© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Innerliche Distanz
Konflikt um die Ausrichtung: Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden steht an einem Scheideweg / Im Frühjahr soll eine Ausstellung über Geschlechterrollen und Gewalt eröffnen
Paul Leonhard

Diese Fragestellungen hätte man in Dresden eher im Deutschen Hygiene-Museum als im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr vermutet: Entsprechen die traditionellen Vorstellungen von „männlichem“ und „weiblichem“ Verhalten und Empfinden tatsächlich der Natur des Menschen? Sind Männer die „vollziehende Gewalt“ in einem Gesellschafts- und Partnerschaftssystem, dem eine evolutionäre Arbeitsteilung zugrunde liegt oder zerbrechen diese traditierten Ordnungssysteme an der Lebensrealität und den Anforderungen einer modernen Welt? Und sind feste Geschlechterrollen ausschließlich soziale Konstruktionen, die zwischen den Individuen auch ganz anders ausgehandelt werden könnten?

Mehr als vierzig Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen haben sich im Auftrag der Bundeswehr mit diesen Fragen beschäftigt. Die Antworten sollten in die größte Sonderausstellung einfließen, die das Bundeswehrmuseum bisher entwickelt hat. Und noch heute verspricht der dazu erstellte Katalog im Verzeichnis des Sandstein-Verlags „überraschende Assoziationen und Querverweise in die Geschichte der Menschheit“, die vermeintliche Gewißheiten erschüttern.

„Humanoide Wesen und Raketenobjekte von internationalen zeitgenössischen Künstlern erobern das Außengelände und Foyer“ des Museums, frohlockte die Kulturstiftung des Bundes. Künstlerische Installationen im öffentlichen Raum, „Targeted Interventions“ überschrieben, sollten die Besucher schon vor dem Betreten des Museums auf die Sonderschau „Gewalt und Geschlecht“ einstimmen und „gängige Erwartungen an den Gedächtnisort deutscher Militärtradition“ irritieren. Um die Technikfreunde unter den Ausstellungsbesuchern nicht ganz abzuschrecken, waren neben Sonderschaueröffnung und Kunstprojekt als dritter Höhepunkt „Überflüge einer Me 262“ vorgesehen.

Der Jahreshaushalt des Museums ist zu gering

Letztlich fand an diesem Septembertag anläßlich der Dresdner Museumsnacht lediglich eine „spektakuläre Fassadenprojektion“ statt, der historische Strahljäger der deutschen Luftwaffe flog nicht über Dresden. Die geplante Sonderschau wurde nicht eröffnet. Ist die Ausstellung „Gewalt und Geschlecht“ nur ein Phantom? fragte die in Dresden beheimatete Sächsische Zeitung unter der sarkastischen Überschrift „Wunderwaffen, schnell herbei!“

Plötzlich fiel auch auf, daß mit der Ausstellung der Generalkurator des Hauses, Gorch Pieken, aus Dresden verschwunden war. Angeblich sollte er in der Außenstelle Berlin-Gatow versuchen, den Messerschmidt-Düsenjäger wieder zum Fliegen zu bringen. Und war nicht auch Museumschef Matthias Rogg, zusammen mit Pieken maßgeblich verantwortlich für die inhaltliche Ausrichtung des Hauses, im Frühjahr von der Fahne gegangen, angeblich auf eigenen Wunsch an die Führungsakademie versetzt? Ein gutes Vierteljahr drückte sich die neue Museumsleitung um Antworten.

„Was ist da los?“ riß schließlich der Welt der Geduldsfaden. Nach vergeblichen Versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen, berichtete die Zeitung Anfang Dezember unter der Überschrift „Nicht so viel tanzen, sondern wieder mehr marschieren“ von einer „ganz eigenartigen Kombination von Graben- und Guerillakrieg fast aller gegen fast alle“. Das neben den beiden Universitäten in Hamburg und München sowie dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft der Bundeswehr in Potsdam wichtigste kulturelle Standbein der Streitkräfte liege darnieder.

Offizielle Stellungnahmen erhielt die Welt nicht, so daß sie über eine Überziehung des Museumsetats in Millionenhöhe ebenso spekulierte wie über interne Ermittlungen gegen Mitarbeiter. Der Beitrag nenne kaum Fakten und interpretiere lediglich Beobachtungen, staunte die Boulevardzeitung Dresdner Morgenpost, der bei der eigenen Recherche auffiel, daß die neue Museumsführung unter Oberstleutnant Armin Wagner zwar alle in der Welt aufgeführten Vorwürfe dementiere, bei Nachfragen aber auf „das unverbindliche Formelhafte der Verwaltungssprache“ ausweiche.

