© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

„Und dann war die Hölle los“
Claudia Zimmermann war über zwanzig Jahre eine erfolgreiche WDR-Journalistin. Bis sie in einem holländischen Radiosender offen von einer politischen Tendenz in den deutschen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien sprach
Moritz Schwarz

Frau Zimmermann, warum ist Ihre Karriere als WDR-Journalistin seit 2016 vorbei?

Claudia Zimmermann: Ich habe den Fehler gemacht, meinem Arbeitgeber zu vertrauen. Heute weiß ich, ich hätte mir sofort einen Anwalt nehmen müssen. 

Sie sind menschlich enttäuscht? 

Zimmermann: Sehr! Oder sagen wir, heute bin ich klüger. 24 Jahre habe ich für den WDR gearbeitet. Wir waren dort alle per du. Nun weiß ich, daß das weniger zu bedeuten hat, als ich dachte – und wer von meinen ehemaligen Kollegen meine echten Freunde sind. Beziehungsweise von wem ich fälschlicherweise glaubte, sie wären meine Freunde. 

Anfang 2016 hatten Sie in einer Talksendung des niederländischen Radiosenders L1 über Ihre Erfahrungen mit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung in der Flüchtlingskrise gesprochen.

Zimmermann: Und am nächsten Morgen war die Hölle los. Mein Mann und ich schliefen noch, da kam ganz früh ein Anruf, ich hätte sofort in die Redaktion zu kommen. Was ich da angerichtet hätte! Ich wußte gar nicht, was los ist und mußte erst googeln, um zu verstehen. 

Es ging um Ihre Äußerung bei L1: „Wir sind ein öffentlich-rechtlicher Sender, das heißt, es gibt verschiedene Kommissionen, die bestimmen, wie unser Programm aussehen muß. Und es ist natürlich wohl vernünftig, ein bißchen pro Regierung zu berichten.“

Zimmermann: Ich habe das gesagt, weil ich es so erlebt habe. Auch hat mich nie jemand aufgefordert, darüber zu schweigen. Gut, ich hätte mir denken können, daß dies erwartet wird. Aber ich bin eben überzeugt von der freien Meinungsäußerung. Als ich beim WDR ankam, wurde ich schon zum Empfang mehr oder weniger angeschrien: „Wo bleibst du? Sofort in die Redaktion!“ Dort traf ich die Studioleiterin und ihren Vize, die eine Telefonkonferenz mit der Chefredaktion schalteten. Ich sollte erklären, dann den Raum verlassen – warten, was beratschlagt wurde, wieder rein, wieder raus. Dann sollte ich eine Presseerklärung unterschreiben. 

Hat man Sie unter Druck gesetzt? 

Zimmermann: Nein, aber dennoch war Druck da, durch die Atmosphäre, die Vorwürfe, die Aufregung über mich. Ich war fertig mit den Nerven. 

In der Mitteilung erklärten Sie: „Ich habe an dieser Stelle Unsinn geredet. Unter dem Druck der Live-Situation habe ich totalen Quatsch verzapft. Ich bin niemals als freie Journalistin aufgefordert worden, tendenziös zu berichten oder einen Bericht in eine bestimmte Richtung zuzuspitzen.“

Zimmermann: Ich habe diesen Text zwar abgesegnet, aber nicht selbst geschrieben. Etwa: „Ich habe totalen Quatsch verzapft.“ So würde ich mich nie ausdrücken, das ist nicht meine Sprache. Vor allem aber hat die Pressemitteilung einen völlig falschen Eindruck erweckt. 

In welcher Hinsicht?

Zimmermann: Sie hat, wie ich später feststellte, den Anschein erzeugt, ich würde meine Aussage – „wir sind sehr wohl angewiesen, ein bißchen pro Regierung zu berichten“ – widerrufen. Das aber war nie meine Absicht. 

Warum haben Sie sie dann unterschrieben?

Zimmermann: Es hieß, ich hätte dem Sender geschadet. Das war natürlich nie meine Absicht. So wollte ich helfen, den Schaden einzudämmen, falls wirklich welcher entstanden sein sollte. Ich habe in diesem Moment aber nicht durchschaut, welches Spiel der WDR trieb. 

Inwiefern?

Zimmermann: Dem Sender ging es nicht darum, den Fall zu klären, sondern, wie er es verstand, sein Gesicht zu wahren. Dazu hat er meine Kooperationsbereitschaft ausgenutzt. Ich sage ja, mein Fehler war vertrauensvoll auf eine gemeinsame Lösung zu setzen, statt einen Anwalt zu nehmen.

