© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Die Ewiggestrigen werden immer jünger
Reportage von der Gedenkdemonstration zu Ehren der Kommunistenführer Luxemburg und Liebknecht in Berlin: Das wichtigste Schaulaufen europäischer Marxisten erlebt großen Zulauf junger, gewaltbereiter Extremisten
Martina Meckelein / Mathias Pellack

Da stehen sie in geschlossenen Reihen: Schwarz gekleidete junge Leute. Sonnenbrillen und Rastazöpfe. Und sie brüllen: „Haut ab, haut ab!“ Und sie meinen die Polizei. Rote Fahnen mit Hammer und Sichel flattern im eisigen Wind, der scharf durch die breite Frankfurter Allee weht. Aufmarsch zur traditionellen Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der sogenannten LL-Demonstration. Gewidmet dem Andenken der schon fast gottgleich verehrten Mitbegründer der Kommunistischen Partei, die am 15. Januar 1919 von Freikorpssoldaten ermordet wurden. Die DKP nennt den Marsch noch immer LLL-Demonstration, was für Lenin, Liebknecht, Luxemburg steht.

Türken, Palästinenser,      Antifa und PKK marschieren

Es marschieren wirklich noch einige alte sozialistische „Kämpfer“ aus DDR-Zeiten über den im Stalinschen Zuckerbäckerstil gehaltenen Prachtboulevard, der zehn Jahre Paradestrecke der Nationalen Volksarmee (NVA) war – bis 1989. Aber die alten Kämpen sind in der Minderheit. Später wird am Stand des Rotfuchs-Verlags, vor dem Eingang der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde, darüber gesprochen: „Es ist doch schön, daß immer mehr und so viele junge Leute mitgehen.“

Diese jungen Leute singen aber nicht die Lieder von Joan Baez aus den sechziger und siebziger Jahren. Der Marsch von Sacco und Vancetti, das berühmte „Here’s to You“, das aus Lautsprechern dröhnt, ist ihnen egal – vermutlich kennen sie es nicht einmal. Die Helden der Anarchie sind nicht nur tot, sie scheinen vergessen. Die neuen Sozialisten singen auch nicht die „Internationale“. Sie brüllen: „Alerta, Alerta, Antifascista!“ PKK-Demonstranten werden festgenommen.

Die Hauptstadt-Polizei wäre gut beraten zu erkennen: Die LL-Demo ist keine Reminiszenz an die Jugend einer überschaubaren Truppe Ewiggestriger, die auf Krücken und mit Hilfe ihrer Rollatoren zur Gedenkstätte auf dem Friedhof in Friedrichsfelde wackeln. Der Marsch ist durch gewaltbereite Linksextreme unterwandert. Neben der Partei „Die Linke“ als SED-Nachfolgeorganisation und deren innerparteilicher Kommunistischen Plattform waren auch die DKP und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) mit Blöcken dabei, daneben deren Jugendverband „Rebell“, die Antikapitalistische Aktion Bonn sowie „Autonome“, Ausländerorganisationen und feministische Frauengruppen. Viele der genannten Vereinigungen finden sich in Verfassungsschutzberichten wieder, sie werden als linksextremistisch eingestuft.

 Die Steigerung der Aggression der Teilnehmer ist klar erkennbar. 29 Festnahmen und 15 Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in vier Stunden, so ein Polizeisprecher gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Sonntag morgen, 9.46 Uhr, U-Bahn-Station Frankfurter Allee. Menschenmassen drängen die Treppen hoch. Am Ausgang stehen Polizisten und kontrollieren einige anreisende Demonstranten. Die Polizei verweist auf die Frage nach der Teilnehmerzahl auf die Veranstalter. Die Rote Fahne, Organ der MLPD, berichtete schon am Sonntag um 19 Uhr online, also fünf Stunden nach Beendigung der Demo, daß 12.000 Menschen teilgenommen hätten, 2.000 mehr als ein Jahr zuvor. Und sie berichtet auch von einer „kämpferischen und revolutionären Stimmung“.

Um 10.07 Uhr setzt sich der Zug mit bis dahin einigen Tausend Teilnehmern erstmals in Bewegung. Er gerät zu Beginn allerdings mehrfach ins Stocken. Ein Lautsprecherwagen wird von sogenannten „Aktivisten“ geschoben. An den Straßenrändern bieten clevere Blumenverkäufer die obligatorischen roten Nelken an – 80 Cent das Stück. Aus den Lautsprechern dröhnen Warnhinweise: „Und ich höre da vorne wieder, daß die Berliner Polizei versucht, uns zu kriminalisieren, indem Öcalan-Fahnen versucht werden, auf der Demo zu skandalisieren.“ Fahnen mit dem Porträt des Terroristen dürfen in Deutschland seit 2017 nicht mehr gezeigt werden. Dann der Aufruf: „Gemeinsam Schulter an Schulter gegen Repression und gegen die Unterdrückung. Paßt auf euch auf, bleibt geschlossen.“ Zu guter Letzt: „Wenn ihr Festnahmen beobachtet, dann ruft den Untersuchungsausschuß an unter der Nummer – “, der Sprecher gibt eine Berliner Telefonnummer durch.