Offenbar hat sich an der Ausstellung „Gewalt und Geschlecht“ sowie an einer weiteren, ursprünglich für Oktober 2018 unter dem Titel „Clash of Futures“ über die totalitären Folgen des Ersten Weltkriegs geplanten ein Konflikt entzündet, der die künftige Entwicklung des Hauses tangiert. Der Jahreshaushalt des Bundeswehrmuseums ist zu gering, um einerseits die Bewahrung des Bestandes zu gewährleisten und andererseits teure Sonderausstellungen zu stemmen. Der Veranstaltungsetat beträgt 2,5 Millionen Euro. Die Kosten für die beiden noch offenen Sonderausstellungen liegen bei insgesamt 5,5 Millionen Euro.

Museumschef Wagner (50) habe „zwischen den Zeilen das Gerücht bestätigt, daß sich das Haus überfordert fühle von ehrgeizigen Sonderprojekten“, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Und die FAZ berichtet im Konjunktiv von den Alltag beherrschenden Gerüchten und Mißtrauen, von internen Ermittlungen, konfiszierten Mitarbeiter-Computern, versiegelten Büros und einer Lagerbildung unter den Mitarbeitern: Der Konflikt habe das gesamte Museum im Griff. Das Militärmuseum wäre wohl „lieber wieder das in sich gekehrte Waffenarsenal“, schlußfolgert die SZ, für die das Militärhistorische Museum unter den vier großen Geschichtsmuseen des Bundes das mit der „linksliberalsten Agenda“ ist.

Kritische Eintragungen im Gästebuch

Eine Einordnung, die der Freiburger Militärhistoriker Bernhard Kroener (69) im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk zurückweist. Die von ihm miterarbeitete Museumskonzeption sei hochmodern und entspreche der „historischen Forschung“. Man sei weder ein Kriegs- noch ein Antikriegs- oder Friedensmuseum, all das greife zu kurz, hatte Bundeswehroberst Rogg bereits im Herbst 2012 in einem Zeit-Interview sein Ansinnen erläutert: „Militärgeschichte, wie wir sie heute verstehen, beschäftigt sich mit Gewalt in allen möglichen Facetten und Zusammenhängen – ob es nun um Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur geht.“

Daß sich Roggs Wunsch, mit dem 2011 eröffneten, für mehr als 60 Millionen Euro völlig umgestalteten ehemaligen Armeemuseum der NVA, Emotionen zu wecken, erfüllt hat, beweisen die kritischen Eintragungen im Gästebuch: Fehlende, unzureichende und falsche Beschriftungen der Exponate werden darin ebenso beklagt wie die schlechte Beleuchtung und der stiefmütterliche Umgang mit der Großtechnik. Außerdem tobten die Dresdner über die Verschandlung des denkmalgeschützten Gebäudes, das die Bombennacht des 13. Februars 1945 unbeschädigt überstanden hatte, durch einen Aluminium-Glas-Keil des Architekten Daniel Libeskind.

Rogg, für den der sowjetische Kampfpanzer T-34 ein Symbol der „Befreiung 1945“ ist, versicherte ebenfalls der Zeit, daß das Museum niemals Nachwuchswerbung für die Bundeswehr treiben wird: „Solange ich hier bin, werden Sie niemanden bei uns sehen, der Zettelchen verteilt mit der Aufschrift ‘We want you for the Army’.“

Diese spürbare innerliche Distanz zur Bundeswehr kommt nicht bei allen gut an. Das weiß auch Kroener, der hinter den gegenwärtigen Auseinandersetzungen das Erstarken „interessierter Kreise“ in der Bundeswehr vermutet, die eine andere Sicht auf die deutsche Militärgeschichte haben. Eine Rückkehr zu einem traditionellen Militärmuseum wäre aber schade, findet er.

Museumschef Wagner dementiert, daß er das Haus auf Traditionskurs bringen soll und kann auch keinerlei interne Reibereien erkennen. Die Sonderschau „Gewalt und Geschlecht“ soll jetzt am 26. April eröffnet werden und zwar wie das Zentrum für Militärgeschichte versichert „in vollem Umfang wie ursprünglich geplant“.