„Wir sind sehr wohl angewiesen, ein bißchen pro Regierung zu berichten.“ Oder: „Ich habe Unsinn geredet ... Ich bin niemals aufgefordert worden, tendenziös zu berichten.“ Was stimmt denn nun? 

Zimmermann: Moment! Es ging zunächst um den ersten Teil meiner Aussage bei L1, nämlich: „Wir sind ein öffentlich-rechtlicher Sender, das heißt, es gibt verschiedene Kommissionen, die bestimmen, wie unser Programm aussehen muß.“ Ich habe damit versucht, den holländischen Hörern die Rolle des Rundfunkrates im öffentlich-rechtlichen System zu erklären. Ich gebe zu, der Versuch, das mit einem Satz zu tun, ging daneben. Darauf – und nur darauf – bezieht sich meine Korrektur: „Ich habe an dieser Stelle Unsinn geredet.“ Ich wollte so einfangen, was offenbar falsch rübergekommen war. In Deutschland aber wurde die Korrektur auch auf meine zweite Aussage „Wir sind sehr wohl angewiesen, ein bißchen pro Regierung zu berichten“ bezogen. Das aber war nicht meine Intention. Im Gegenteil, dieser Satz trifft zu und ich stehe zu ihm! 

Und wie paßt das zu Ihrem weiteren Dementi: „Ich bin niemals aufgefordert worden, tendenziös zu berichten oder Berichte in eine bestimmte Richtung zuzuspitzen.“

Zimmermann: Jetzt sind wir beim springenden Punkt: Der WDR wollte diesen Satz unbedingt in der Pressemitteilung haben. Und ich habe ihn unterschrieben – weil er zutrifft. 

Aber wie paßt das zusammen? 

Zimmermann: Merken Sie das nicht, Herr Schwarz? Ich hatte doch nie behauptet, zu tendenziöser Berichterstattung „aufgefordert“ worden zu sein.

Sie haben bei L1 das Verb „angewiesen“ gebraucht, ist das nicht das gleiche?

Zimmermann: Das Problem ist die deutsche Übersetzung. Im Original,  das sich jeder bei Youtube anhören kann,  sage ich „aangewezen“. Das bedeutet, daß es vernünftig ist, etwas zu tun. Das meint  nicht, daß ich „aufgefordert“, sondern daß das „erwartet“ wurde. Die Pressemitteilung hat also etwas „richtiggestellt“, was ich gar nicht gesagt habe. Und hat fatalerweise gerade dadurch den Eindruck erweckt, dies sei gemeint gewesen! Es wurde dann sogar von einer „Anweisung“ gesprochen. Das habe ich nicht gesagt!  – Ich sage ja, ich würde sie heute so nicht mehr unterschreiben. 

Bitte erklären Sie den Unterschied. 

Zimmermann: Gern, aber dazu muß ich erklären, wie mein Arbeitsverhältnis funktioniert hat. Ich gehörte zu den sogenannten „Festen Freien“ des WDR. Heißt: Man hat einen Vertrag, auch eine Lohnsteuerkarte, aber kein Recht auf festes Gehalt, sondern wird pro Auftrag bezahlt. Solche kommen zustande, indem der Journalist dem Sender Themen vorschlägt, die dieser annimmt – manchmal auch andersherum. Im Schnitt machte ich pro Woche zehn Vorschläge, von denen acht eingekauft wurden. Damit gehörte ich übrigens zu den gefragtesten beim WDR. Wie kommt nun die Tendenz zustande? Sehr einfach: Der Sender akzeptiert nur Themen, die dieser Tendenz entsprechen. Der Journalist lernt: Wenn ich Geld verdienen will, brauche ich mit einem Vorschlag, der nicht der Tendenz entspricht, gar nicht zu kommen. Und was die Flüchtlingspolitik angeht, wurde schnell klar, daß der WDR an positiven und nicht an negativen Geschichten interessiert war: Berichte im Sinne der Grenzöffnungspolitik der Bundesregierung und des „Wir schaffen das“. 

Und das war allen Journalisten klar? 

Zimmermann: Ja, ich habe nur ausgesprochen, was jeder wußte: Daß sich viele Journalisten über die Jahre unausgesprochen selbst einen Maulkorb verpaßt haben. Wir alle haben einen Teil der Tatsachen verschwiegen und uns mehr oder weniger der Euphorie gegenüber der Willkommenskultur angeschlossen. Im Juli hat das eine Studie des Medienwissenschaftlers Michael Haller auch offiziell bestätigt, die er mit der Universität Leipzig und der Hamburg Media School erstellt hat. 

