© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Die neue Freiheit
Vieles besser und manches anders machen: In der türkis-blauen Regierung Österreichs führt die FPÖ sechs Ministerien
Konrad Markwart Weiß

Die FPÖ regiert Österreich mit. Ihr Regierungseintritt hat die Partei schon lange davor zu wandeln begonnen. Als Morgengabe an einen künftigen Koalitionspartner wurden der Tonfall insgesamt entschärft und jene raren Funktionäre ausgeschlossen, von denen auch nur problematische Einlassungen ruchbar wurden. Dies gilt erst recht für jeglichen Antisemitismusverdacht, wie der umgehende Rückzug des profilierten Abgeordneten Johannes Hübner aufgrund von Unbotmäßigkeiten vergangenen Sommer zeigte; Provokationen wie jene von Haider sind heute vollends undenkbar. Die unermüdlichen Annäherungsversuche von Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer an Israel und jüdische Verbände in Österreich mögen im Vergleich zur letzten Regierungsbeteiligung eine Abmilderung der Proteste bewirkt haben; eine wirkliche Aussöhnung scheint trotz gemeinsamer Vorbehalte gegenüber Muslimen als den heutigen Trägern des Antisemitismus im Lande unerreichbar.

Strache wird die Partei   weiter disziplinieren

Sicherheit und Migrationskritik als urfreiheitliche Themen wurden von der ÖVP zuletzt gekapert und nun Kern des Regierungsprogramms. Echte Strukturreformen hingegen seien mit der ÖVP weiterhin nicht zu machen, so ein führender FPÖ-Verhandler. Auch von der Kernforderung nach direkter Demokratie ist wenig geblieben.

Entscheidend aber bleibt, ob es gelingt, die ideologisch hochgeschmeidige ÖVP zu jener Wende zu bewegen, die der Wählerauftrag eines mehrheitlich nicht linken Österreich fordert: Verteidigung des Eigenen gegen eine minoritäre, aber vor allem im Medien- und Kulturbetrieb erdrückende Linke. Trotz schmerzlicher Abstriche an der eigenen Programmatik: Das Ziel politischen Wirkens sei letztlich Regierungsverantwortung, der man sich angesichts gegenwärtiger Bedrohungslagen erst recht nicht entziehen dürfe – so der neue parlamentarische Fraktionschef Johann Gudenus.

Dessen Wechsel aus der Landespolitik in den Nationalrat, dem nunmehr keine wirklich systemkritische Fraktion mehr angehört, soll den Abgang der bisherigen freiheitlichen Frontmänner in Regierungsämter kompensieren, die diesmal mit erfahrenem und kompetentem Personal besetzt wurden – auch in Schlüsselressorts. Daß Strache selbst bemerkenswert uneitel darauf verzichtet hat, ein zentrales Ministerium zu übernehmen, ermöglicht ihm weiterhin wirksame Führung und allfällige Disziplinierung der Partei – auch hier hat man aus den früheren traumatischen Spaltungserfahrungen nach unausgesetzten Querschüssen aus den Ländern gelernt. Danach sieht es bei allgemeiner Zufriedenheit schon über den Regierungseintritt diesmal wirklich nicht aus; die starken Landesparteien sind personell direkt in die Regierungsverantwortung eingebunden. Alle übrigen Länder sind für innerparteiliche Opposition derzeit ohnehin zu schwach, was der Partei insgesamt aber demnächst weiteren Auftrieb geben dürfte: Bei den bevorstehenden Wahlen in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg geht die FPÖ von niedrigstem Niveau aus und darf auf massiven Stimmenzuwachs hoffen.

Ungemach droht aber 2020/21, wenn die Anfangseuphorie verschlissen sein und planmäßig in der Steiermark, Ober­österreich und Wien gewählt wird, wo es viel zu verlieren gibt – insbesondere in der Bundeshauptstadt, wo die ÖVP von einem historischen Tiefstand ausgeht. Insofern muß die FPÖ paradoxerweise darauf hoffen, daß die dortige rot-grüne Koalition den bevorstehenden Abgang des langjährigen Bürgermeisters und SPÖ-Vizeparteichefs Michael Häupl übersteht. Wien kommt noch einmal gesteigerte Bedeutung dadurch zu, daß ein Verlust ihrer absoluten Mehrheit die Marginalisierung der taumelnden Sozialdemokraten vollenden würde.

Apropos: Zumindest hinsichtlich ihrer mehrheitlich der Arbeiterschaft entstammenden Wähler hat die FPÖ mit der einstigen Honoratiorenpartei kaum mehr etwas gemein und firmiert als „Soziale Heimatpartei“. Der soziale Aspekt, auf dem die FPÖ ebenfalls „liefern“ muß, könnte sich mit der wirtschaftsliberalen ÖVP aufgrund ihrer Säulen Unternehmer-, Bauern- und Beamtenschaft als koalitionäres Problemfeld erweisen. Zweiter inhaltlicher Knackpunkt: Europa. Zwangsläufig mußten die Freiheitlichen als conditio sine qua non das diesbezügliche Evangelium der ÖVP nachbeten; Integrationsbestrebungen à la Merkel-Schulz-Macron und ein sich abzeichnendes Vorgehen gegen die „unsolidarischen“ Visegrád-Staaten könnten den Koalitionsfrieden beeinträchtigen – oder freiheitliche Grundpositionen: Der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament äußerte jüngst bezüglich der Mitgliedschaft in der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“, daß „kein Bündnis auf Lebenszeit Bestand“ habe.





