© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Knapp daneben
Literatur hat ein Verfallsdatum
Karl Heinzen

Der französische Kleingärtner Serge Volle ist keine literarische Berühmtheit. Wenn jemand wie er einen Romanauszug unverlangt an Verlage schickt, um ihr Interesse zu wecken, geschieht dies besser im Schutze der Anonymität. Dann kann wenigstens die Vermutung aufkommen, daß sich dahinter ein relevanter Autor verbirgt. 19 Verlage bedachte Volle mit seinem 50-seitigen Manuskript. Sieben reagierten überhaupt nicht. Von den übrigen regnete es zum Teil harsche Absagen. Endlose Texte, in denen sich der Leser verliert, keine Handlung und unzulänglich beschriebene Personen, kurzum purer Mist, so der Tenor der Kritik, die er erntete. Volle hatte allerdings auch noch einen anderen Grund, das Manuskript anonym einzuschicken. Der Text stammte gar nicht von ihm, sondern von Claude Simon. Dieser 2005 verstorbene Schriftsteller ist zwar längst vergessen und hat wohl auch zu Lebzeiten kaum Leser, sondern allenfalls Käufer gefunden, die sich seine Bücher in den Schrank stellten, um bei Partygästen Eindruck zu schinden. 

Der Schwedischen Akademie war sein Name immerhin so geläufig, um ihm den Nobelpreis zu verleihen.

Der Schwedischen Akademie war sein Name aber immerhin geläufig genug, um ihm 1985 den Nobelpreis für Literatur zu verleihen. Vielleicht hatte sie aber auch bloß das Gefühl, daß mal wieder ein Franzose oder jemand mit dem Anfangsbuchstaben „S“ an der Reihe wäre. Volle als Amateurliebhaber Simons mag zwar nun den Empörten markieren. Unter dem Strich haben die Verlage aber nur ihr Qualitätsbewußtsein unter Beweis gestellt. Wie alle anderen Autoren des Nouveau Roman meinte Simon, mit einem theoretischen Konzept im Kopf Literatur abspulen zu können. Im Ergebnis schrieb er umweglos fürs Altpapier. Wie wenig uns Autoren der Vergangenheit zu sagen haben, kann man aber nicht bloß an ihm erfahren. Auch das Verfallsdatum der meisten Autoren, die man für Klassiker hält, ist längst überschritten. Selbst ein „Faust“ würde heute keinen Verleger finden. Wer ihn heute ohne falsche Ehrfurcht liest, wird in ihm nicht mehr als die Bibi-Blocksberg-Phantasien eines altersgeilen Päderasten erkennen. Die knappe Lebenszeit kann man besser als mit solcher Lektüre verschwenden.