Der WDR dementiert aber Ihre Behauptung, Ihnen sei deshalb gekündigt worden.

Zimmermann: Das habe ich nie behauptet. Mir kann auch nicht gekündigt werden, da ich nur beschäftigt werde, wenn man meine Themen einkauft. Mein Vorwurf lautet, daß er mich, um mich zu bestrafen, nicht weiter beschäftigt hat, indem plötzlich keines meiner Themen mehr angenommen wurde. 

„Es ist nachweislich nicht richtig, daß Frau Zimmermann seitdem keine Aufträge mehr erhalten hat“, so der WDR. 

Zimmermann: Daß ich nicht lache! Ja, stimmt: Zwei 30-Sekünder von mir wurden noch gekauft. Und selbst das war nach meinem Eindruck ein Versehen –  was ich am Verhalten der Studio­leitung gemerkt habe. Vorher waren es, wie gesagt, im Schnitt acht Mehrminüter pro Monat! Nicht einmal meinen alljährlichen Bericht über die „European Fine Art“-Messe nahm man noch, obwohl der bis dahin jedes Jahr praktisch automatisch gebucht war und alle im Haus wußten: Das macht Claudia ! Der WDR hat den Vertrag nicht gebrochen, aber er hat mich am ausgestreckten Arm verhungern lassen. So läuft das!   

Sie sagen, die Redakteure vermitteln den Journalisten die gewünschte Tendenz durch ihre „Einkaufspolitik“. Wer aber vermittelt sie den Redakteuren? 

Zimmermann: Letztlich kommt das aus der Politik und wird via Rundfunkrat in die Redaktionen transportiert. Das heißt jedoch nicht, daß es direkte Anweisungen der Politik gibt – das ist nicht der Fall! Aber es gibt unterschwelligen Einfluß, eine politische Tendenz, über die man sich einig ist, die stillschweigend vorausgesetzt wird, allen Beteiligten klar ist. Ein allzu kritischer Auslandskorrespondent etwa kriegt vom Auswärtigen Amt eine negative Eintragung und wird womöglich kaltgestellt. Das heißt nicht, daß es nicht auch kritischen Journalismus gäbe. Auch die Öffentlich-Rechtlichen haben etliche Freiheiten gegenüber der Politik. Aber bei gewissen Themen herrscht Einigkeit, daß sie tabu sind. 

Rechte Themen? 

Zimmermann: Ich weiß nicht, ob man das so einfach sagen kann. Ich weiß es wirklich nicht. Das müßte ich genauer recherchieren. 

Haben sich die Verhältnisse seit der Kölner Silvesternacht nicht gebessert?

Zimmermann: In Sachen Bejubelung der Flüchtlingspolitik ja, aber sonst, nein, im Gegenteil. Sehen Sie, zum Beispiel kommen immer noch täglich jede Menge Flüchtlinge an. Doch darüber wird kaum mehr berichtet. Nach meiner Einschätzung sind fast alle – meist junge Männer – , die nach Deutschland kommen, Wirtschafts-„Flüchtlinge“. Damit will ich sie nicht verurteilen. Sie und ich würden womöglich das gleiche versuchen, lebten wir in Nigeria oder Afghanistan. Syrer, die wegen des Krieges fliehen, wären auch in Jordanien sicher, aber da gibt es wirtschaftlich kaum Perspektiven. Dies sollten Politik und Medien allerdings ehrlich kommunizieren. Vor meiner Kaltstellung wurde ich in Aachen zufällig Zeuge, als ein paar  „Flüchtlinge“ Mädchen an den Haaren zogen. Ich ging dazwischen, vertrieb die Jungs. Ein Mädchen weinte, ich schlug ihr vor, zur Polizei zu gehen. Sie lehnte ab: es nütze doch nichts, die Jungs belästigten sie ständig, machten sie an, zögen ihr an den Haaren und beschimpften sie als „Nazi“, wenn sie wagte, sich zu wehren. Ich hatte daraufhin weitere solche Fälle recherchiert und bot dem WDR einen Bericht an. Antwort: Bloß nicht, das stärkt nur Pegida! Oder: Eine Kollegin machte einen Fernsehbericht über einen Rathaus-Einbruch. Letzter Satz: Auch Paßunterlagen wurden gestohlen. Ich sprach die Kollegin an: Aber eben um die ging es doch dabei! Warum wird das also nicht im ersten Satz, sondern nur en passant im letzten erwähnt? Antwort: So habe sie den Bericht ursprünglich auch aufgebaut, mußte ihn aber auf Anweisung umarbeiten. Ich habe in ganz Deutschland recherchiert, es gibt jede Menge Rathaus-Einbrüche, und es geht den Dieben dabei fast immer um die Paßunterlagen, aber das wird fast nie so dargestellt – es sind einfach nur „Einbrüche“. Daß es um die Blanko-Pässe geht, wird gezielt nicht berichtet! Auf eine Stellungnahme der Pressestelle des BKA warte ich bis heute.