Vizekanzler

Bundesminister für Beamte und Sport

Nachdem die FPÖ 2005 durch die Abspaltung des „Bündnis Zukunft Österreich“ mit Jörg Haider bis in ihre Grundfesten erschüttert wurde, übernahm Heinz-Christian Strache das Ruder. Als neuer Parteichef und Berufsjugendlicher verhalf er der FPÖ von einem damals einstelligen Wahlergebnis zu einer kontinuierlichen Aufwärtsbewegung und etablierte sie als ernstzunehmende Konkurrenz. In den zurückliegenden Jahren mäßigte der 48jährige das Auftreten der Partei. Als Jugendlicher war Strache in einer schlagenden Pennäler-Burschenschaft und nahm an einer Art Wehrsportübung teil. In seine zweite Ehe brachte er zwei Kinder aus erster Ehe ein. Die politische Karriere des gelernten Zahntechnikers begann 1991 als Bezirksrat in Wien. (vr)





Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

Seine politische Karriere begann Norbert Hofer (46) als Wahlkampforganisator im Burgenland, stieg zum Nationalratsabgeordneten auf und wurde schließlich Vizeparteichef und damit rechte Hand von Heinz-Christian Strache. Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 kandidierte er gegen Alexander Van der Bellen und verhalf der FPÖ so zu einem enormen Zulauf. Der in zweiter Ehe verheiratete Flugtechniker (vier Kinder) kündigte gleich nach seiner Vereidigung erste Pläne an: Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsflusses stehen dabei ganz oben. Das Tempolimit soll angehoben werden – auf Österreichs Autobahnen gilt derzeit eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern – und das Rechtsabbiegen bei Rot getestet werden. (vr)





Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen

Mit reichlich Erfahrung in der Privatwirtschaft ist Beate Hartinger neben Kneissl das neue weibliche Aushängeschild der FPÖ-Regierung. Die Wirtschaftswissenschaftlerin war sowohl als Steuerberatin als auch Bereichsleiterin im Controlling für die steirischen Krankenhäuser tätig. Für die Freiheitlichen ist sie dennoch kein unbeschriebenes Blatt. Als Abgeordnete vertrat sie die Partei von 1999 bis 2002 im Nationalrat. Ein Jahr nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament übernahm die 58jährige die Geschäftsführung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger. Diese sollen nun unter ihrer Führung verschlankt werden. Eine Zusammenlegung der bestehenden Träger wurde im Regierungsprogramm festgehalten. (vr)





Bundesminister für Inneres

Der oft als „Mastermind der FPÖ“ bezeichnete Arbeitersohn aus Kärnten ist so etwas wie der Heiner Geißler von rechts. Herbert Kickl schrieb schon Reden für den damaligen Parteichef Jörg Haider. Nach der Abspaltung des BZÖ trennten sich deren Wege. „Kickl sieht ungefähr so bedrohlich aus wie Reinhard Mey“, charakterisierte ihn 2009 der Standard. Als langjähriger Generalsekretär und Kommunikationschef der FPÖ textete Kickl indes Slogans wie „Daham statt Islam“ und „Pummerin statt Muezzin“ oder „Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemand gut“. Kickl (49) studierte Philosophie und Politikwissenschaft, ohne abzuschließen. 2006 zog er in den Nationalrat ein und wurde Fraktions-Vize. Beim politischen Gegner gilt er als scharf polarisierender Redner. (ru)





Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres

Die parteilose Karin Kneissl (52) studierte Jura und Arabistik und absolvierte unter anderem die französische Eliteuniversität und Kaderschmiede École nationale d’administration (ENA). Durch die Arbeit ihres Vaters – er war Pilot König Husseins von Jordanien – verbrachte sie zeitweise ihre Kindheit in Amman. Die polyglotte Kneissl trat 1990 in den diplomatischen Dienst, arbeitete unter anderem in den Botschaften Paris und Madrid und im Völkerrechtsbüro des Außenministeriums. Ab 1998 war sie freiberuflich tätig und machte sich als Lehrbeauftragte für Völkerrecht und Geschichte des Nahen Ostens sowie als freie Journalistin für deutsch- und englischsprachige Medien einen Namen als Nahost-Kennerin. (ru)





Bundesminister für Landesverteidigung

Nur wenige Tage nach der Vereidigung des neuen Verteidigungsministers wurde ein lange umkämpftes Ziel der Freiheitlichen umgesetzt: die Eliteschule des Bundesheeres, das Militär­oberstufenrealgymnasium in Wiener Neustadt soll erhalten bleiben. Nicht zuletzt machte dies der steirische Unteroffizier Mario Kunasek in seinem neuen Amt möglich. Der frühere FPÖ-Landeschef in der Steiermark ist Berufssoldat und bestach ähnlich wie sein Kollege Norbert Hofer durch einen wesentlich neutraleren Ton als die Parteispitze. In seiner Antrittsrede nannte der 41jährige als erste Schwerpunktvorhaben, den österreichischen und europäischen Grenzschutz zu verbessern sowie in die Infrastruktur des Bundesheeres zu investieren. (vr)

Foto: Vereidigung der neuen österreichischen ÖVP/FPÖ-Koalitionsregierung in der Wiener Hofburg am 18. Dezember durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen (10. v. l.): Unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (9. v. l.) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (8. v. l.) gehören Sicherheit der Bürger und ein anderer Kurs in der Einwanderung zum Kern des Regierungsprogramms