© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Arbeitswelt im Wandel
Co- und Crowdworking bieten Unternehmen neue wirtschaftliche Chancen, bringen aber auch digitale Tagelöhner hervor
Claus-M. Wolfschlag

Menschliche Arbeitswelten haben sich im Laufe der Jahrhunderte stets verändert. Schon die die Entwicklung der Landwirtschaft oder die industrielle Revolution ab dem späten 18. Jahrhundert brachten enorme Veränderungen mit sich. Haben sich Angestellte schon seit Jahrzehnten damit beschäftigt, ob sie in kleinen Bürozimmern oder Großraumbüros ihrer Tätigkeit nachgehen mußten, so kam es durch die Einführung von Computern ab dem Ende der 1970er Jahre und des Internets zur Erweiterung der Optionen. „Home Office“, also das Arbeiten von zu Hause aus, wurde beispielsweise möglich. 

Inspiriert durch die Kibbuz-Bewegung

Auch heute sind neue Veränderungen feststellbar. Für Freischaffende oder Jungunternehmer insbesondere aus der sogenannten Kreativ-Branche, wurde das Modell der Coworking-Büros entwickelt. Das Angebot geht über die übliche Anmietung von Büroräumlichkeiten hinaus. Auch über die klassische Bürogemeinschaft, also die Anmietung eines Büros oder einer Praxis zur temporären Nutzung durch mehrere Personen. 

Beim Coworking werden die Mieter als „Mitglieder“ umworben und erhalten weitere Dienstleistungen gestellt, unter anderem die digitale Infrastruktur. Viele der Einrichtungen verfügen über zentrale Gemeinschaftsräume mit schicken Sesseln und Sofas, in denen man Musik hören, Kaffee trinken und möglichenfalls beruflich fruchtbare Kontakte zu anderen „Membern“ des Hauses knüpfen kann. Auch ist das Mietverhältnis flexibler, temporäre Ein- und Auszüge sind leichter realisierbar.

Der Schwerpunkt des Coworking liegt in den USA, vor allem in Kalifornien. In der deutschen Hauptstadt Berlin folgen Gebäude wie das „betahaus“ und die „Factory“ dem Prinzip. Auch in anderen Städten findet sich das Modell, beispielsweise im „Tapetenwerk“ in Leipzig oder im „ZeitRaum“ in Braunschweig.

Einerseits ermöglicht ein solches Modell Start-ups leichter innerhalb des Hauses geschäftliche Kontakte zu knüpfen oder hilfreiches Fachwissen anderer Branchen anzufragen und dadurch die eigene Isolierung zu durchbrechen. Andererseits aber bewegen sich die Mieter dabei auch oft in einem abgekapselten Milieu aus Leuten in einer ähnlichen Lebenssituation und mit zumindest äußerlich ähnlichen Werthaltungen. Die gegenseitige soziale Kontrolle ist für Freiberufler durch die örtliche Nähe und das tägliche Aufeinandertreffen weit stärker als in einem anonymen Bürogebäude, in dem man fachfremde Branchen als Flurnachbarn hat, oder bei primär örtlich weiter entfernten Geschäftspartnern.

Das auf Nähe angelegte Konzept überrascht nicht, wurde es doch der sozialistischen Kibbuz-Bewegung entnommen. Einer der Entwickler des Coworking ist der Israeli Adam Neumann vom Unternehmen „WeWork“, der selbst in einem Kibbuz aufgewachsen sein soll. 

„Wir machen Arbeiten menschlich. In unserem globalen Netzwerk von Arbeitsbereichen stehen persönliche Zusammenarbeit, gegenseitige Inspiration und Großzügigkeit an erster Stelle“, wirbt das Unternehmen auf seiner Webseite. Der Arbeitsbereich wird als „Erlebnis“ vermittelt. Der Gemeinschaftsbereich wirkt ein wenig wie ein Café, die Büroräume werden durch zahlreiche Details, wie eigens angefertigte Tapeten oder Marmortische, zu Unikaten.

Sozialistische Gemeinschaftsideale und handfeste Wirtschaftsinteressen stoßen sich dabei nicht. Über 50.000 Mitglieder in zwölf Ländern soll „WeWork“ verfügen. Neumann soll nach Schätzungen des Magazins Forbes ein Vermögen von über zwei Milliarden Euro besitzen. Als Unternehmenspartner fungieren unter anderem Microsoft, Starbucks, Facebook und KPMG.

Entwickelt sich das Geschäftsmodell des Coworkers allerdings nicht gut, läuft er Gefahr, auf der Kehrseite der großen Gemeinschaftsarbeit als moderner Tagelöhner und Mikro-Jobber zu enden. Beim Crowdsourcing werden Klein-Aufträge global an austauschbare, formal Selbständige ohne soziale Absicherung vergeben. Wo der „Digitale Nomade“ lebt, ob in Berlin oder Bangladesch, spielt für den Auftraggeber keine Rolle mehr. „Outsourcing“ leichtgemacht und einfach an den großen Schwarm des Internets abgegeben. Durch Arbeitsvermittlungsplattformen im Internet wie „Clickworker“ werden Jobs vermittelt. Das kann ein simples Abfotografieren der Supermarktauslage zur Marketinganalyse eines Herstellers sein, aber auch das komplizierte Codieren einer IT-Anwendung. 

Die Bezahlung schwankt dementsprechend zwischen weniger als fünf Euro bis zu deutlich mehr als 50 Euro die Stunde. Ungezwungen ist diese Arbeit vom Laptop oder Smartphone aus keinesfalls, denn sie wird teilweise durch Screenshots und Messungen von Tastenanschlägen genauestens überwacht. 

Designer oder Programmierer erhalten durch Crowdworking zwar Kontakte zu potentiellen Auftraggebern. Sie stehen aber auch weit stärker unter dem Druck des Wettbewerbs mit globalen Konkurrenten. Ob das Durchbrechen des Korsetts der klassischen Arbeitswelt also immer eine Befreiung darstellt, kann kritisch in Frage gestellt werden.