Wenn stimmt, was Sie sagen, wie ist dann zu erklären, daß Sie die einzige sind, die das Schweigen gebrochen hat? 

Zimmermann: Die Kollegen wollen eben ihren Job behalten – ich kann das verstehen. Sie haben ja nun alle gesehen, was mit jemandem wie mir passiert. Aber natürlich gibt es auch welche, denen das Ganze gewaltig stinkt.

Wie hoch würden Sie deren Anteil unter den deutschen Journalisten schätzen?  

Zimmermann: Schwer zu sagen, vielleicht zehn, zwanzig Prozent, vielleicht auch mehr. Ich kann ja nur von meinen Erfahrungen sprechen und von den Kollegen, die sich heimlich mir gegenüber äußern. 

Ist das nicht bestürzend wenig?

Zimmermann: So ist es aber leider. Und was meinen Fall betrifft: Selbst die Kollegen, die noch Kontakt mit mir pflegen, tun das oft nur heimlich. Fast keiner kann es offen tun, es würde zu Nachteilen führen. Treffe ich so einen Kollegen etwa in Begleitung anderer, ignoriert er mich. Nur unter vier Augen kann er mit mir sprechen. Und in meiner Lage muß ich sagen: Immerhin! So weit geht das. 

Warum gehen Sie nicht zu einem anderen Sender, zum Beispiel zum ZDF?

Zimmermann: Meinen Sie das ernst? Die würden keinen Beitrag mehr von mir einkaufen. Mich nimmt kein Mainstream-Medium mehr. Die kennen sich untereinander. In Deutschland habe ich wohl keine Chance mehr. 

Wovon leben Sie?

Zimmermann: Von meinem Ersparten und vom Verkauf meiner Bücher. Inzwischen berichte ich öfter für US- und andere ausländische Medien über die Situation in Deutschland. Ich halte auch Vorträge zu Medien- und Finanzthemen. 

Reicht das?

Zimmermann: Ich muß mich einschränken, aber es geht.   

Ist nach Ihren Erfahrungen der Vorwurf „Lügenpresse“ gerechtfertigt?

Zimmermann: Nein, das geht mir zu weit. Es wird ja weniger gelogen als vielmehr verschwiegen und verzerrt. Die Situation ist in Deutschland für Journalisten schwieriger geworden. Vor Jahren war das nicht so schlimm, da konnte man ausgewogener berichten. Die Pressefreiheit steht gewaltig unter Druck. Wer zu kritisch ist oder unbequem, dem werden Rechte genommen, denken Sie an den G20-Gipfel, wo Akkreditierungen ohne Grund entzogen wurden. Da hat es kaum einen lauten Aufschrei oder Protest von seiten der Kollegen oder Medien gegeben. Kollegen aus dem Ausland wundern sich darüber, daß das Bundespresseamt kritische Fragen nicht beantwortet, das haben mir einige Kollegen großer internationaler Medien geschrieben. Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, daß man wegen der Wahrheit – überhaupt wegen eines einzigen Satzes – fertiggemacht wird. Dennoch bin ich aber froh, heute frei zu sein.






Claudia Zimmermann, arbeitete zunächst für die Funke-Mediengruppe, dann in der Presseabteilung der Lufthansa, bevor sie 1992 zum WDR wechselte. Geboren 1961 in Aachen, aufgewachsen in den Niederlanden, studierte die Diplom-Journalistin an der Uni München in Zusammenarbeit mit der Deutschen Journalistenschule und an der Hochschule für Fernsehen und Film. Sie schrieb etliche Bücher, darunter eines für Time-Life. 2017 erschien:  „Terroristen der Finanzmärkte. Wie kriminelle Online-Broker Milliarden stehlen“ (Books on Demand)

Foto: Fotografen erzeugen mediale Bilder: „Lügenpresse – dieser Begriff geht mir zu weit ... aber sehr wohl sind wir angewiesen, ein bißchen pro Regierung zu berichten.“

 

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