© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

„Das Wohl des Landes im Auge behalten“
Spanien/Katalonien: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Bange Blicke nach Madrid, Brüssel und Barcelona
Michael Ludwig

Optimisten hatten gehofft, daß mit den Wahlen am 21. Dezember die katalanische Krise eingehegt werden könnte, Realisten tippten auf das Gegenteil – nichts, so fürchteten sie, wird die Abstimmung an Verbesserung bringen, im Gegenteil: Katalonien wird erst recht unregierbar werden. In diesen Tagen sieht es so aus, als würden die Realisten recht behalten. Die Parteien, die für eine Abspaltung der  wohlhabenden Provinz im Nordwesten der Iberischen Halbinsel vom spanischen Mutterland geworben hatten, schafften es, im Parlament von Barcelona 70 Mandate zu erringen und damit die absolute Mehrheit. Aber sie ist mit zwei Sitzen hauchdünn.

Bis zum Schluß hatten die Blöcke der Unabhängigkeitsbefürworter und der Gegner einer Loslösung von Madrid erbittert um Stimmen gekämpft. Katalonien ist in dieser Frage völlig zerrissen – die Hälfte der Bevölkerung will, daß ihre Provinz eigene Wege geht, die andere ist dafür auf keinen Fall zu haben.

„Selbstbestimmung mit Stiefeln getreten“

Die Spaltung geht quer durch Familien, durch die Belegschaft von Fabriken und die Angestellten in Büros. Katalanen, die seit Generationen in der Provinz ansässig und traditionsgemäß auf Madrid nicht gut zu sprechen sind, sehen sich mit Zuwanderern aus den armen Regionen Andalusiens und der Extremadura konfrontiert, die in den 1960er und 1970er Jahren auf der Suche nach Lohn und Brot hierher kamen und sich nach wie vor ausschließlich als Spanier fühlen.

Am besten läßt sich die Stimmungslage anhand der Polizeien festmachen – Guardia Civil und Policía Nacional werden von den Gegnern einer Abspaltung stets mit Applaus begrüßt, weil man sich von ihnen beschützt fühlt. Katalanen sehen in den Madrid unterstellten Ordnungskräften potentielle Feinde, die das Recht auf Selbstbestimmung mit Stiefeln treten. Sie vertrauen lieber ihrer katalanischen Polizei, den Mossos, die wiederum vom politischen Gegner als parteiisch gefürchtet und bekämpft werden.

Um die brennende Lunte am katalanischen Pulverfaß zu löschen, setzte Madrid die Regierung in Barcelona mit dem Hinweis, sie habe die Verfassung gebrochen, ab und ordnete Neuwahlen an. Doch der Sieg der drei Unabhängigkeitsparteien – der bürgerlichen Liste „Gemeinsam für Katalonien“, der linksrepublikanischen ERC und der linksradikalen CUP – wird, so steht zu vermuten, nicht aus der politischen Sackgasse herausführen, in der sich die Provinz befindet. In einer ersten Stellungnahme betonte der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy, daß er zwar zu Verhandlungen bereit sei, dies aber nur im Rahmen der Verfassung – und die verbietet eine Unabhängigkeit Kataloniens.

Was also wollen die katalanischen Parteien, die sie anstreben, tun? Sollten sie ein zweites Mal versuchen, die Unabhängigkeit auszurufen, wird die Zentralregierung in Madrid ohne mit der Wimper zu zucken, den Verfassungsartikel 155 erneut in Kraft setzen, um Katalonien unter staatliche Zwangsverwaltung zu stellen. 

Die beiden wichtigsten Oppositionsparteien im Madrider Parlament, die sozialistische PSOE und die bürgerlichen Ciudadanos, haben bereits angekündigt, die Regierung bei diesem Schritt zu unterstützen. Aus den Kreisen der konservativen Regierungspartei PP heißt es, daß dann die Rechte der autonomen Regierung in Barcelona noch mehr beschnitten würden, als dies bisher der Fall sei. „Das wird dann richtig weh tun“, heißt es in der Hauptstadt. 

Völlig ungeklärt ist auch, wie sich das neue katalanische Parlament konstituieren soll. Der frühere katalanische Regierungschef Carles Puigdemont, der sich im belgischen Exil befindet, muß bei einer Rückkehr nach Spanien mit seiner sofortigen Verhaftung rechnen, sein Vize Oriol Junqueras sitzt bereits wegen Aufruhrs und Rebellion im Gefängnis. Sechs weitere gewählte Abgeordnete sind ebenfalls ins Ausland geflüchtet oder in Haft, gegen eine Reihe weiterer Spitzenpolitiker der Unabhängigkeitsbefürworter wird staatsanwaltschaftlich ermittelt. Gelingt es bis Anfang April nicht, eine Regierung zusammenzustellen, wird das Parlament automatisch aufgelöst, und es kommt – wieder einmal – zu Neuwahlen.

Furcht in Madrid: Bürgerliche starten durch 

Der Schatten Kataloniens droht auch die Zukunft der konservativen Zentralregierung zu verdunkeln. Unbestrittene Gewinner der katalanischen Wahlen sind die bürgerlichen Ciudadanos mit ihrer Spitzenkandidatin Inés Arrimadas. Der 36jährigen Juristin ist es gelungen, 37 Mandate zu erobern und damit zur wichtigsten Oppositionspartei zu werden. Rajoys Partido Popular stürzte von elf Sitzen auf lediglich vier ab, eine verheerende Niederlage. 

Nun geht in Madrider Regierungskreisen die Angst um, daß die Ciudadanos auch bei anderen Wahlen ähnlich erfolgreich abschneiden könnten, was den Partido Popular in arge Bedrängnis bringen würde.

Um die verfahrene Situation zu beruhigen, hat König Felipe VI. in seiner Weihnachtsansprache alle politischen Kräfte dazu aufgerufen, das Wohl des Landes im Auge zu behalten. „Niemand wünscht sich ein gelähmtes oder gleichgeschaltetes Spanien“, sagte der Monarch vor laufender Kamera. Er rief dazu auf, die Werte des Rechtsstaates zu respektieren und zu schützen, dazu sei es notwendig, die Verfassung anzuerkennen. Politische Beobachter werteten die Rede des Königs als einen versteckten Aufruf, Reformen anzuschieben, die das Land brauche. Konkret bedeutet das, daß Spanien seine Verfassung überarbeiten soll, um den Provinzen mehr Bewegungsfreiheit zuzugestehen, und damit  eine Krise wie die gegenwärtige um Katalonien in Zukunft zu vermeiden.