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Vor genau 30 Jahren konnten Bürgerrechtler, Systemkritiker und Ausreisewillige am Frankfurter Tor einen solchen Aufruf nicht via Megaphon durch die Lautsprecher bellen. Damals, am 17. Januar 1988, machten sich Gruppen, die sich bei aller Verschiedenheit als Kritiker des DDR-Regimes verstanden, ebenfalls zur alljährlichen LL-Kampfdemonstration der SED auf. Sie hatten Transparente gemalt. Unter anderem mit dem von Rosa Luxemburg verfaßten Satz: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ Auf der Netzseite der Stasiunterlagenbehörde (BStU) liest man dazu: „In der Gruppe der Protestierenden haben sich sowohl Ausreisewillige und Oppositionelle organisiert. Sie wollen die offizielle Demonstration dazu nutzen, mit Plakaten und Transparenten ihr Anliegen publik zu machen und Menschenrechte einzufordern.“

Doch die Staatssicherheit Erich Mielkes war durch ihr Spitzelnetz der Inoffiziellen Mitarbeiter seit Tagen über die geplanten Aktionen bestens informiert. Alle Informationen wurden unter dem Begriff Aktion „Störenfried“ gesammelt. Mielke hatte seine Truppen schon um 1 Uhr morgens positioniert. Kein Regimekritiker sollte seine Transparente entrollen. Teils schon um 6 Uhr morgens wurden verratene Regimekritiker in ihren Wohnungen festgenommen. Ein ARD-Fernsehteam wurde um 8.25 am Frankfurter Tor an seiner Arbeit durch die Stasi gehindert, kurze Zeit später vier Mitarbeiter des ZDF. Eine Verhaftungswelle begann. 118 Personen wurden schon im Vorfeld von der Volkspolizei belehrt, 105 Personen insgesamt festgenommen, 66 wegen „Zusammenrottung“ verhaftet. Die BStU weiter: „Nach der Verhaftungswelle rund um den 17. Januar kommt es zu zahlreichen landesweiten Solidaritätsbekundungen für die Inhaftierten. Petitionen und Aufrufe werden meist in kirchlichen Räumen verfaßt, Vertreter westlicher Medien sind stets dabei. Ihre Berichte im Westfernsehen zu den Ereignissen werden zur Hauptinformationsquelle auch für die ostdeutsche Bevölkerung.“ Der Anfang vom Ende der DDR.


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„Die Schweinebullen haben meinen Vater festgenommen“, pöbelt am Rande der aktuellen Demo eine junge Frau. „Nur weil er eine Öcalan-Fahne dabeihatte.“ Abdullah Öcalan ist einer der Führer der als Terrororganisation eingestuften militanten kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Endlich ist der nach Veranstalterangaben auf 12.000 Personen angestiegene Demonstrationszug an seinem Ziel angekommen, dem Vorplatz des Städtischen Friedhofs im Stadtteil Friedrichsfelde. Kleine Stände säumen den Rand, wie die vom „Bund Revolutionärer Arbeiter“ oder der „Ökologischen Plattform der Partei Die Linke“. Neben einem roten Sonnenschirm der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) werden Thüringer Bratwürste für ganz unsozialistische drei Euro feilgeboten.

Doch all diese linksradikalen Gruppen sind zerstritten, einig nur in ihrem Haß oder ihrer Ablehnung des Systems. Ein Redner stammelt ins Mikro: „Hoch die internationale Solidarität“. Ein junges deutsches Paar läuft vorbei, sagt lauthals: „Der redet scheiße.“ Der Mann am Mikro hört es und meint: „Naja, wie auch immer, ich springe jetzt zum Schlußsatz.“ Die Menge atmet auf.

„Ob Karlchen das so gut   gefunden hätte?“ fragt einer

Die darauffolgende Rednerin berichtet, wie ihr Polizeigewalt angetan worden sei. Sie sei im Schwarzen Block mitgelaufen und habe eine Fahne der verbotenen PKK getragen. Ein Verstoß gegen die Demo-Auflagen. Nun ereifert sie sich zehn Minuten über die Ungerechtigkeit, die in Deutschland herrsche: Verbotenes würde einfach unterbunden.

„Ob das Karlchen das so gut gefunden hätte“, fragt sich ein Rentner, der sich seine Füße an einer aufgestellten Propanheizung wärmt. „Es fehlen doch die Themen, die die Menschen wirklich bewegen. Früher ging es um Gerechtigkeit, heute um Kurdistan oder Palästina – wen interessiert das denn? Ich lebe von 375 Euro Rente – das sind Themen, die wir als Kommunisten ansprechen müssen.“

Es ist 13.20 Uhr. Die Standbetreiber packen ein. Da rennt eine Truppe Polizisten los. Sie verfolgen ein paar Kurden und einige deutsche Demonstrationsteilnehmer. Mindestens einer wird festgenommen. „Mein Freund ist unschuldig, er hat nix getan, keine PKK, keine Flaggen“, sagt ein junger Kurde mit zwei Krücken. „Wir wollten nur zur U-Bahn.“ „Scheiß Bullen“, kommentiert ein Deutscher, der sich als Mitarbeiter des sogenannten „Untersuchungsausschusses“ bezeichnet, der festgenommene Demonstrationsteilnehmer unterstützt.

Die Hautevolee der Partei Die Linke war am Sonntag auch vor Ort und legte Blumen nieder – allerdings ganz früh am Morgen vor dem Eintreffen des Fußvolkes.