© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Tierischer Ureinwohner kehrt heim
Eine Bestandsaufnahme des größten Landsäugers in Europa und Amerika / Jagd in Polen und Weißrußland
Volker Kempf

Über 89 Millionen Rinder gibt es derzeit in der EU. Ein gutes Fünftel davon wird in Frankreich gehalten. Deutschland liegt mit 12,4 Millionen Stück Hornvieh nur auf Rang zwei. 1990 waren es hingegen noch 19,5 Millionen Tiere. In den USA wuch der Rinderbestand innerhalb von drei Jahren von 95 Millionen auf jetzt 103 Millionen Stück. Um den Bestand dieser hochgezüchteten Hausrinder (Bos primigenius taurus, die domestizierte Form des eurasischen Auerochsen), müssen sich Artenschützer daher keine Sorgen machen.

Anders sieht es mit den sogenannten Eigentlichen Rindern (Bos) aus. Zu ihnen zählen der Amerikanische Bison (Bos bison bison) und der europäische Wisent (Bos bonasus). Beide Wildrinder können zur Gattung der Bisons gezählt werden. Dies wurde durch molekulargenetische Untersuchungen im Jahre 2004 aber angezweifelt, in einer späteren Untersuchung dann wieder erhärtet. Dieser Widerspruch kann mit der Annahme einer Dominanz der prähistorischen Bison-Bullen aufgelöst werden. Letztlich gilt die Abgrenzung aber bis heute als strittig. Der Wisent war im Hochmittelalter in Mittel- und Osteuropa verbreitet und wurde im 20. Jahrhundert auf Reliktpopulationen reduziert. Als ausgestorben gilt der einst bis 1,6 Meter große, in Europa vorkommende Bergwisent (Bos caucasicus). Sichere Nachweise für den Bergwisent liegen erst für das 18. Jahrhundert mit Vorkommen im Kaukasus vor. 1890 wurde der Bestand auf 450 bis 500 Tiere geschätzt. Das letzte Verbreitungsgebiet war ein großes Jagdreservat der Zaren.

Als mit dem Ersten Weltkrieg und in der folgenden Revolutionszeit das staatliche Gewaltmonopol zusammengebrochen war, jagten Wilderer die Tiere. Eine eingeschleppte Maul- und Klauenseuche reduzierte den Bestand auf letztlich etwa 50 Tiere im Jahr 1920. 1924 wurde zwar ein Schutzgebiet errichtet, was aber zu spät kam. Das letzte Bergwisent wurde 1927 von Wilderern im Kaukasus-Naturreservat, Rußland, erlegt. Augenfälliges Merkmal des Bergwisents war sein dunkles, gelocktes Fell; auch die Mähne und Kinnbehaarung war kürzer als beim nächsten Artverwandten, dem etwas größeren Flachlandwisent (Bos bonasus), der bis zu 1,85 Meter groß und 840 Kilogramm schwer wird.

Alle heute in Europa lebenden Wisente stammen von zwölf in Zoos und Gehegen gepflegten Tieren ab. Die daraus folgende niedrige genetische Variabilität gilt als eine der größten Gefahren für den langfristigen Erhalt der Art. In zwei der drei bestehenden Zuchtlinien des Wisents, der Flachland-Kaukasuslinie und der Hochlandlinie ist noch Erbgut des Bergwisent eingegangen. Keine 2.000 freilebenden Individuen des Flachlandwisents soll es noch geben.

Eingewandertes Wisent in Brandenburg erschossen

Auch hier spielt Rußland eine zentrale Rolle, wo bis zum Zusammenbruch des Ostblocks noch 1.400 Wisente nördlich des Kaukasus lebten. Mit den politischen Wirren um 1989/1990 reduzierte sich der Bestand auf 240 Exemplare, der sich aber wieder auf über 500 leicht erholt hat. In der Slowakei, Polen, Rumänien sowie Weißrußland und der Ukraine gibt es ebenfalls noch Bestände.

