© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

CD-Kritik: Régine Crespin
Verführerische Kanone
Jens Knorr

Sie sang Kundry unter Knappertsbusch, Sieglinde und Marschallin unter Solti, Brünnhilde unter Karajan. Sie war der bedeutendste lyrische und jugendlich-dramatische Sopran Frankreichs Mitte des vorigen Jahrhunderts und immer noch ein bedeutender Mezzosopran in den siebziger Jahren.

Von den großen Schallplattenfirmen wurde Régine Crespin selten ihrem Können gemäß zu Aufnahmen gebeten. Ihr 90. Geburtstag und ihr 10. Todestag im vorigen Jahr gaben Anlaß, ihr diskographisches Erbe jenseits ihrer Opern- und Operetten-Gesamtaufnahmen neu zu editieren. Auf zehn CDs finden sich die großen Nummern des italienischen, französischen, deutschen Repertoires der „französischen Kanone“, wie die Toningenieure der Decca Crespin wegen ihrer resonanten Stimme spitzbenamten.

Noch beeindruckender als diese sind ihre Interpretationen von Liedern und Mélodies, Schumanns „Liederkreis“ und „Gedichte der Königin Maria Stuart“ – die Diktion des Deutschen vorbildhaft! – und ihre berühmten von Berlioz’ „Les Nuits d’Éte“ und Ravels „Shéhérazade“ unter Ansermet. „In keiner späteren Aufnahme“, resümierte Jürgen Kesting, „ist die gespinsthaft feine Interaktion von Wort und Ton, von sprachlicher Deklamation und musikalischer Phrasierung genauer vollzogen worden.“

Crespins Vorführungen großer Gesangskunst bedeuten Verführungen.

Régine Crespin Eine Ehrung Warner Classics 2017 www.warnerclassics.com