© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Sie bitten zur Kasse
Ergebnis der Sondierungen: Sollten sich Union und SPD auf dieser Basis zur Großen Koalition zusammentun, geht es zu Lasten der Bürger
Paul Rosen

Das Sondierungspapier zur Bildung einer Koalition von Union und SPD ist typisch für die Politik in Deutschland: Kaum beschlossen, da streitet man sich, ob und wie die Vereinbarungen eingehalten werden können. So forderte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz auf, den „Zwergenaufstand“ in seiner Partei zu beenden. Denn SPD-Politiker hatten zuvor im Dutzend Änderungen an der 27seitigen Vereinbarung verlangt – Bürgerversicherung, Arbeitsmarkt, höhere Steuern, mehr Wohnungsförderung, mehr Zuwanderung und mehr Europa lauteten die Stichworte. „Es fehlt eine Idee, eine Erzählung“, hatte der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert kritisiert. 

Die Union hielt dagegen, forderte Treue zum Sondierungsergebnis und drehte gleich das ganz große Rad: „Dieses unzuverlässige Hin und Her schadet der Glaubwürdigkeit der Politik und schadet der Demokratie“, empörte sich die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. 

Ohne dieses Politiker-Pathos betrachtet ist die Sondierungsvereinbarung nichts anderes als ein Vertrag zu Lasten Dritter. Die Dritten sind die Bürger, die in den nächsten Jahren vermutlich erheblich zur Kasse gebeten werden und sich auf anhaltend starke oder sogar wieder anschwellende Migrationsströme einzustellen haben. Wenn es auf Seite 21 des Papiers um den Teil der Migration geht, „den wir steuern können“, wird von Union und SPD der staatliche Kontrollverlust doch offen zugegeben. Denn das heißt, daß ein Großteil der Zuwanderung nicht zu steuern ist.

Allgemeinplätze statt Maßnahmen

 Wenn es stimmt, daß auf EU-Ebene Regelungen für einen ungehinderten Nachzug von Angehörigen in Vorbereitung sind, dann sind sämtliche ohnehin schwammig formulierten Obergrenzen für Nachzüge (laut Sondierung 1.000 im Monat) Makulatur. Die Einreisen nach Deutschland sollen sich in einer Spanne von 180.000 bis 220.000 bewegen. Erwerbsmigranten sind darin noch nicht einmal enthalten. Was passiert, wenn die Spanne überschritten wird, steht nicht in dem Sondierungspapier. Statt Maßnahmen werden Allgemeinplätze formuliert, und man will allen Ernstes Fluchtursachen durch „verstärkten Klimaschutz“ bekämpfen. 

Seinen Schwerpunkt hat der Vertrag zu Lasten Dritter bei der Steuerpolitik, wo kräftig Sand in die Augen gestreut wird, wenn es heißt: „Wir werden die Steuerbelastung der Bürger nicht erhöhen.“ Dies ist schon sachlich falsch, denn bereits ohne Gesetzesänderungen werden sich die Steuereinnahmen auf allen Staatsebenen von 732 Milliarden Euro auf 850 Milliarden Euro bis zum Jahre 2021 erhöhen, also um etwa 118 Milliarden Euro. Zurückgegeben werden sollen davon etwa zehn Milliarden Euro durch eine Reduzierung des Solidaritätszuschlags. Eine Steuerreform oder wenigstens eine Tarifkorrektur zur Vermeidung der durch die Inflation entstehenden Mehrbelastungen ist nicht vorgesehen. Mit dieser Koalition bleibt Deutschland Höchststeuerland. Die SPD wollte sogar eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. 

 Europa: Fragt man sich, wohin die Steuereinnahmen gehen könnten, dann findet sich eine Antwort auf Seite 5 des Papiers: „Wir sind auch zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit“, heißt es da. Damit ist klar, daß Deutschland einspringen wird, wenn die britischen Beiträge nach dem Brexit entfallen. Union und SPD wollen zudem einen neuen Etatposten für notleidende Euroländer einführen und den europäischen Rettungsschirm ESM in einen Währungsfonds umbauen. Eine Zustimmung des Bundestages zu Rettungspaketen wie für Griechenland wäre dann nicht mehr erforderlich. 

Bürgerversicherung: Die SPD konnte ihre Forderung nach einer Einheitsversicherung für heute privat und gesetzlich Versicherte nicht durchsetzen. Dafür wird der Arbeitgeberanteil an Kassenbeiträgen wieder auf 50 Prozent erhöht. 

Arbeitsmarkt: Werden bei der Krankenversicherung die Unternehmen mehr belastet, so wird der Arbeitsmarkt insgesamt noch mehr reguliert. In Zukunft gibt es einen Rechtsanspruch zur Rückkehr von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle. Arbeitsverträge sollen weiterhin ohne Grund befristet werden können. Die SPD schaffte es nicht, ihren Wunsch nach dem Verbot der „sachgrundlosen Befristung“ durchzusetzen. 

Wohnungsbau: Es soll eine Überprüfung der bisher wirkungslosen Mietpreisbremse geben. Sehr allgemein ist von Steuervergünstigungen für den freien Wohnungsbau die Rede. 

Verteidigung: Zwei Milliarden Euro mehr sind bis 2021 für Verteidigung und Entwicklungshilfe vorgesehen. Das dürfte vielleicht zur Deckung der steigenden Pensionslasten für ehemalige Soldaten reichen, nicht aber für bessere Ausrüstung. 

Rente: Das Rentenniveau soll nicht weiter sinken als auf die heutigen 48 Prozent des letzten Nettolohns – jedenfalls bis 2025 nicht. Alle Selbständigen sollen in ein Altersversorgungsystem gezwungen werden. Die CSU setzte sich mit der Ausweitung der Mütterrente durch (betrifft Mütter, die vor 1992 drei oder mehr Kinder zur Welt gebracht haben). 

Rechtsstaat: „Wir werden einen Pakt für den Rechtsstaat schließen“, versprechen ausgerechnet Union und SPD, die es in der Vergangenheit mit Vorschriften und Verträgen nicht immer so genau nahmen.