswahn wüte inzwischen an Amerikas Universitäten. Dort herrsche mittlerweile die Vorstellung, „hinter jeder Ecke lauere ein Triebtäter. Vor allem Professoren stehen unter Generalverdacht, sie gelten allesamt als potentiell übergriffig: Sexualstraftäter in Bereitschaft“, so die US-Publizistin Laura Kipnis. Und sie erntet dafür eine Flut von Kritik und Beschimpfungen im Netz. Das Besondere: Kipnis ist keine erklärte Konservative, sondern gilt als linksliberal. Kritik aus den „eigene Reihen“? Das schmerzt! Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit für ihr „brillantes“ (The Independent) Buch „Unwanted Advances. Paranoia Comes to Campus“ – das leider bisher nicht auf deutsch vorliegt. 

Aufgewachsen ist die 1956 in Chicago geborene Autorin von „Ungewollte Annäherungen“ – wie man den Titel übersetzen könnte – während der zweiten feministischen Welle, als es juristisch gesehen um Fragen der Gleichberechtigung in Familie und Arbeitswelt ging. Zum legislativen Vermächtnis dieser Zeit zählt ein als „Title IX“ bekanntes US-Bundesgesetz, Bestandteil des von Präsident Nixon 1972 unterzeichneten Gesetzes zur Gleichstellung im öffentlichen Bildungswesen, und das verlangt, niemanden wegen seines Geschlechts „von der Nutzung – von mit Bundesmitteln unterstützten Bildungsprogrammen – auszuschließen oder einer Diskriminierung auszusetzen“. 

Bevor ihr Buch in diesem Jahr erschien, hatte Kipnis, Professorin  für Medienwissenschaft an der Northwestern University in der Nähe ihrer Vaterstadt, einen Kommentar über „Sexuelle Paranoia auf dem Campus“ veröffentlicht. Danach mußte sie feststellen, daß „Titel IX“ inzwischen eine Mutation durchgemacht hat und als Waffe gegen die akademische Meinungsfreiheit eingesetzt wird: Ob ihres Kommentars mußte sie sich in einem Disziplinarverfahren gegen den Vorwurf verteidigen, ein „feindseliges Arbeitsklima“ verursacht zu haben. Nach einem Ermittlungsverfahren, das Kipnis mit der Spanischen Inquisition verglich, befand die Universität die Vorwürfe allerdings für haltlos. 

Resultat dieser Schikanierung ist „Unwanted Advances“, das angesichts der Kontroverse um Anschuldigungen sexueller Belästigung hochaktuelle Brisanz gewonnen hat. Einerseits begrüßt Kipnis, daß Frauen sich gegen eine Kultur des Machtgefälles zwischen den Geschlechtern auflehnen, in der der weibliche Körper „kolonisiert“ und als öffentliches Eigentum behandelt würde. Andererseits habe dies in der derzeitigen Hexenjagd gemündet, weshalb sie fordert, nicht nur das Problem der Übergriffe auf Frauen, sondern ebenso die Gefahr des Mißbrauchs eines solchen Vorwurfs als Waffe zu bedenken. Die Ankündigung des US-Bildungsministeriums, die Verfahrensregeln für „Title IX“-Anhörungen zu revidieren, ist insofern hochwillkommen.  

 www.laurakipnis.com