Ein im September 2017 über Polen nach Deutschland eingewandertes Wisent wurde auf Anordnung des Ordnungsamtes Lebus (Landkreis Märkisch-Oderland) erschossen. Die Umweltstiftung WWF machte einen Verstoß gegen das Naturschutzgesetz geltend und stellte Strafanzeige. In der Borker Heide (Puszcza Borecka/Ostpreußen) und der Belowescher Heide (Puszcza Bialowieska/Weißrußland) dürfen Wisente bei organisierten Jagdreisen hingegen in kleiner Zahl geschossen werden.

Etwas mehr Glück als der ausgestorbene Bergwisent hatte der amerikanische Waldbison (Bos bison athabascae). In den Jahren zwischen 1925 und 1928 wurden zwar über 6.000 zum Teil mit Milzbrand und Tuberkulose infizierte Präriebisons in den Wood-Buffalo-Nationalpark, Kanada, gebracht, wo sie mit den dort heimischen letzten Waldbisons zusammenkamen und infolge der Erkrankung als ausgelöscht galten. Aber 1957 wurde im abgelegenen Nordteil des Parks eine reinblütige, nicht infizierte Herde von etwa 200 Waldbisons entdeckt.

Zwei Dutzend dieser Tiere wurden jeweils in den Elk-Island-Nationalpark südlich des Athabascasees und in das dafür geschaffene Mackenzie-Bisonschutzgebiet nördlich des Großen Sklavensees gebracht. Der Bestand soll mittlerweile über 2.000 genetisch homogene Waldbisons zählen. Der Präriebison soll in den USA – bedingt durch die Gründung des Yellowstone-Nationalparks und des Wood-Buffalo-Nationalparks in den Jahren 1872 und 1922 – einen Bestand von ungefähr 30.000 Bisons aufweisen. Vor Ankunft der Europäer sollen es 30 Millionen gewesen sein.

Der Amerikanische Bison wird bis zu 1,86 Meter groß und mit etwa 900 Kilogramm auch etwas schwerer. Ihn kennzeichnet ein ausgeprägter Buckel mit dunkelbrauner Behaarung, wobei sich Prärie- und Waldbison recht ähnlich sehen. So liegt der höchste Punkt des Buckels beim Waldbison weiter vorne als beim Präriebison, die Schwänze sind unterschiedlich lang, und die Fellfarben weichen voneinander ab. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) stuft diesen Bison als potentiell gefährdet ein, und er gilt seit 2016 – neben dem Weißkopfseeadler – als Nationaltier der USA. Die prekäre Geschichte des Bisons und des Wisents zeigt, wie wichtig staatliche Schutzmaßnahmen sind. Das gilt für den Erhalt von Lebensräumen ebenso wie für den Schutz von Wildtieren vor Wilderern.

Anbieter von nachhaltigen Wisent-Jagden:  www.jagdreisen-schrum.de  westfalia-jagdreisen.de





Wildherden in Deutschland

Der europäische Bison, wie das Wisent auch genannt wird, hat an mehreren Orten in Deutschland wieder eine Heimat gefunden. Ein Wisentbestand von acht Tieren wurde 2013 im Rothaargebirge des Landkreises Siegen-Wittgenstein angesiedelt. Die Population hat im November eine Größe von 23 Tieren in dem sehr weitläufigen Wald­areal erreicht. In der nahe gelegenen „Wisent-Wildnis“ kann eine Herde mit elf Tieren leicht besichtigt werden. Die sanften Riesen leben hier in einem 20 Hektar großen begrenzten Gebiet. Ähliche Anlaufstellen zur Beobachtung des schwersten Landsäugetiers in Europa gibt es im Berliner Umland. Der Wildpark Schorfheide im Norden Berlins wie der ehemalige Truppenübungsplatz Döberitzer Heide im Südosten bieten die Möglichkeit, neben dem ehemals für ausgestorben gehaltenen Takhi (Przewalski-Pferd), Wisente in einer naturnahen Atmosphäre zu besichtigen.

Wisentgehege in Deutschland:

 www.wisent-welt.de

 www.wildpark-schorfheide.de

 www.sielmann-stiftung.de